LESE-HIGHLIGHTS 2024…

Altes Jahr vergeht.
Wange in die Hand gestützt,
blicke ich ihm nach.

Chô-i

So wie der japanische Dichter Chô-i es zwar knapp aber treffend schon vor hunderten von Jahren beschrieben hatte, erging es mir beim Schreiben dieses Beitrags.

Ich schaue auf das Jahr 2024 mit gemischten Gefühlen: Da gab es so manche Krisen bzw. krankheitsbedingte Rückschläge, die mich zum Nachdenken zwingen… (Nein! Ich werde nicht gezwungen. Vielmehr werde ich aufgefordert.) …die mich zum Nachdenken auffordern. Ich empfinde es wahrlich nicht als Zwang. Ich sehe es vielmehr als Chance! Im Neuen Jahr wird es Veränderungen geben: Wie und in welchem Umfang wird sich noch entscheiden. Um langfristig gesund zu bleiben, sollte sich in meinem Leben allerdings einiges ändern.

Doch natürlich gab es nicht nur Krisen: Gottlob wurde ich mit vielen Glücksmomenten – kleinen wie größeren – beschenkt. Ich durfte viel Qualitätszeit mit meinen Herzensmenschen verbringen, erlebte etliche inspirierende Stunden im Theater und Konzert und las einige wunderbare Bücher.

Diese Aspekte meines Lebens werde ich ganz sicher nicht ändern!

Bei der Auswahl der Bücher bin ich mir gänzlich treu geblieben. Die Zeiten, in denen ich dachte, ich müsste hier mit der Vorstellung intellektuell herausfordernder Literatur meine Follower*innen beeindrucken, sind längst passé. Ich lese, was mir gefällt – unabhängig vom Alter des Werkes bzw. für welches Lesealter es ursprünglich vorgesehen war. Es gibt für mich nur eine einzige Voraussetzung: Ich möchte mich unterhalten fühlen!

Und hier sind sie nun endlich, meine Lese-Highlights des Jahres 2024…


Lese-Highlights 2024 - Buchcover


  • Ende Februar wurde der 125. Geburtstag von Erich Kästner gefeiert. Und auch ich ließ es mir nicht nehmen, diesen großartigen Romancier – neben einer kleinen RETROSPEKTIVE – mit Rezensionen zu DAS MÄRCHEN VOM GLÜCK und DAS MÄRCHEN VON DER VERNUFT zu gratulieren. Beide Bücher wurden phantasievoll von Ulrike Möltgen illustriert.
  • Im März tat ich etwas, was längst überfällig war: Es war mir eine große Freude, Heinrich Spoerls „Loblied auf die Schule“ DIE FEUERZANGENBOWLE zu lesen.
  • Ebenfalls im März begeisterte mit Kathrin Aehnlich mit ihrem Roman DER KÖNIG VON LINDEWITZ. Immer wieder schafft sie es, den Menschen im Osten unsere Landes eine Stimme zu geben.
  • Im April hielt ich dann das wunderbare Lese- und Bilderbuch FESTE DER WELT mit den Texten von Joanna Kończak in den Händen, das von Ewa Poklewska-Koziełło ebenso wunderbar illustriert wurde.
  • Der Mai bescherte mir mit DER TWYFORD-CODE von Janice Hallett einen ganz ungewöhnlichen Roman, der komplett aus Transkriptionen von Audiodateien bestand. Spannend!
  • Absolut Entzückendes erwartete mich im August mit SO ZÄRTLICH WAR SULEYKEN von Siegfried Lenz. Dieses kleine ostpreußische Dorf im Masurenland mit seinen liebenswert-kauzigen Menschen war mir schnell ans Herz gewachsen.
  • Im September feierte auch ich den Weltkindertag: Grund genug mich mit MEIN GROSSER MÄRCHENSCHATZ. Das Original aus den 70ern der Brüder Grimm auf eine kleine Zeitreise in meine eigene Kindheit zu begeben.
  • Der September überraschte mich auch mit dem Erzählband MÖCHTE DIE WITWE ANGESPROCHEN WERDEN, PLATZIERT SIE AUF DEM GRAB DIE GIESSKANNE MIT DEM AUSGUSS NACH VORN von Saša Stanišić, das mich so sehr begeistern konnte.
  • Im Oktober wurde es schaurig-schön mit DAS PHANTOM DER OPER von Gaston Leroux in der überzeugenden Neu-Übersetzung Rainer Moritz.
  • Der Oktober blieb weiter spannend, da ich mit Sasha Filipenko und seinem Krimi  DER SCHATTEN EINER OFFENEN TÜR einen sehr interessanten Autor entdeckte.
  • Ende November geschah ein kleines Wunder, das mich selbst überraschte: Mit Agatha Christies HERCULE POIROTS WEIHNACHTEN von Isabelle Bottier (Text) und Callixte (Illustrationen) konnte mich endlich eine Graphic Novel überzeugen.
  • Im Dezember wurde es humorvoll-besinnlich mit den entzückenden Geschichten wie DER GESTOHLENE WEIHNACHTSBAUM von Hans Fallada, zu denen Ulrike Möltgen (wie schon bereits bei Erich Kästner) ihre zauberhaften Illustrationen beisteuerte.

