[Ballett] Alfonso Palencia – DORNRÖSCHEN (UA) / Stadttheater Bremerhaven

Märchenballett von Alfonso Palencia / nach dem Märchen von Charles Perrault / mit Musik von Pjotr Iljitsch Tschaikowsky / Uraufführung

Premiere: 22. Oktober 2022 / besuchte Vorstellung: 30. Oktober 2022

Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus


Musikalische Leitung: Davide Perniceni
Choreografie & Inszenierung: Alfonso Palencia
Bühne & Kostüme: Dorin Gal
Video: Rasmus Freese


Wenn ein Ballettmeister seine bisherige Wirkungsstätte verlässt, um sich an einem anderen Ort neuen Herausforderungen zu stellen, ist es durchaus nicht ungewöhnlich, dass ihm mehrere Tänzer*innen aus der Kompagnie folgen. Nicht so in Bremerhaven: Hier entschied sich die Kompagnie beinah vollzählig, der Seestadt an der Weser treu zu bleiben und sich in die fähigen Hände eines neuen Ballettdirektors zu begeben. So konnte Alfonso Palencia für seine Einstands-Produktion auf ein eingespieltes Ensembles zurückgreifen, das durch Akademist*innen (junge Tänzer*innen, die noch in der Ausbildung sind) ergänzt wurde.

Mit dem Märchenballett „Dornröschen“ zur bekannten Musik von Pjotr Iljitsch Tschaikowsky wählte er ein eher traditionelles Sujet, das einem kundigen Theaterpublikum in der einen oder anderen Form durchaus bekannt sein dürfte.

Zur Taufe von Prinzessin Aurora sind drei Feen eingeladen, die das Kind mit getanzten Segenswünschen ehren, darunter Schönheit, Klugheit, Anmut und Kraft. Die böse Fee Carabosse wurde versehentlich nicht eingeladen. Sie verflucht die Prinzessin und prophezeit den Tod an ihrem 16. Geburtstag. Die gute Fliederfee kann das Unheil gerade noch abwenden. Aurora fällt in einen hundertjährigen Schlaf, aus dem nur ein Prinz sie erlösen kann.

(Inhaltsangabe der Homepage des Stadttheaters Bremerhaven entnommen.)


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Zuschauer und Kritiker, die immer lautstark Reformen fordern, könnten diese Wahl durchaus als wenig innovativ bemäkeln. Aber hat ein Theater nicht auch die Verpflichtung – neben der Präsentation zeitgenössischer Werke – die klassischen Stücke zu pflegen und sie neu zu interpretieren, um so ein junges Publikum für das Theater zu begeistern? Alfonso Palencia gelingt dieser Spagat mit seiner Inszenierung zu „Dornröschen“ aufs Vortrefflichste. Seine Choreografie ist sinnlich und voller Grazie, dann wieder energetisch und dynamisch. Er zitiert den traditionellen Spitzentanz ebenso wie dem Modern Dance und findet doch eigenständige tänzerische Ausdrucksformen. Dabei bricht er durchaus auch mit den Erwartungen des Publikums: So lässt er sein Ensemble zum bekannten Walzer von Tschaikowsky eben nicht Walzer tanzen, sondern choreografiert einen Tanz, der wie eine zeitgemäße Variante des Hoftanzes anmutet.

Hatte ich bei seinem Vorgänger eher den Eindruck, dass dieser die Geschichte über den Tanz bzw. über die sich bewegenden Körper der Tanzenden erzählt, erlaubt Palencia seinen Tänzer*innen auch mit Gestik und Mimik, Emotionen zu zeigen, und schuf so eine individuelle Charakterisierung zur jeweiligen Rolle. Dabei blieb er wohltuend den bekannten Rollenprofilen innerhalb eines Märchens treu: So standen auf der Bühne natürlich u.a. eine böse Fee, ein unschuldiges Dornröschen und ein heldenhafter Prinz, und doch waren diese Rollen nicht plakativ in Schwarz oder Weiß unterteilt. Vielmehr erzeugte Palencia eine Spannung in seiner Rollengestaltung, indem er die Nuancen zwischen diesen Extremen fein herausarbeitete.

Ihm zur Seite stand ein talentiertes Tänzer-Ensembles, aus dem er die Rollen kongenial besetzten konnte. Ting-Yu Tsai war in der Titelpartie entzückend, naiv und kess zugleich. Ihr Zusammenspiel bzw. die gemeinsam getanzten Partien mit Stefano Neri, der den Prinz überzeugend verkörperte, waren sowohl anmutig wie auch kraftvoll. In den Rollen der drei guten Feen debütierten an diesem Haus die Elevinnen Yeojin Kim, Miso Yun und Mariagiovanna Bonavita und verzauberten mit ihrem wunderbaren Spitzentanz, wobei Yeojin Kim den Hauptpart als Fliederfee souverän meisterte.

Volodymyr Fomenko und Lidia Melnikova gefielen mir sehr als liebevolles Königspaar und wurden durch Ming-Hung Weng und Melissa Festa als Dienerpaar vortrefflich unterstützt. Renan Carvalho bot als böse Fee Carabosse bzw. der dunkle Prinz eine sensationelle Performance, nutze exzentrisch-diabolisch die Bühne als eine Art Catwalk und zog bei jedem seiner Auftritte die Blicke des Publikums auf sich.

Die farbenfrohen Kostüme von Dorin Gal unterstreichen die Individualität jeder Rolle. Sein Bühnenbild bietet – in Kombination mit den „lebendigen“ Videoprojektionen von Rasmus Freese – viel fürs Auge und ermöglicht schnelle Szenenwechsel ohne an Atmosphäre einzubüßen.

Davide Perniceni sorgte mit seinem straffen Dirigat dafür, dass das Philharmonische Orchester Bremerhaven die traumhafte Musik von Tschaikowsky sowohl lebendig als auch schwelgerisch zu Gehör brachte.

Ich saß staunend wie ein Kind und völlig verzaubert im Zuschauerraum und kann hier nur das wiederholen, was ich dem Schöpfer dieses Abends schon Gelegenheit hatte, in der Pause zu sagen: Es war wunder-wunderschön!

Lieber Alfonso Palencia, Ihr Einstand als Ballettdirektor am Stadttheater Bremerhaven ist Ihnen bestens gelungen!


Noch bis Anfang des nächsten Jahres gibt es mit DORNRÖSCHEN märchenhaftes am Stadttheater Bremerhaven zu bewundern. Unbedingt sehenswert…!