[Oper] Missi Mazzoli – BREAKING THE WAVES (DEA) / Stadttheater Bremerhaven

Oper von Missy Mazzoli / Libretto von Royce Vavrek / nach dem gleichnamigen Film von Lars von Trier / Deutsche Erstaufführung / in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere: 6. Mai 2023 / besuchte Vorstellung: 21. Mai 2023

Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus


Musikalische Leitung: Davide Perniceni
Inszenierung: Toni Burkhardt
Bühne: Wolfgang kurima Rauschning
Kostüme: Adriana Mortelliti
Choreinstudierung: Mario Orlando El Fakih Hernández


Ich saß im Theater, schaute auf die Bühne, und Tränen rannen über meine Wangen…!

Die naive und psychisch labile Bess verliebt sich in den Offshore-Ölrigger Jan und heiratet ihn entgegen der Zweifel der Ältesten ihrer tiefreligiösen calvinistischen Gemeinde. Als Jan nach einer kurzen doch glücklichen gemeinsamen Zeit wieder zur Bohrinsel zurückkehren muss, betrauert Bess die Trennung so sehr, dass sich ihre psychischen Probleme wieder manifestieren, die sie bisher mit Medikamenten gut kontrollieren konnte. In dieser Situation ist ihr ihre strenge Mutter keine Unterstützung, die der Meinung ist, dass jeder noch so harte Schicksalsschlag stoisch ertragen werden muss. Hilfe erfährt sie von ihrer Schwägerin Dodo, der Frau ihres verstorbenen Bruders, die sich immer wieder schützend zu ihr stellt. Doch auch sie kann nicht verhindern, dass Bess zunehmend schizophrene Züge zeigt: So ist sie immer wieder im Zwiegespräch mit Gott und bittet diesen, ihren Mann wieder zu ihr nach Hause zu bringen. Kurz darauf erleidet Jan auf der Bohrinsel einen fast tödlichen Unfall und wird ins Krankenhaus auf dem Festland gebracht. Als Bess erfährt, dass der Unfall Jan fast vollständig gelähmt hat, glaubt sie, dass es ihre Schuld sei. Schließlich hat sie Gott inständig gebeten, Jan zu ihr nach Hause zu bringen. Jan weiß, dass Bess niemals ihr Ehegelübde brechen würde, glaubt aber, dass er sie daraus befreien muss, damit sie ein erfülltes Leben führen kann. Er ermutigt sie, Liebhaber zu finden und ihm davon zu erzählen, damit er sich einreden kann, sie beide würden Liebe machen. Doch Bess weigert sich, dem ungeheuerlichen Wunsch ihres Mannes Folge zu leisten. Als Jan versucht, sich durch eine Überdosis Tabletten das Leben zu nehmen, ist sie sich sicher, dass sie ihm gehorchen muss. Scheiternde Versuche, Dr. Richardson, den behandelnden Arzt ihres Mannes zu verführen, und halbherzige sexuelle Begegnungen mit Fremden gehen mit einer Verschlechterung von Jans Gesundheit einher. Als Bess einen Mann findet und Sex mit ihm hat, stabilisiert sich überraschend Jans Gesundheit, worauf Bess weitere Sex-Bekanntschaften sucht. Doch ihr Ruf holt sie ein: Ihre Mutter verachtet sie, und die Kirchenältesten verstoßen sie aus der Gemeinschaft. Bess versteht nicht warum, da sie doch dem Willen ihres Mannes folgt und seine Genesung direkt proportional zu ihren außerehelichen Aktivitäten voranschreitet. Dodo versucht ihr begreiflich zu machen, dass Jan diesen Wunsch im Fieberwahn geäußert hat. Doch Bess lässt sich nicht aufhalten: Eines Nachts wird sie von Matrosen brutal vergewaltigt und sadistisch misshandelt. Mit letzter Kraft schleppt sie sich zu Dodo und stirbt, als Jan von seiner Operation aufwacht, und sich sein Gesundheitszustand dramatisch verbessert. Die Kirchenältesten stimmen zu, dass Bess zwar ein calvinistisches Begräbnis erhält, bestehen aber darauf, dass sie als Sünderin begraben und ihre Seele der Hölle übergeben wird. Jan, der sich vollständig erholt hat, stiehlt mit Hilfe seines besten Freundes Terry die Leiche, bevor sie beigesetzt wird. Als er ihre Überreste dem Ozean übergibt, erklingen die Glocken Gottes…!


