[Rezension] Erich Kästner – Das fliegende Klassenzimmer

Während ich mich mit Gesang zwischen den Stühlen beschäftigte, schaute ich auch auf das Gesamtwerk von Erich Kästner und machte gedanklich einen Haken hinter jedem von mir schon gelesenen Buch. Plötzlich stockte ich abrupt, als mein Blick auf den Titel des Kinderbuches „Das fliegende Klassenzimmer“ fiel. Erstaunt blinzelte ich mit den Augen und konnte es selbst kaum fassen: Ich hatte diese Geschichte doch tatsächlich noch nie gelesen. Natürlich kenne ich den Inhalt, denn schließlich zählt der Film von 1954 zu meinen Lieblingen. Doch gelesen…! Ich nahm mir fest vor, dies in naher Zukunft nachzuholen.

An dem Sonntag vor 10 Tagen war es dann soweit: Der Freitag zuvor war ein sehr ungewöhnlicher Tag – herausfordernd, emotional, beinah surreal – und entließ mich mit vielen unterschiedlichen Gedanken ins Wochenende. Trotz intensivem Austausch mit meinem Gatten, ließen mich diese Gedanken nicht los, und ich lief in den folgenden Tagen mit vielfältigen Gefühlen durch die Wohnung. Irgendwie hatte ich das Bedürfnis, meiner Seele eine kleine Streicheleinheit zu gönnen. So griff ich zu „Das fliegende Klassenzimmer“ von Erich Kästner und war für Stunden nicht mehr ansprechbar. Bei der Lektüre überrollte mich eine warme Woge der Menschlichkeit, wie es nur Kästner vermag, und Tränen rannen über meine Wangen.

Unsere Geschichte spielt in einem oberbayrischen Internat kurz vor den Weihnachtsferien. In mehreren Episoden lernen wir unsere fünf jungen Helden kennen, die sehr unterschiedlich die Vorweihnachtszeit erleben. Johnny ist ganz mit der Inszenierung seines selbstgeschriebenen Stücks „Das fliegende Klassenzimmer“ beschäftigt, bei dem natürlich alles seine Freunde mitwirken. Der starke Matthias geht keiner Keilerei aus dem Weg und hat vor nichts Angst, außer er könnte zu wenig zu essen bekommen. Sein Kumpel Uli schämt sich dafür umso mehr darüber, dass er so furchtsam ist. Um nicht als Hasenfuß zu gelten, stellt er sich einer gefährlichen Mutprobe. Klassenprimus Martin leidet still, als er erfahren muss, dass er zu Weihnachten nicht nach Hause fahren kann: Aufgrund der Arbeitslosigkeit des Vaters ist kein Geld für die Fahrkarte übrig. Und der intelligente Sebastian versucht aufkommende Empfindungen hinter Rationalität zu verbergen, die aber immer wieder mit der Realität kollidiert. Sie alle haben – neben dem regulären Schullalltag – ihre kleinen Sorgen und großen Kümmernisse zu bewältigen. Die väterliche Figur nimmt in dieser Geschichte der von allen verehrte Hauslehrer Dr. Johann „Justus“ Bökh ein, der warmherzig die Belange „seiner“ Jungs sowohl mit Humor als auch mit dem nötigen Ernst begegnet. Ihm wird eine besondere Weihnachtsüberraschung zuteil, als die Jungs ihn zu dem s.g. „Nichtraucher“ führen, der in einem ausrangierten Eisenbahnwagon in der Nähe der Schule lebt. Besagter „Nichtraucher“ entpuppt sich als sein alter Freund Robert Uthofft, der nach einem harten Schicksalsschlag den Kontakt zu „Justus“ abgebrochen hatte. Doch eine Geschichte, die um und an Weihnachten spielt, wäre keine richtige Weihnachtsgeschichte, wenn am Ende nicht alles gut würde…!

Könnt Ihr Euch vorstellen, wie schwierig es ist, die Inhaltsangabe für eine Geschichte zusammenzuschustern, in der so viel passiert? Wo anfangen? Was ist relevant? Was kann ausgelassen werden? Kann überhaupt etwas ausgelassen werden? Greifen die vielen kleinen Episoden nicht nahtlos ineinander und verknüpfen sich erst so zu einem Ganzen? Ergibt nicht erst das Zusammenfügen der einzelnen Puzzle-Teile am Ende ein harmonisches Bild? Mein stümperhaftes Ergebnis (siehe oben) kann somit nur bruchstückhaft die Handlung wiedergeben.