…und das war er wieder, mein Lese-Rückblick auf das Jahr 2024, das wir in wenigen Tagen ad acta legen können. Da bleibt mir nur noch eins:

Ich wünsche Euch einen guten Rutsch ins Neue Jahr 2025!

Liebe Grüße
Andreas

[Rezension] Siegfried Lenz – SO ZÄRTLICH WAR SULEYKEN

Allein der Titel klingt wie ein Versprechen…!

Suleyken: dieses kleine ostpreußische Dorf im Masurenland, das mit seinen knapp über 300 Einwohnern und ohne Anschluss an eine Bahnverbindung kaum einer Erwähnung wert wäre. Hätte es da nicht diesen Literaten gegeben, der den dort lebenden Menschen mit seinen Geschichten ein literarisches Denkmal setzte.

Siegfried Lenz lässt als Ich-Erzähler die Leserschaft sehr nah an sich und seine Figuren heran. Da werden wir direkt von ihm angesprochen und aufgefordert, uns einen eigenen Eindruck von den manchmal merkwürdig anmutenden Geschehnissen in Suleyken zu machen. So lernen wir Hamilkar Schaß, den Großvater des Erzählers, kennen, der als hochgebildet gilt, da er eine ausgeprägte Liebe zur Literatur pflegt. Diese Liebe ist so mächtig, dass weder ein dramatischer feindlicher Überfall noch die Einberufung zu den Kulkaker Füsiliere seine Lese-Sucht stoppen kann. Dank dieser Sucht bleibt unser wackerer Hamilkar Schaß selbst bei den zähen Verhandlungen um die Poggenwiese völlig entspannt und lässt sich durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen. Der Erfolg gibt ihm Recht.

Doch auch die anderen Leut’ in diesem kleinen Dorf bezaubern durch eine listige Bauernschläue und einem recht ursprünglichen Gefühl für Ehre. Bei ihrer sehr eigensinnigen Auslegung von Recht und Ordnung, die durchaus auch sehr handgreiflich ausgetragen werden kann, sind sie niemals bösartig, hinterhältig oder gemein. So würde Alec Puch nie von Diebstahl sprechen, wenn er für sich und seine Söhne Köstlichkeiten für das Osterfest „organisiert“ (s.a. DER OSTERTISCH). Ich glaube, dass das Adjektiv „plietsch“ es am ehesten beschreibt.

Der Obrigkeit stehen die Bewohner*innen von Suleyken durchaus mit Respekt, doch nicht übermäßig ehrerbietig gegenüber. Verordnungen sind dafür da, – Naja! – um für Ordnung zu sorgen. Doch oftmals entspricht diese Ordnung nicht den Vorstellungen der Dorfbewohner*innen. Da beherbergt Jadwiga Plock, die – obwohl seit Jahren Witwe – es sich nicht nehmen lässt, regemäßig strammen Kindern das Leben zu schenken, eine mehr-köpfige Gesundheits-Kommission äußerst geduldig und gastfreundlich in ihrem Heim. Diese Kommission ist extra zusammengekommen, um die Plocksche Kinderschar zu impfen. Dumm nur, dass diese sich direkt nach Ankunft im nahen Wald versteckt hat und erst wieder auftaucht, als die Kommission nach Wochen des Ausharrens unverrichteter Dinge wieder abzieht.