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Regisseur Toni Burkhardt kreierte eine schlüssige Inszenierung, bei der die Dramatik sich Szene für Szene logisch zwingend steigerte. Dabei fühlte er sich – trotz aller Symbolik – dem Realismus verpflichtet: So standen die Beweggründe der Protagonist*innen mit all ihren vielfältigen Emotionen im Vordergrund. Er forderte von den Sänger*innen viel und ließ sie in drastischen Bilder agieren, die manchmal für das Publikum kaum zu ertragen waren. Die erdrückende Stimmung innerhalb einer Gemeinschaft, die dogmatisch an ihren Normen festhält, sorgte auf der Bühne für eine (An-)Spannung, die bis in den Zuschauersaal spürbar war.

Bühnenbildner Wolfgang kurima Rauschning schuf eine durchlässige Metallkonstruktion, die je nach Stellung der Drehbühne unterschiedliche Perspektiven bzw. Spielräume offenbarte. Zusammen mit den stimmigen Projektionen wandelte sich so das Bühnenbild von der Ölplattform über das Krankenhaus zur Kirche, bei der drei überdimensionale Kreuze dominierten. Ein großer, anfangs noch schneeweißer Kuschelbär, dessen Fell mit fortschreitender Handlung dunkler und dunkler wurde, als wäre er dem Feuer zu nah gekommen, stand sinnbildlich für die ursprünglich reine Seele von Bess, die nach und nach zu Asche verbrannte. Auch die Kostüme von Adriana Mortelliti verweigerten sich in ihrem miefigen 70er Jahre-Look jeglichem Glamour und unterstützten vielmehr den Realismus-Gedanken des Regisseurs.

Davide Perniceni webte mit dem kammermusikalisch besetzten Philharmonischen Orchester Bremerhaven einen emotionalen Klangteppich zwischen aufbrausenden Instrumental-Sound, musikalischem Minimalismus und Industrieklänge. Mizzy Mazollis Komposition passen nicht in das gewohnte Opern-Schema: Es gibt keine klassische Ouvertüre, Arien oder Duette. Wie beim Underscoring eines Films unterstützt die Musik das auf der Bühne Gezeigte und spiegelt so äußerst individuell die Gefühlswelten der Protagonist*innen wieder. Dazu kamen große Bleche ebenso zum Einsatz, wie Metallspiralen zum Klingen gebracht wurden.

Auf dem ersten Blick scheinen die Männer die Bühne zu dominieren. Da gab es den vom Chordirektor Mario Orlando El Fakih Hernández exzellent disponierten Männerchor, aus dem einige Herren auch solistisch überzeugten, sei es James Bobby als verbissener Kirchenoberhaupt über Patrick Ruyters als sadistischer Matrosen bis zu MacKenzie Gallinger, der die ersten beiden „Freier“ von Bess mimte. Andrew Irwin zeichnete Dr. Richardson als einen mitfühlenden Charakter mit einer noblen, beinah schüchternen Zurückhaltung. Ulrich Burdack sorgte als Terry für die wenigen humorigen Momente des Abends, wenn er als Jans loyaler Freund positive Stimmung verbreitete und diesen am Krankenbett mit Bier versorgte. Marcin Hutek als Jan gelang die überzeugende Wandlung vom kraftstrotzenden jungen Kerl über den siechenden Kranken bis zum trauernden aber gereiften Mann.

Obwohl die Männer auf der Bühne in der Überzahl waren, bedurfte es nur drei herausragende Künstlerinnen, um die „Herren der Schöpfung“ in den Schatten zu stellen:

Signe Heiberg gab die Mutter mit einer beängstigenden Intensität. Diese Frau hatte alle Empfindungen tief in sich verschlossene, und doch zeigte Heiberg nur mit einem Blick oder mit einem Zucken im Gesicht, dass mächtige Emotionen unter der verhärteten Fassade tobten. Ihre Annäherungsversuche am Schluss an Tochter und Schwiegertochter wirkten beinah unbeholfen linkisch, da sie verlernt hatte, Empathie auszudrücken und weckten darum umso mehr mein Mitgefühl. Auch gesanglich variierte Heiberg ihren Sopran zwischen einem unterdrückten „piano“ und einem ausbrechenden „fortissimo forte“.
Brava,…