Eingebettet ist die Geschichte in einer Rahmenhandlung, in der der Schriftsteller u.a. von der Schwierigkeit berichtet, im Sommer eine Winter-Geschichte zu schreiben. Gleichzeitig lässt er ebenso seine persönliche Haltung zur Kinderliteratur einfließen…

„Schließlich nahm ich ein Kinderbuch vor, das mir der Verfasser geschickt hatte, und las darin. Aber ich legte es bald wieder weg. So sehr ärgerte ich mich darüber! Ich will euch auch sagen, warum. Jener Herr will den Kindern, die sein Buch lesen, doch tatsächlich weismachen, dass sie ununterbrochen lustig sind und vor lauter Glück nicht wissen, was sie anfangen sollen! Der unaufrichtige Herr tut, als ob die Kindheit aus prima Kuchenteig gebacken sei. Wie kann ein erwachsener Mensch seine Jugend so vollkommen vergessen, dass er eines Tages überhaupt nicht mehr weiß, wie traurig und unglücklich Kinder zuweilen sein können? […] Es ist nämlich gleichgültig, ob man wegen einer zerbrochenen Puppe weint oder weil man, später einmal, einen Freund verliert. Es kommt im Leben nie darauf an, worüber man traurig ist, sondern nur darauf, wie sehr man trauert. Kindertränen sind, bei Gott, nicht kleiner und wiegen oft genug schwerer als die Tränen der Großen.“ (Original-Zitat aus dem Roman)

Mit diesen Sätzen beschreibt Erich Kästner sehr schön das, was seine Kinderbücher ausmacht: Er macht seinen jungen Leser*innen nichts vor. Zwar dramatisiert er nicht aber vermeidet auch die Verharmlosung. Seine jugendlichen Held*innen dürfen (!) unangenehme Situationen erfahren. Bei ihm dürfen sie leiden und trauern aber auch froh und glücklich sein. Er wertet bzw. entwertet die Gefühle seiner jungen Protagonisten nicht. Das Leben – insbesondere das Leben eines Kindes – ist nicht immer Himmelhochjauchzend mit Heiteitei und Ringelrein. Vielmehr deckt er die scheinheilige Doppelmoral von Autor*innen, Verleger*innen und erwachsenen Leser*innen auf, die sich über Schilderungen in Kinderbüchern, die ihnen zu radikal-realistisch erscheinen, echauffieren, dabei aber völlig ausblenden, dass die Wirklichkeit, auf die so manche Kinder leider prallen müssen, deutlich radikaler ist.

Und trotz aller gesellschaftskritischen und satirischen Aspekte in seinen Werken bleibt Kästner durch und durch der Menschenfreund, der nichts unversucht lässt, um die Tugenden im menschlichen Miteinander hochzuhalten: Freundschaft und Liebe, Toleranz und Loyalität, Mitgefühl und Fürsorge.

Und dies gelingt ihm – sowohl in seinen Kinderbüchern wie auch in den Werken für Erwachsene – auf ganz unnachahmlicher Weise: Ohne den erhobenen Zeigefinger der Moral, vielmehr ganz sanft, beinah in homöopathischen Dosen pflanzt er seine Botschaft in mich hinein und justiert meine sozialen Antennen neu.

Ich spüre, da ist jemand, der versteht. Ich atme befreit auf und weiß, es ist nun gut.

Wenn ich Kästner lese, wird meine Seele getröstet!


erschienen bei Atrium/ ISBN: 978-3855356072

[Rezension] Anatevka. Weltmusicals für Kinder/ nach Joseph Stein/ neu erzählt von Barbara Kindermann/ mit Illustrationen von Jenny Brosinski

Es war schon erstaunlich, dass nach dem fulminanten Erfolg von MY FAIR LADY im Oktober 1961 erst etliche Jahre ins Land ziehen mussten, bis endlich wieder ein Broadway-Musical das Publikum in Deutschland wie im Sturm eroberte. 19 Jahre nach Ende des dritten Reiches hielt 1968 ausgerechnet mit ANATEVKA (im engl. Original: Fiddler On The Roof) ein Musical, dass das Leben der Juden in einem Schtetl in der Ukraine thematisiert, Einzug in die deutsche Populärkultur. Nach Beendigung der erfolgreichen Uraufführungs-Serie incl. Tournee wurde das Stück von anderen Theatern übernommen und ist bis heute ein gern gesehener Gast auf den Spielplänen.

Ich selbst durfte dieses berührende Musical gleich 2 Mal (25.06.1995 & 29.04.1996) in der Inszenierung von Ulrich Engelmann und unter der musikalischen Leitung von Ira Levin am Theater am Goetheplatz in Bremen erleben: Ks. Karsten Küsters gab einen wunderbaren Tewje, und der junge Max Hopp spielte den Studenten Pertschik. Über 20 Jahre später hatten beide „Masel tov“ und trafen sich zur Premiere von ANATEVKA in der Inszenierung von Barrie Kosky an der Komischen Oper Berlin wieder: Hopp diesmal als Tewje und Küsters in der kleinen aber prägnanten Rolle des Wachtmeisters. Kreise schließen sich…!

Nach einer langen Zeit der Distanzierung bot dieses Musical einen Zugang zur jüdischen Kultur, der sich nicht auf die Gräueltaten des Nazi-Regimes reduzieren ließ. Es durfte wieder gelacht, geweint und geklatscht werden. Der lange Weg der „Normalisierung“ zwischen Juden und Deutschen hat im ukrainischen Dorf ANATEVKA angefangen. Wir werden sehen, wo und wann er endet. Der „Fiedler auf dem Dach“ – inspiriert durch Bilder Marc Chagalls – wurde so zum Symbol für Überlebenswillen und Lebensmut und wird hoffentlich weiterhin seiner Geige sehnsuchtsvolle Klänge entlocken.