Vielmehr tragen die Suleykener*innen ein gütiges Herz in ihrer Brust, das oftmals auch auf der Zunge zu finden ist. Doch manches Mal schlägt dieses Herz so voller Macht bis zum Hals, dass das Sprechen kaum möglich scheint. Wie sonst wäre der ungewöhnliche Heiratsantrag zu erklären, den der große, schweigsame Holzfäller Joseph Waldemar Gritzan seiner angebeteten Maid Katharina Knack macht (s.a. EINE LIEBESGESCHICHTE). So lässt der Autor vor unserem inneren Auge prägnante Porträts von einfachen Menschen entstehen, die stets sehr viel Wärme ausstrahlen und nie die Wertschätzung vermissen lassen.

Doch schon im Jahre 1955, als Siegfried Lenz diese zwanzig gar kunstvollen „Masurischen Geschichten“ zu Papier brachte, gab es das von ihm beschriebene Masurenland nicht mehr. Selbst direkt um die Ecke in der Stadt Lyck geboren, wurde Suleyken für ihn zum Sehnsuchtsort seiner Kindheit, zur Erinnerung an eine längst vergangene Zeit. Seine Figuren sind urwüchsig, skurril und gütig. Sie stolpern von der einen in die nächste unglaubliche Geschichte, die Lenz liebevoll mit schelmischen Witz, feiner Sensitivität und einem unverwechselbaren Charme erzählt.

Ach, Syleyken, du bist mir so sehr ans Herz gewachsen!


erschienen bei Hoffmann und Campe / ISBN: 978-3455405309
ebenfalls erschienen bei Fischer/ ISBN: 978-3596203123 und 978-3596520879

URLAUBSLEKTÜRE 2024

🌞

Sommer, Sonne, Sandstrand…!

In wenigen Tagen beginnen hier in Niedersachsen die Sommerferien und somit begeben sich viele meiner Mitmenschen auf eine urlaubsbedingte Völkerwanderung. Doch bevor es so richtig losgehen kann, stürzen sich einige freiwillig in den Vor-Urlaubs-Stress beim Abarbeiten div. To do-Listen: Da werden Klamotten zurecht gelegt, scheinbar unentbehrliche Utensilien zusammengestellt sowie Papiere und Unterlagen griffbereit platziert. Absprachen mit Nachbarn, Verwandtschaft oder Freunden werden getroffen, damit auch Tiere und/oder Zimmerpflanzen versorgt sind und der Briefkasten regelmäßig geleert wird. Ach, und hat jemand die Zeitung abbestellt? Die To do-Liste weist zu diesem Posten einen beruhigenden Haken auf, was ein erleichterndes Ausatmen zur Folge hat.

Allerdings zweifle ich ernsthaft daran, dass auf wirklich jeder To do-Liste einer der wichtigsten Posten verzeichnet ist:

🔲 sich mit ausreichend Urlaubslektüre in der Buchhandlung des Vertrauens eindecken

Doch was wäre ein Urlaub ohne eine unterhaltsame Urlaubslektüre? Es wäre wie BA ohne AB, wie Hila ohne Voku, wie Doof ohne Dick – genau, es wäre doof.

Ein Urlaub ohne Urlaubslektüre wäre einfach nur doof!

Darum habe ich es mir nicht nehmen lassen, aus den von mir gelesenen Büchern der vergangenen 12 Monate eine kleine, urlaubstaugliche Auswahl zu treffen. Da nehmen die Krimis unübersehbar den deutlich größten Raum ein. Aber ihr müsst zugeben: Krimi und Urlaub passen einfach sensationell gut zusammen!