Boshana Milkov porträtierte Dodo als eine warmherzige und mitfühlende Frau. Zart ließ sie anklingen, dass ihre Gefühle zu Bess durchaus über denen einer Schwägerin hinausgingen. Doch niemals würde sie diese feine Grenze überschreiten, um das gemeinsame emotionale Band nicht zu zerreißen. Dabei war sie die unterstützende, haltgebende Schulter, die weder die Mutter noch Jan für Bess sein konnten, und bot sogar den Kirchenältesten mutig die Stirn. Milkovs reicher Mezzo erklang hierbei weniger protzend als vielmehr warm-umfangend.
…brava,…

Victoria Kunze schlüpfte nicht in diese Rolle, sie stürzte sich regelrecht hinein – gesanglich, darstellerisch, emotional,…! Ihre Bess taumelte zwischen Freude und Verzweiflung, zwischen Resignation und Hoffnung, war präsent und verlor sich selbst zunehmend und war dabei beängstigend nah am Wahnsinn. Gesanglich changierte sie zwischen kehlig-rauen Tönen bei den Gesprächen mit Gott bis zu den klirrenden Höhen voller Emotionalität. Hätte Victoria Kunze nicht schon im letzten Jahr den Herzlieb-Kohut-Preis erhalten, nach dieser fulminanten Leitung wäre er ihr sicher gewesen.
…bravissima!

Ich schaute auf die Bühne – eine verzweifelte Dodo schließt die sterbende Bess in ihre Arme, neben ihnen die hilflose Mutter – und Tränen rannen über meine Wangen…!

Es war wahrlich kein lustiger Opernabend: Ich verließ emotional aufgewühlt und tief bewegt das Theater. Doch ich war froh, dass ich dieser äußerst gelungenen deutschen Erstaufführung beiwohnen durfte. Das Stadttheater Bremerhaven hat abermals seinen Ruf als eine Bühne gefestigt, die abseits der großen Metropolen künstlerisch hochrangiges Theater auf die Bretter bringt. Vielen Dank!


Es gibt leider nur noch eine Vorstellung von BREAKING THE WAVES, und dann verabschiedet sich diese außergewöhnliche Oper schon wieder vom Spielplan des Stadttheaters Bremerhaven.

[Oper] Viktor Ullmann – DER KAISER VON ATLANTIS / Stadttheater Bremerhaven

Kammeroper von Viktor Ullmann / Libretto von Viktor Ullmann unter Mitarbeit von Peter Kien

Premiere: 4. Juni 2022 / besuchte Vorstellung: 11. Juni 2022
Stadttheater Bremerhaven / Havenplaza, Am Längengrad 8


Musikalische Leitung: Davide Perniceni
Inszenierung: Edison Vigil
Bühne & Kostüme: Darko Petrovic


Kein leichter Tobak – mir war von Anfang an klar, dass dieses Stück „kein leichter Tobak“ sein würde – nicht mit dem Wissen um dessen Entstehungsgeschichte: In den Jahren 1943/44 komponierte Viktor Ullmann diese Oper im KZ Theresienstadt für ein dort gegründetes Kammerensemble. Gemeinsam mit Peter Kien war er auch für das Libretto zuständig. Während der Proben wurden Texte umgestellt, verworfen oder ausgetauscht. Das Ensemble diskutierte hitzig über den Inhalt: Kann in einer Situation, wo der Tod allgegenwertig ist, ein Stück gespielt werden, indem der Tod sich verweigert?

Die Oper wurde bis zur Generalprobe geprobt. Zur Uraufführung kam es nicht mehr, da Komponist Viktor Ullmann und Librettist Peter Kien sowie ein Großteil des Ensembles nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden. Vor seiner Deportierung übergab Ullmann alle Kompositionen dem Bibliothekar vom KZ Theresienstadt…!