Was läge da näher, als dass sich der Kindermann-Verlag nach MY FAIR LADY nun diesem Werk annimmt. Auch diesmal kam die gelungene Nacherzählung aus der Feder der Verlagsgründerin Barbara Kindermann. Und auch diesmal blieb sie dem schon bei MY FAIR LADY eingeschlagenen Weg treu und präsentiert uns die wichtigsten Handlungsstränge mit gelungenen Porträts der Charaktere. Ebenso lässt sie in die Dialoge immer wieder die Lyrik der Songs einfließen und bietet uns so die Möglichkeit, parallel zum Lesen die Songs anzuhören. Dabei gelingt es ihr ganz hervorragend, sowohl den melancholisch-traurigen als auch den humorvoll-unbeschwerten Ton des Original-Buches zu treffen.


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Jenny Brosinski scheint von den Kunstwerken Marc Chagalls inspiriert worden zu sein, ohne dass sie diese kopiert. Sie findet ihren ganz eigenen Stil, spielt in ihren Illustrationen mit Proportionen und Perspektiven und lässt ihre Figuren mal bunt, mal sphärisch-durchsichtig erscheinen. Für jede dieser Figuren schuf sie ein individuelles Erscheinungsbild, das den Charakter treffend widerspiegelt. Dadurch wirken ihre Zeichnungen sowohl liebenswert als auch skurril und fordern so die Aufmerksam des Betrachtenden ein.

Leider sind bisher keine weiteren illustrierten Nacherzählungen unter der Rubrik „Weltmusicals für Kinder“ im Kindermann-Verlag erschienen. Schade, denn das bisherige Duo hätte es verdient, – gemeinsam mit anderen Werken – zu einer Reihe bzw. Serie heranzuwachsen.


erschienen bei Kindermann/ ISBN: 978-3934029408

[Rezension] Marie Dorléans – Das grosse Pferderennen

Zeitgleich mit My Fair Lady. Weltmusicals für Kinder wurde ich auch diesem entzückenden Bilderbuch habhaft. Als ich es durchblätterte, fühlte ich mich zwangsläufig an die Ascot-Szene in MY FAIR LADY erinnert, wo die High Society mit einer stoischen Ruhe behauptet, dass sie beim Pferderennen endlich wieder einen Hauch von Nervenkitzel verspürt. Dabei steht die Reaktion der handelnden  Personen kontra-karikierend zum Songtext und sorgt so aufgrund dieser Diskrepanz für Erheiterung beim Publikum.

Auch in Marie Dorléans Bilderbuch warten die Zuschauer gespannt auf den Beginn des grossen Pferderennens und haben sich – ähnlich wie die Damen und Herren in Ascot – chic in Schale geworfen. Die Jockeys stehen mit ihren Pferden schon am Start und warten aufgeregt auf den Startschuss. Als der Schuss ertönt, gibt es kein Halten mehr. Die Pferde preschen los. Doch halt: Nicht alle Jockeys haben mit ihren Pferden rechtzeitig die Startlinie verlassen können. Auch ereignet sich während des Rennens so manche kuriose Situation, und selbst die abschließende Siegerehrung gestaltet sich anders als gewohnt…!


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Was kann bei einem Pferderennen nicht alles passieren: Von scheuenden Pferden, Stürzen und Disqualifizierungen habe selbst ich in diesem Zusammenhang schon gehört. Doch das, was Marie Dorléans bei ihrem Pferderennen passieren lässt, setzt allem die (humoristische) Krone auf. Ihre Texte sind auf das Wesentliche beschränkt. Vielmehr lässt sie ihre Illustrationen sprechen, die vor witzigen Ideen nur so strotzen.

Ähnlich wie in der eingangs erwähnten Ascot-Szene in MY FAIR LADY sorgt auch sie dafür, dass dieser elitär anmutende Sport durch die Brille des Humors betrachtet wird. Wobei sie ihr Augenmerk weniger auf die Zuschauer und dafür mehr auf das Geschehen auf der Rennbahn lenkt. Und hier ereignen sich wahrlich so einige höchst absonderliche Situationen, bei deren Betrachtung ich immer wieder amüsiert auflachen musste.

Dieses entzückende Buch ließ mich für einen Moment den Alltag vergessen und schenkte mir für einen Augenblick ein wenig Spaß und Freude…!


erschienen bei Gerstenberg/ ISBN: 978-3836959711

[Rezension] My Fair Lady. Weltmusicals für Kinder/ nach Alan Jay Lerner/ neu erzählt von Barbara Kindermann/ mit Illustrationen von Silke Leffler

Vor einiger Zeit trällerte ein Kollege die Melodie zu „Bringt mich pünktlich zum Altar“ während des Dienstes. Ich war sehr überrascht, da ich bisher annahm, dass Musical nicht zu seiner präferierten Musikrichtung gehörte. Und zugegeben, mein Kollege kannte diese Melodie nur in Zusammenhang mit einem Blödel-Text und hatte nicht den blassesten Schimmer, dass es sich hierbei um einen Song aus einem weltberühmten Musical handelt. Zum Glück konnte ich diesen Kulturbanausen aufklären!

Dabei fiel mir allerdings auch wieder etwas ein, das mich veranlasste, in alten Programm-Heften zu stöbern: Heute vor genau 34 Jahren sah ich mein erstes Musical auf einer Bühne: MY FAIR LADY.