Urlaubslektüre 2024-1

MORD AUF DER KREUZFAHRT von Nicholas Blake
🌈 EIN SPIEL ZUVIEL von P.D. James
WIE EIN HAUCH IM WIND von Josephine Tey

Urlaubslektüre 2024-2

🌈 NEUN LEBEN von Peter Swanson
LACROIX UND DIE TOTEN VOM PONT-NEUF von Alex Lépic
🌈 DER TWYFORD-CODE von Janice Hallett

Urlaubslektüre 2024-3

LEB WOHL, MISTER CHIPS von James Hilton
🌈 WER BRAUCHT SCHON WUNDER von Anne Müller
SO ZÄRTLICH WAR SULEYKEN von Siegfried Lenz

Und so gibt es neben den eher klassischen bzw. klassisch-angehauchten Kriminalromanen auch drei neuere Werke aus dem Genre der Spannungsliteratur zu entdecken. Trotzdem kann ich euch zu den Krimis auch noch zwei wunderbare Romane bieten, die mir beide – jeder auf seiner ganz besonderen Weise – sehr gefallen haben. Zu meinem letzten Vorschlag gibt es doch tatsächlich noch keine Rezension hier auf meinem Blog: Die Erzählungen in SO ZÄRTLICH WAR SULEYKEN von Siegfried Lenz lese ich gerade selbst, bin aber so begeistert von den entzückenden und warmherzigen Geschichten, dass ich sie euch nicht vorenthalten wollte.

Sowohl bei der Suche als auch bei der Beschaffung dieser oder einer anderen Urlaubslektüre ist Euch mit Freude die Buchhandlung Eures Vertrauens behilflich! 💖

Ich wünsche Euch einen wunderbaren Urlaub
mit viel Spaß beim entspannten Schmökern!!!

🌞

[Rezension] Siegfried Lenz – EINE LIEBESGESCHICHTE. Zärtliches aus Suleyken/ mit Illustrationen von Franziska Harvey

Wo die Liebe so hinfällt! Manchmal braucht sie Zeit zur Entfaltung, muss wachsen und reifen. Dann schlägt sie ein wie ein Blitz, trifft gänzlich unvorbereitet aus heiterem Himmel. So oder ähnlich muss es auch Joseph Waldemar Gritzan ergangen sein, als er zum ersten Mal Katharina Knack erblickte…

Da steht er nun, dieser große, schweigsame Holzfäller, und ist bis über beide Ohren verliebt. Amor hat ihn nicht nur mit einem kleinen Pfeil getroffen, gefühlsmäßig steckt eine stattliche Axt zwischen seinen Schulterblättern. Er weiß nicht, wie er sich seiner Angebeteten erklären soll, aber er ist sich sicher, dass kein Weg an ein Ehebündnis vorbei führt. So besorgt er sich beim Pfarrer von Suleyken vorsorglich einen Taufschein. Doch die holde Maid weiß noch nichts von ihrem Glück. Vielmehr kniet sie ahnungslos am Flussufer und walkt die Wäsche, bis sich dieser stille Hüne zu ihr setzt. Da sitzen sie nun nebeneinander, schauen über Wiesen und Wälder und werfen sich verstohlene Blicke zu, bis er in die Tasche greift und scheu fragt „Lakritz?“


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„Entzückend…!!!“ kann ich nach der Lektüre dieser kleinen, durch und durch charmanten Geschichte nur ausrufen. Während ich die drolligen Bilder von Franziska Harvey betrachtete, umspielte ein Lächeln meine Lippen. Wie schon bei DAS WUNDER VON STRIEGELDORF. Eine Weihnachtsgeschichte hat sie auch hier wieder berückende Illustrationen geschaffen, die sowohl mit einer gewinnenden Leichtigkeit die Atmosphäre im ländlichen Dörfchen Suleyken im ostpreußischen Masuren einfangen, wie auch die von Siegfried Lenz erschaffenen Figuren sympathisch und gar trefflich charakterisieren.