Ich saß mit einer vergünstigten Schülerkarte im zweiten Rang des Theaters am Goetheplatz in Bremen (Bei meinem damaligen Budget, das ich mir durch Zeitungsaustragen verdingte, war Besseres nicht drin.), blickte aus der Vogelperspektive von oben herab über den ersten Rang und das Parkett zur Bühne und wartete gespannt auf das, was mich erwartete. Schließlich war ich als Theaterbesucher noch völlig unbeleckt und konnte diesbezüglich auf keine Erfahrungen zurückgreifen. Alles war für mich neu und aufregend: Die Musiker*innen des Orchesters stimmten ihre Instrumente, während ein Gong den Beginn der Vorstellung ankündigte. Langsam wurde das Licht gedimmt, und eine vibrierende Spannung bemächtigte sich meiner. Der Dirigent erschien, und das Publikum applaudierte, also applaudierte auch ich. Zu den ersten Takten der Ouvertüre hob sich der Vorhang und gab den Blick frei auf das Bühnenbild, das Covent Garden in London darstellen sollte. Das Spiel begann. Niemals zuvor hatte ich eine verführerische Symbiose, wie diese aus Musik, Text, Gesang, Schauspiel und Tanz, erleben dürfen,…

…und es war um mich geschehen. Seitdem hat mich das Musicalfieber nicht mehr losgelassen, und gerade MY FAIR LADY nimmt hier eine Sonderstellung ein. So saß ich im Laufe der Jahre in 6 Vorstellungen bei 4 verschiedenen Inszenierungen…

  • Bremer Theater am Goetheplatz: 06.06.1988 und 09.11.1990
  • Stadttheater Bremerhaven: 12.12.1997
  • Oldenburgisches Staatstheater: 10.12.1999
  • Bremer Theater am Goetheplatz: 21.12.2002 und 08.06.2003

… und nenne 14 verschiedene Cast-Aufnahmen mein Eigen – neben diversen Aufnahmen auf Englisch und Deutsch, auch auf Holländisch, Dänisch und Hebräisch,…

…und ich würde jederzeit mir auch die 5., 6. und 7. Inszenierung ansehen!

Jeder Mensch hat seinen besonderen Vogel.
Mein Vogel kann wahrhaftig „wundascheen“ singen!!!
🐦


Die Philosophie des Kindermann-Verlages ist so einfach wie genial:

„Kinder sollen sich Literaturklassikern spielerisch und unvoreingenommen nähern können.“

Damit dies gelingt, sorgt Verlegerin Anna Kindermann mit ihrem Team für wunderbar illustrierte Neuerzählungen. Denn die Klassiker haben es genau deshalb zu Weltruhm geschafft, da sie außergewöhnliche Geschichten von tollen Held*innen erzählen. Und so bietet in der Zwischenzeit das Verlagsportfolio nicht nur Weltliteratur, Poesie, berühmte Leute und Kunst für Kinder, sondern sogar auch die Nacherzählung zweier Musicals, für die Verlagsgründerin und Mutter der jetzigen Verlegerin verantwortlich war.

Und genau diese Nacherzählung gelingt ihr sehr charmant. Barbara Kindermann versteht es, die Kernhandlung prägnant zu präsentieren ohne dabei die Charaktere der Hauptpersonen zu vernachlässigen bzw. zu verwässern. Dabei flicht sie in die Dialoge immer wieder die Lyrik der Songs mit ein. Ein raffinierter Kniff: So erhält der Vorlesende die Möglichkeit an der entsprechenden Stelle seinen jungen Zuhörern den passenden Song vorzuspielen. Natürlich vorausgesetzt, man ist im Besitz einer Cast-Aufnahme. 😉


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Silke Leffler war mir bisher vornehmlich als Illustratorin für Papeterie ein Begriff und hat hierfür einen sehr eigenen Stil kultiviert. Ihre Werke fielen gerne durch die unverwechselbare Silhouette ihrer Figurinen im Zusammenspiel mit überdimensionale Blüten auf. Passend zum vorgegebenen Sujet fallen auch hier ihre Illustrationen sehr blumig und farbenfroh aus. Dabei bemüht sie sich, für die einzelnen Personen eine charakteristische Physiognomie zu finden, bleibt dabei aber leider innerhalb ihres gewohnten Korsetts und zeigt so – für meinen Geschmack – wenig Prägnanz und Individualität. Warum sie in ihren Illustrationen als gestalterisches Element Seiten aus dem Textbuch von Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ verwendete, blieb mir unverständlich. Vielleicht wollte Leffler mit diesem grafischen Kniff die Nähe dieser Geschichte zum Theater symbolisieren, wobei hier „Pygmalion“ von George Bernhard Shaw durchaus passender gewesen wäre.

Alles in allem sind diese Kritikpunkte doch nur meinem persönlichen Geschmack geschuldet und werden die Freude der Kids an diesem Buch nicht mindern. Im Gegenteil: Der Kindermann Verlag schafft auf wunderbare Weise, die Hemmschwelle der Kinder zur „hehren“ Kunst zu minimieren.


erschienen bei Kindermann/ ISBN: 978-3934029439

[Rezension] Caspar Salmon – Wie man bis eins zählt (Und fang erst gar nicht mit größeren Zahlen an!)/ mit Illustrationen von Matt Hunt

Kicher! Kicher! – Hihi! – Gnigger! Gnigger!

Da sitze ich also in meinem Ohrensessel über ein Bilderbuch gebeugt, lese den Text, betrachte die bunten Bilder dazu und gackere vor Vergnügen vor mich hin. Ganz unversehens bin ich zu diesem humorvollen Bilderbuch gekommen: Zum Welttag des Buches veranstaltete der Kunstmann-Verlag auf Instagram ein Gewinnspiel, und – Tata! – ich habe gewonnen!

Nochmals: Meinen herzlichsten Dank!

Darum sitze ich also in meinem Ohrensessel über dieses Bilderbuch gebeugt, das mich zunehmend begeistert, da es Kinder ganz raffiniert zum Zählen animiert, auch wenn der Titel etwas anderes suggeriert. Auch wenn z. Bsp. sich 5 Enten über die Seiten tummeln, so betont Autor Caspar Salmon in seinen Texten immer wieder vehement, dass nur bis EINS! gezählt werden darf. Es geht immer nur um die EINS! Wir dürfen immer nur bis EINS! zählen.

Caspar Salmon. WIE MAN BIS EINS ZÄHLT – Illustration Matt Hunt

Beinah scheint es, als wolle Salmon uns das Weiterzählen verbieten, wohlwissend, dass das, was verboten, umso reizvoller ist. Es erinnerte mich an meine eigene Kindheit: Die Eltern hatten etwas verboten, und ab diesem Zeitpunkt war das Verbotene äußerst verführerisch (Vorher war es mir pups-egal!). Und obwohl etwas verboten war, tastete ich mich langsam vor, lotete die Grenzen des Tolerablen aus und genoss das kribbelige Gefühl, etwas „Verbotenes“ getan zu haben. In diesem Buch versucht es der Autor sogar immer wieder selbst, uns zum Weiterzählen zu verführen. Ganz und gar hinterhältig nutzt er dazu die gelungenen Illustrationen von Matt Hunt.

Hunt schuf für dieses Buch witzige Bilder, die mich immer wieder durch skurrile Details amüsierten und so auch zum bloßen Betrachten (ohne Zählen) einluden. Dabei staunte ich über die scheinbare Schlichtheit, die meine Phantasie doch so sehr anregte, dass ich eigene Ideen entwickelte: Die Bilder animieren nicht nur zum Weiterzählen – Nein! – auch zum Weitererzählen, indem zu diesen Bildern Geschichten selbst erdacht werden könnten. So käme dieses Buch immer wieder und wieder zum Einsatz und könnte sich einen dauerhaften Platz in den Kinderzimmern sichern. Das Potential, ein Klassiker zu werden, hätte es allemal!

Am Schluss durfte ich dann endlich weiter als bis EINS! zählen: Puh, länger hätte ich es auch nicht mehr ausgehalten!


erschienen bei Kunstmann/ ISBN: 978-3956144912

Ich danke dem Verlag herzlich für diesen wunderbaren Gewinn!

[Rezension] Charles Dickens – Ein Weihnachtsmärchen/ mit Illustrationen von Lisbeth Zwerger

Wer kennt sie nicht, die Geschichte vom griesgrämigen Geizkragen Ebenezer Scrooge, der am Weihnachtsabend Besuch vom Geist seines verstorbenen Geschäftspartners Jacob Marley erhält, um ihn zu warnen: Die Geister der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Weihnacht würden ihn aufsuchen, um ihm verschüttete Erinnerungen und vergessene Empfindungen wieder in den Sinn zu rufen. So wartet Scrooge mit bangem Herzen auf die Ankunft der Geister, die ihn nacheinander – wie vorhergesagt – auf absonderlich-abenteuerliche Reisen durch Raum und Zeit mitnehmen, von denen er als geläuterter Mann zurückkehrt.

Natürlich kannte auch ich diese vielleicht klassischste aller Weihnachtsgeschichten dank seiner verschiedenen filmischen Umsetzungen. Doch ich gebe es unumwunden zu: Ich hatte vorher noch nie Dickens Original gelesen. Und nach der Lektüre stellte ich mir die berechtigte Frage: Wieso nicht? Doch vielleicht brauchte es auch die Verlockung durch eine würdige Umsetzung: Im Laufe der letzten Jahre bin ich zu einem kleinen Fan des NordSüd-Verlags mutiert, da er sowohl neue wie auch klassische Geschichten optisch reizvoll in Szene setzt.

In diesem Fall hatte sich die renommierte Kinderbuchillustratorin Lisbeth Zwerger schon vor einigen Jahren dem Weihnachtsmärchen von Dickens angenommen. Erstmals im Jahre 1988 in eben diesem Verlag erscheinen, handelt es sich somit um eine überarbeitete Neu-Auflage. Aber gerade dies schätze ich an Verlagen wie NordSüd: Klassiker des Repertoires verschwinden nicht einfach in der Versenkung, sondern werden nach einiger Zeit mit Bedacht wiederaufgelegt, um so auch nachgewachsenen Lese-Generationen Freude zu bereiten. Zumal Zwergers Illustrationen absolut zeitlos sind und in ihrer Ästhetik dem Terminus vergangener Epochen unterstreicht. Schon bei Das Geschenk der Weisen von O’Henry lernte ich die stille Zurückhaltung ihrer Bilder zu schätzen, mit der die Künstlerin sie unaufgeregt aber gefühlvoll der Erzählweise des Autors anpasst und beides so zu einer Einheit verschmelzen lässt.