Möglich machten dies natürlich die Worte des großen Meisters: Siegfried Lenz Sprache ist einfach gehalten. Seine Sätze überzeugen durch ihre schlichte Poesie und berühren so mein Herz als Leser viel unmittelbarer. Er trifft den Kern einer Szene, ohne dass der Blick von literarischem Firlefanz abgelenkt wird. Das Ganze umhüllt er mit einem gut dosierten Hauch Ironie, der nicht bloßstellt und nie verletzend wirkt. Da wirft er zwar durchaus einen humorvollen doch nie diffamierenden Blick auf seine Schöpfungen und ihre Beweggründe. Voller Respekt und Liebe porträtiert er die einfachen Menschen aus dem Masurenland und schenkte der literarischen Welt Typen voller schlichter Eleganz und mit immens viel Herzenswärme.

Ich wünsche Euch heute
einen wundervollen VALENTINSTAG!

💞


erschienen bei cadeau (bei Hoffmann und Campe)/ ISBN: 978-3455381344

[Rezension] Die Wunder zu Weihnachten. Geschichten, die glücklich machen/ herausgegeben von Clara Paul

Ach, Glück, was ist das schon! Alle hecheln ihm hinterher, doch nur die wenigsten werden ihm habhaft. Und sollte ich ihm mal habhaft werden, was passiert dann? Bin ich dann für immer und ewig, sozusagen gänzlich allumfassend zufrieden? Aber kann „glücklich sein“ wirklich ein dauerhafter Zustand sein? Ist es nicht eher nur ein kurzer Moment, kaum da und nach nur einem Wimpernschlag auch schon wieder fort – einem Schmetterling gleich, der von Blüte zu Blüte flattert?

Und hier verspricht uns Herausgeberin Clara Paul gleich ein ganzes Buch mit Geschichten, die glücklich machen – sozusagen 230 Seiten pures Glücksgefühl! „Na!“ dachte ich so bei mir „Wenn sie da mal nicht den Mund etwas zu voll genommen hat!“ und begann zu lesen – und ich las und las und las…

  • …von „Das Geschenk“, das Hauslehrer Justus unverhofft dem Schüler Martin macht (aus „Das fliegende Klassenzimmer“ von Erich Kästner),
  • …von „Der Schatz des Kindes“ (Antoine de Saint-Exupéry), das die Kleinsten uns Erwachsenen einem Geschenk gleich am Heiligen Abend bereiten,
  • …von dem bescheidenen Wunsch eines armen Mannes nach einem tierischen Weggefährten, der ihm in „Stille Nacht Zaubernacht“ (Dominique Marchand) durch einen Zauberer erfüllt wird,
  • …von den beiden kleinkriminellen aber höchst sympathischen Hallodris, die an Heiligabend „Das Wunder von Striegeldorf“ (Siegfried Lenz) erleben dürfen,
  • …von „Der Große Karpfen Ferdinand“ (Eva Ibbotson), der beim Weihnachtsfest das Leben einer ganzen Familie erschüttert,
  • …von Eltern, die in ihrem Übereifer für „Der doppelte Weihnachtsmann“ (Paul Maar) sorgen und dies ihrem Sprössling plausibel erklären müssen,
  • …von einem Doktor, der in trauter Runde eine „Weihnachtsgeschichte“ (Guy de Maupassant) zum Besten gibt, die von einem Wunder handelt, das er höchstpersönlich erlebt hat,
  • …von „Felix holt Senf“ (Erich Kästner), der für diese scheinbar simple Aufgabe ganze fünf Jahre benötigte, während seine Eltern ihm Jahr für Jahr die Bockwürste warm halten,
  • …von einer Mutter, die auf die Frage ihres Sohnes „Was war das für ein Fest?“ (Marie Luise Kaschnitz) dieses widerwillig zu erklären versucht und trotz aller negativen Beschreibungen ihm den Zauber nicht gänzlich nehmen kann,

…und ich las viele, viele weitere wunderbare Geschichten von namhaften Autor*innen, die alle von wundersamen Begegnungen, unglaublichen Begebenheiten und besinnlichen Momenten zu berichten wussten.