Dabei vermeidet sie angenehm wohltuend auf allzu Kindlich-drolliges: Liebhaber*innen von oberflächlichen, massenkompatiblen Niedlichkeiten kommen hier nicht auf ihre Kosten. Vielmehr lauschte sie der Geschichte sehr konzentriert und achtete auf kleinste Beschreibungen in den Nebensätzen, was sich dann in den feinen Details in ihren Zeichnungen widerspiegelt. So ist es durchaus ratsam, nicht nur aufmerksam zu lesen, sondern ebenso aufmerksam zu schauen.

Dickens Appell für mehr Menschlichkeit und ein friedvolles Miteinander (in Kombination mit Zwergers wunderbaren Illustrationen) traf mich mitten ins Herz und berührte meine Seele. Die Wärme und der Charme, was diese reizvolle Geschichte überreichlich verströmt, rührten mich während der Lektüre so sehr, dass hin und wieder durchaus eine kleine Träne floss.

Hach, es war so wunderbar!!!


erschienen bei NordSüd/ ISBN: 978-3314105449

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Thierry Dedieu – Auf der Suche nach dem Schneemann

Tag für Tag treffen sich das Eichhörnchen, die Eule, der Igel und der Hase mit ihrem Freund dem Schneemann zum Spielen. Denn niemand kennt schönere Spiele, weiß lustigere Rätsel oder kann interessantere Geschichten erzählen als der Schneemann, der schon vieles gesehen und noch mehr erlebt hat. Die Freunde verbringen eine herrliche Zeit gemeinsam, bis eines Tages die ersten Frühlingsboten auftauchen. Die vier tierischen Freunde machen sich Sorgen um ihren eisigen Kumpel, der Tag für Tag schwächer wird, bis er eines Tages ganz verschwunden ist. Doch wo ist er nur geblieben? Er kann doch nicht gänzlich verschwunden sein? Und so folgen die Freunde den Spuren der Schneeschmelze in der Hoffnung, ihren Freund wieder zu treffen…!

Thierry Dedieu – Autor und Illustrator in Personalunion – hat ein niedliches Bilderbuch geschaffen, das die Themen Vergänglichkeit, Hoffnung, Trennung und Abschied kindgerecht anspricht und „nebenbei“ den Kreislauf der Natur auch für die Kleinsten nachvollziehbar erklärt.

Seine Illustrationen versprühen in ihrem Sepia-Look beinah einen Retro-Charme. Seine Figuren sind sehr detailreich-naturalistisch mit einem kleinen Hang ins Phantastische gezeichnet: So wirken die Tiere zwar recht naturgetreu, tragen allerdings auch Pudelmütze oder Sturzhelm. Gerade diese Requisiten im Zusammenspiel mit dem drolligen Habitus der Figuren sorgen für den märchenhaften Zauber der Geschichte.

Mir persönlich wirkten die Bilder beinah zu sehr wie Nahaufnahmen, bei denen die Freunde sehr dominant im Mittelpunkt stehen. Ich hätte mir hin und wieder gerne einen Blick aus der Entfernung gewünscht, um auch mehr von der Atmosphäre ihrer Umgebung wahrnehmen zu können.

Dafür komplementiert der wenige aber unterstützenden Text die Bilder sehr gelungen und trägt zum Verständnis der Handlung bei. Unsere possierlichen Helden werfen sich mit so viel liebenswerten Elan in ihr Abenteuer, dass es mir ganz und gar nicht schwerfiel, sie in mein Herz zu schließen…!


erschienen bei aracari/ ISBN: 978-3907114216

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

Lektüre zum Fest…

Ende August stand ich bei sommerlichen Temperaturen schwitzend in Shorts und T-Shirt im Supermarkt, starrte fassungslos auf das „Jahresend-Gebäck“, das sich im Kassenbereich stapelte, und dachte gleichzeitig „Langsam wird’s Zeit…!“

Langsam wird’s Zeit, dass ich mir Gedanken mache, welche Werke ich in diesem Jahr bei „Lektüre zum Fest“ vorstellen möchte. Jedes Jahr auf’s neue muss (!) ich aus der Fülle an passender Literatur auswählen, und diese Entscheidung fällt mir nicht immer leicht. Nehme ich prinzipiell nur Neu-Erscheinungen? Greife ich beherzt auf die Back-List zurück? Oder mache ich es mir – wie schon in den vergangenen Jahren – ganz einfach und stelle Euch die Bücher vor, die mir am Besten gefielen? Ja, ich glaube, genau so mache ich es…! 😉

Was wäre ein Fest voller Liebe, Freude und Friede ohne einen zünftigen Mord? Richtig! Fad!!! Denn so ein spannender Weihnachtskrimi zur schönsten Zeit des Jahres ist wie das sprichwörtliche Salz in der Suppe: Er rundet den Geschmack ab und verhindert, dass mir von allzu viel festlicher Süße übel wird. Und so gibt es bei der kriminalistischen Lektüre auch diesmal wieder sowohl alte Freunde als auch neue Bekannte zu entdecken.

  • Nicholas Blake – Das Geheimnis des Schneemanns
  • Georges Simenon – Weihnachten bei den Maigrets
  • Gilbert Adair – Oh dear! Miss Mount und der Mord im Herrenhaus
  • Agatha Christie – Das Geheimnis von Sittaford

Doch natürlich kommt bei mir auch „die festliche Süße“ nicht zu kurz, die sich hemmungslos über eine abwechslungsreiche Auswahl an Klassikern, Erzählungen und Geschichten für (beinah) jedes Alter ergießt und so für eine wohltuende Dosis Kitsch für die Feiertage sorgt.

  • Nancy Campbell – Fünfzig Wörter für Schnee
  • Thierry Dedieu – Auf der Suche nach dem Schneemann
  • Siegfried Lenz – Das Wunder von Striegeldorf. Eine Weihnachtsgeschichte/ mit Illustrationen von Franziska Harvey
  • Anthony Trollope – Weihnachten auf Thompson Hall/ mit Illustrationen von Irmela Schautz
  • Charles Dickens – Ein Weihnachtsmärchen/ mit Illustrationen von Lisbeth Zwerger
  • Tage des Lesens. Lektüre zwischen den Jahren/ herausgegeben von Gesine Dammel

Einige Werke sind schon im vergangenem Jahr (…oder im Jahr davor?) erschienen und hatten es leider nicht in meine letztjährige Auswahl geschafft: Dies hole ich nun mit Freude nach!

Ich wünsche Euch von Herzen sowohl kriminalistische wie auch besinnliche Lese-Stunden!

Liebe Grüße
Andreas

[Rezension] Claire Gratias – Hör auf zu lesen!/ mit Illustrationen von Sylvie Serprix

Der kleine Rattenjunge Horatio hat schon eine ganz klare Vorstellung, was er später einmal werden möchte: Leseratte. Doch seine Eltern sind wenig begeistert und können seine Liebe zum Lesen nicht verstehen. Ihnen wäre es lieber, wenn ihr Sohn etwas ganz „normales“ machen würde, wie z. Bps. Fernsehen gucken. Doch Horatio liest, wann immer es geht und wo immer er gerade ist. Dabei vernachlässigt er seine Pflichten, und selbst in der Schule passt er nicht mehr richtig auf. Alle Ermahnungen prallen an ihm ab: So sind seine Eltern mit ihrer Geduld am Ende und greifen zu einer radikalen Maßnahme. Sie verschließen alle Bücher von Horatio in einem großen Koffer. Horatio ist verzweifelt. Ohne seine Bücher erscheint ihm das Leben so viel langweiliger. Doch dann hat er eine ungewöhnliche Idee: Er bewirbt sich als Kandidat bei der beliebten Ratten-Rate-Show zum Fachgebiet „Literatur“…!

Was ist an einem Bilderbuch das wichtigste Element? Naja, die Fragestellung implementiert scheinbar schon die Antwort: die Bilder. In diesem Fall schuf Sylvie Serprix farbenfrohe Bilder, die durch Bleistiftzeichnungen aufgebrochen werden und so die Gedanken der Protagonisten oder eine Nebenhandlung illustrieren. Über alles „verschüttet“ sie Buchstaben oder lässt sie über die Seiten durch Horatios Phantasie tanzen. Aus Buchstaben werden Wörter, aus Wörter werden Sätze, und aus den vielen Sätzen formen sich all die wunderbaren Geschichten, denen Horatio nicht widerstehen kann (und wir schlussendlich ja auch nicht).

Und nun kommt Autorin Claire Gratias ins Spiel, die mit ihrer charmanten Fabel erst den passenden Rahmen für Sylvie Serprix Kunst schafft. Die Welt unserer kleinen Leseratte mutet zwar durchaus phantastisch an, bietet doch ausreichend Anknüpfungspunkte zur Identifikation für die kleinen Leser*innen und punktet mit einer liebenswert-sympathischen Charakterisierung der Figuren. Zudem erscheint mir der Text auch sehr vorlesefreundlich zu sein und bietet mit seinen prallen Charakteren viel Potential für einen spannenden Vortrag.

Die Botschaft ist klar und unmissverständlich: Wenn du für etwas brennst, dann darfst du auch dafür einstehen! Unsere kleine Leseratte muss dies seinen Eltern erst begreiflich machen: Auch wenn Horatios Lösung beinah wie ein Widerspruch wirkt, so holt er doch seine Eltern dort ab, wo ihre Interessen zu liegen scheinen, und weist ihnen damit den Weg zu Toleranz und Akzeptanz.