Da saß ich nun in meinem Lesesessel und war ganz in diesem Buch vertieft: Manchmal hielt ich vor Spannung den Atmen an, manchmal lachte ich amüsiert laut auf, und manchmal kullerte eine Träne der Rührung meine Wange hinunter. Ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus, und ließ mich einen wohligen Seufzer ausstoßen.

Sollte mich da beim Lesen dieser Geschichten vielleicht tatsächlich ein Hauch von Glück gestreift haben…? ✨


erschienen bei Insel/ ISBN: 978-3458361015

[Rezension] Siegfried Lenz – Der Ostertisch/ mit Illustrationen von Jacky Gleich

Ein Schrei tönt über das Deck des Schleppkahns von Alec Puch und lässt dessen drei Söhne Sybba, Schissomir und Quaken, benannt nach den masurischen Ortschaften in denen sie zur Welt kamen, erst aus dem Schlaf und dann aus den Hängematten schrecken. Ihr Vater steht weinend an Deck: Ostern naht und noch nichts ist für den Ostertisch parat. Wenn sie da nicht schleunigst Abhilfe schaffen, wird das Osterlamm sich mit seinem Erscheinen wohl ebenfalls Zeit lassen. Doch der schöne und prachtvolle Alec Puch ist ein wahrer Stratege und hat schon so einiges zustande gebracht – und damit sind nicht nur seine schönen und prachtvollen Söhne von drei ebenso schönen und prachtvollen Frauen gemeint. Und so machen sie sich auf den Weg ins nahe gelegene Örtchen und schlawinern sich die Zutaten für ihr Ostermahl zusammen: Stehlen könnte man es nicht nennen, vielmehr handelt es sich um eine Umverteilung der Güter. Doch zurück auf dem Kahn geht Papa Puchs Klagen von vorne los, denn was wäre ein richtiger Ostertisch ohne Ostergäste. So strömen die Knaben wieder in dem Örtchen aus, um Einladungen auszusprechen. Viele können nicht kommen, da schon andere Verpflichtungen sie vereinnahmen. Und die drei Gäste, die erscheinen, sind justemang die, denen Puch und seine Racker um die Leckereien für ihren Ostertisch erleichtert haben. Doch noch bevor die feierliche Stimmung kippt, steht plötzlich ein weißes, unschuldiges Lamm am Ufer des Flusses. Wer mag da nicht an ein friedvolles Wunder glauben…!

Wie schon in Das Wunder von Striegeldorf lässt Lenz auch hier den Flair seiner ostpreußischen Heimat wiederaufleben und zeichnet seine Figuren voller liebenswerten Witz. Der Hallodri Alec Puch steht dabei so einnehmend sympathisch im Mittelpunkt des Geschehens und amüsiert mit seinen kruden Ideen und seinem unkonventionellen Handeln. Dabei bringt er seinen drei Söhnen so viel Herzenswärme und Liebe entgegen, dass man ihm so manche Unzulänglichkeit verzeiht. Und auch die drei diebischen Knaben sind so schelmisch porträtiert, dass man ihnen einfach nicht böse sein kann. Haben sie doch alle gemein, dass sie das Herz am rechten Fleck tragen und uns so durch ihren Charme bezaubern.

Jacky Gleichs Illustrationen greifen den Ton der Erzählung gut auf, karikieren die Dorfbewohner amüsant und gefallen mir besonders in der Darstellung des Vaters und seiner Söhne.

Bei so viel entzückender Naivität erscheint das Lamm als Symbol für Reinheit sehr passend. Gleichzeitig gilt es allerdings auch als Symbol des Lebens und steht für Christis Auferstehung zu Ostern, der sich für die Menschheit geopfert und diese von ihren Sünden erlöst hat. Und so scheint es mir beinah, als würde mit dem Erscheinen des Lamms auch der Held in unserer Geschichte von seinen Sünden freigesprochen werden. Er hätte es verdient.