Vor wenigen Wochen erschien mit „Lies mit mir!“ eine sicherlich ebenso reizende Fortsetzung: Wir dürfen gespannt sein, wie Horatios Geschichte weitergeht.


erschienen bei Anaconda/ ISBN: 978-3730609026

[Rezension] Lupita Nyong’o – Sulwe/ mit Illustrationen von Vashti Harrison

Vorwort: Vor einiger Zeit blieb ich beim Zappen durch die Fernsehprogramme beim Sender „arte“ hängen. Dort lief eine Reportage über eine Studie in den USA. Dabei wurden Kindern mit dunkler Hautfarbe zwei Puppen gezeigt. Die eine Puppe hatte eine helle Haut, die andere Puppe hatte einen dunklen Haut-Ton. Die Kinder, die zwischen 4-6 Jahre alt waren, wurden gefragt, welche Puppe sie schöner fänden. Alle zeigten auf die „weiße“ Puppe. Dann wurden sie gefragt, welchen Haut-Ton sie mit schlecht/böse verbinden. Ausnahmslos alle Kinder zeigten auf die „schwarze“ Puppe. Bei der dritten Frage, welche Puppe ihnen selbst ähnlich sieht, blieb mir als Zuschauer beinah das Herz stehen. Alle Kinder deuteten auf die dunkle Puppe und wirkten dabei ängstlich, traurig und verzweifelt. Einige Kinder brachen sogar in Tränen aus. Mir selbst liefen in dem Moment die Tränen über das Gesicht, und ich fragte mich, was in unserer Gesellschaft – verdammt nochmal – so schief läuft, dass diese kleinen unschuldigen Menschenkinder mit einem solchen Stigma aufwachsen müssen. Am liebsten hätte ich jedes von ihnen in die Arme genommen, getröstet und ihnen gesagt, dass sie ganz außergewöhnliche, einzigartige und wundervolle Geschöpfe sind.

Sulwe ist traurig: Sie sieht so ganz anders aus wie ihre Familie. Während Mama, Papa und ihre Schwester viel hellere Haut haben, ist ihre Haut mitternachtsfarben. Und wegen dieser Hautfarbe wird sie in der Schule gehänselt und ausgegrenzt. All ihre Versuche, ihre Haut aufzuhellen, schlagen fehl. Sogar ihr Gebet an den lieben Gott bleibt scheinbar ungehört. Mama versucht sie zu trösten, erklärt ihr, dass das Leuchten der Schönheit von innen kommt, und erinnert sie an die Bedeutung ihres Namens: Stern! In der gleichen Nacht erscheint Sulwe eine Sternschnuppe und lädt sie zu einer Reise in die Vergangenheit ein. Seit ewigen Zeiten gab es zwei Schwestern, die sich sehr lieb hatten, und gänzlich unterschiedlich waren. Sie hießen „Tag“ und „Nacht“ und waren sehr glücklich miteinander. Aber die Menschen behandelten die Schwestern sehr unterschiedlich: Während sie „Tag“ verehrt, verfemten sie „Nacht“. „Nacht“ war darüber so traurig, dass sie ihre Schwester verlies. Fortan war immer nur „Tag“, doch die Menschen erkannten, dass sie beide Schwestern brauchen, und jede Schwester für sich ihre eigene unverwechselbare Schönheit hat. Und als Sulwe am nächsten Morgen aufwachte, hatte sie erkannt, dass zur Schönheit eines Menschen mehr gehört als der Ton seiner Haut…!

Diversität: Dieser Begriff ist momentan in aller Munde. Beinah drängt sich mir der Eindruck auf, dass alles und jeder – von Institutionen bis Prominente – sich mit diesem Begriff schmückt, um möglichst hipp und weltoffen zu wirken. Vieles Gutes wurde durchaus schon erreicht, doch einiges erscheint mir auch wie Augenwischerei. Die weltweiten Ereignisse der jüngsten Vergangenheit offenbaren schmerzlich, dass noch vieles zu tun ist…!

Autorin Lupita Nyong’o legt gemeinsam mit Illustratorin Vashti Harrison ein wunderbares Bilderbuch vor, dass die Realität eines kleinen Mädchens zwar nicht beschönigt aber durchaus kindgerecht abmildert: Rassismus und Mobbing ist leider auch schon für Kinder real existent. Dabei verpacken sie Sulwes Reise in stimmige Texte und stimmungsvolle Bilder. Nyong’o spiegelt in ihren Texten glaubhaft den Alltag eines Kindes, lässt dabei den Humor nicht vermissen und wählt für Sulwes nächtliches Abenteuer einen märchenhaften Ton. Harrison bedient sich für ihre Illustrationen vornehmlich bei den Farbgruppen „blau-violett“ und „gelb-gold“ und schafft durch diese Kontrastierung, die Farben in all ihren Schattierungen wirken zu lassen. Zudem ist die Haptik des Einbands angenehm samtig, und der überlegte Einsatz von Gold und Glitzer macht das Bilderbuch sehr edel. Auch die weiteren gestalterischen Details überzeugen: So sind die Muster der Vorsatzpapiere den Kleidern der Schwestern „Tag“ und „Nacht“ nachempfunden, ein Poster liegt ebenso bei, und ein Hinweis verweist auf ein Malbuch zum Download.

Lupita Nyong’o und Vashti Harrison ist gemeinsam ein berührendes Plädoyer für ein liebevolleres Miteinander gelungen, das ebenso ein Statement für Toleranz und Akzeptanz setzt. Jetzt braucht es von diesem wichtigen Bilderbuch nur noch eine Variante für Jungs, damit auch sie eine entsprechende Identifikationsfigur haben. Aber vielleicht ist es auch schon „in Arbeit“…!


erschienen bei Mentor/ ISBN: 978-3948230180

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!