Beinah beiläufig flicht Lenz die Auferstehungsgeschichte mit dezenter Symbolik in sein Werk ein und präsentiert sich wieder als ein hinreißender Märchenerzähler.


erschienen bei Hoffmann und Campe/ ISBN: 978-3455013313

[Rezension] Siegfried Lenz – Das Wunder von Striegeldorf. Eine Weihnachtsgeschichte/ mit Illustrationen von Franziska Harvey

„Ich gestehe, ich brauche Geschichten, um die Welt zu verstehen.“
Siegfried Lenz

Er gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller der deutschsprachigen Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur. In seinen Werken setzte er sich immer gerne mit gesellschaftskritischen Themen auseinander, hinterfragte hierarchische Strukturen oder thematisierte die Zeit des Nationalsozialismus bzw. seine Aufarbeitung. Dabei blieb er seiner Heimat bzw. seinen Wurzeln stets verbunden. Schon die Erzählungen seines Erstlingswerks „So zärtlich war Suleyken“ siedelte er im ostpreußischen Masuren an, und auch die im Jahre 1957 erschienene Novelle „Das Wunder von Striegeldorf“ zeigt ein verspieltes Bild seiner Heimat.

Der Besenbinder Heinrich Matuschitz und der Forstgehilfe Otto Mulz sitzen für ein halbes Jahr hinter Gittern und müssen sich eine Zelle teilen. Dabei hätte das, wofür sie eingebuchtet wurden, wirklich jedem passieren können: Matuschitz hatte sich zum wiederholten Male ein Motorrad „geborgt“, und Mutz hatte aus Gram, dass sein Weib ihm mit dem Wilddieb abhandengekommen ist, „versehentlich“ den Forst abgefackelt. Nun sitzen sie einträchtig nebeneinander im Kittchen und genießen die berühmten Striegeldorfer Sonnenuntergänge. So schön, so gut – würde nicht Weihnachten nahen: Vieles könnte ein Masure hinnehmen, aber auf einen Heiligen Abend in Freiheit könnte er nicht verzichten. So hecken die beiden Schlitzohren eine List aus, wie sie unbemerkt aus dem Gefängnis entwischen können, um diesen Abend in ihrem Sinne zu begehen. Danach würden sie auch ganz sicher wieder zurückkommen, um ihre restliche Strafe abzusitzen. Gesagt, getan – doch als die beiden Schwerenöter wieder ins Gefängnis hinein möchten, wird ihnen der Zugang verwehrt. Da sie ja nicht offiziell ausgebrochen sind, können sie somit auch nicht wieder einbrechen…!

Lenz lässt die Ereignisse seiner kleinen, charmanten Geschichte von einem namenlosen Ich-Erzähler im Plauderton berichten, der sich als Großneffe von Matuschitz outet. Der persönliche Aspekt bietet so die Möglichkeit, die Geschehnisse in einem wohlwollenden Licht zu beleuchten. Die beiden kriminellen Hallodris werden mit reichlich Sympathie bedacht, die auch auf die Leserschaft abfärbt. Man kann diesen beiden Schlawinern einfach nicht böse sein. Ganz im Gegenteil – vielmehr erhalten sie unsere volle moralische Unterstützung beim Überlisten der Obrigkeit, die dabei ganz und gar nicht vorteilhaft porträtiert wird. Voller urwüchsigem Charme und mit einer üppigen Portion Bauernschläue versehen, lassen sich die Beiden durch den Heiligen Abend treiben und gestalten diesen ganz nach ihrem Gusto. Dabei scheren sie sich nicht um Konventionen, sind in ihrem Spiel niemals böse, sondern vielmehr sehr darauf bedacht, dass niemand Schaden nimmt.

Franziska Harvey fängt in ihren drolligen Illustrationen die Atmosphäre des vergangenen Ostpreußens ganz wunderbar ein. Sie ironisiert wo nötig ohne den märchenhaften Charakter der Geschichte unbeachtet zu lassen. Dabei schafft sie eine solche Einheit zwischen Bild und Text, dass ich mir diese Geschichte ohne ihre Illustrationen nicht mehr vorstellen könnte.

Siegfried Lenz schuf eine ganz und gar herzerwärmende Geschichte, die durch die Kunst der Illustration noch verfeinert wurde…!!!


erschienen bei cadeau (bei Hoffmann und Campe)/ ISBN: 978-3455380835