Der Harlekin, Personifizierung des Lebens, und der Tod philosophieren über ihr Dasein und das Leben. Zeiten des Krieges sind schwer, wenn Menschen nicht lachen und Tode keine Schrecken verursachen. Der Lautsprecher verkündet, was gleich passieren wird. Als der Kaiser von Atlantis durch den Trommler den Krieg aller gegen alle verkünden und sich zum Herrscher über Leben und Tod ausrufen lässt, verweigert der Tod den Dienst. Die Menschen können nicht mehr sterben. Anlässlich einer Hinrichtung erfährt der Kaiser vom Entschluss des Todes. Auch Alte und Kranke müssen ewig Qualen leiden. Um der aufkommenden Panik entgegenzuwirken, stellt er die Verweigerung des Todes als Befreiung von dessen Tyrannei dar. Zwei Soldaten begegnen sich auf einem Schlachtfeld. Im Kampf erkennen sie sich als Frau und Mann. Sie verlieben sich und kehren dem Krieg den Rücken. Der Trommler versucht, den Mann zu bekehren. Durch die Verweigerung des Todes ist die Welt ins Wanken gekommen und die menschliche Ordnung ins Chaos geraten. Der Trommler versucht, den Kaiser zu stützen, auch ihn befällt im aktuellen Zustand immer öfter die Panik. Da tritt ihm der Tod entgegen. Angesichts des Grauens, das sein Entsagen über die Welt gebracht hat, ist er bereit, zu den Menschen zurückzukehren. Seine Bedingung hierfür: Der Kaiser soll als erster von ihm geholt werden. Dieser willigt ein. Die erlöste Menschheit begrüßt den zurückgekehrten Tod. Nie wieder soll seine Macht vereitelt werden.

(Inhaltsangabe dem Programmheft zu dieser Produktion entnommen.)


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Fragment-artig, rätselhaft, Fragen eher aufwerfend als beantwortend – so möchte ich die Handlung beschreiben, die wenig stringent anmutet. Die kurzen Bilder reihen sich wie Perlen auf einer Schnur aneinander, und ebenso wie eine Perle, die beim Auffädeln an eine andere Perle schlägt und so eine Reaktion verursacht, verhalten sich die Bilder zueinander. Dabei tritt die Botschaft deutlich hervor: Krieg ist ein sinnloses Unterfangen, aus dem niemals ein Sieger hervorgehen kann.

Die Musik von Viktor Ullmann ist einerseits in seinen Anleihen am Jazz ebenso sperrig wie die Handlung, andererseits liefert er mit seinen musikalischen Zitaten zu bekannten Stücken ironische Brüche: So tauchen in der Arie des Trommlers eindeutig Passagen der deutschen Nationalhymne auf. Die Eröffnungsarie des Kaisers mutet wie die Heldenpartie eines Wagner-Heroen an, während der Lautsprecher als Kommentator des Geschehens beinah Brecht-Weill-sche Züge annimmt.

Regisseur Edison Vigil nutzt für seine Inszenierung die volle Weite des Raumes und lässt auch den entferntesten Flecken von seinem überschaubaren Ensemble bespielen. Da werden die Rolltreppen für effektvolle Auf- und Abgänge genutzt. Die geschwungene Brücke mutiert zur Kommandozentrale. Das liebende Paar verschwindet über die Rolltreppe gen Himmel und läuft über die Glasbrücke einer besseren Welt entgegen. Der Tod greift sich den Diktator, führt ihn zum gläsernen Fahrstuhl, um in ihm Richtung Unterwelt zu fahren.

Damit dies alles nicht zur bloßen Effekthascherei verkommt, überzeugt Virgil auch mit symbolhaften Bildern und setzt auf klein(st)e Nuancen im (Zusammen-)Spiel seiner Sänger*innen. Marcin Hutek als Kaiser von Atlantis überraschte mich in dieser Spielzeit nach Viktoria und ihr Husar abermals. Nahm ich ihn zu Beginn seines Engagements in Bremerhaven als etwas statisch in seiner Darstellung wahr, zeigt er sich nun extrem wandelbar vom selbstverliebten zum gebrochenen Diktator, was er auch mit seinem potenten Bariton auszudrücken verstand. Patrizia Häusermann sang mit ihrem vollen Mezzo famos den Trommler bzw. ergebenen Handlanger des Kaisers und vermittelte glaubhaft dessen aufkommende Panik bezgl. der veränderten Situation. Leider verabschiedet sich diese wunderbare Künstlerin mit dieser Partie von Bremerhaven und wird zukünftig das Publikum am Theater Regensburg begeistern.

Mit sonorem Bass und eher gemütlichem Auftreten gab Ulrich Burdack einen wenig bedrohlich wirkenden Tod, der sich seiner Bedeutung aber durchaus bewusst war und eher pragmatisch seiner Arbeit nachging bzw. beinah bockig diese verweigerte. Andrew Irwin erweckte in mir mein Mitgefühl, wie er als Harlekin bei seinen erfolglosen Versuchen, den Menschen Freude und Spaß zu bereiten, beinah tragisch daran verzweifelte. Victoria Kunze und MacKenzie Gallinger überzeugten als anfangs sich bekämpfende Parteien, dann liebendes Paar, und setzten mit dem Klang ihrer hellen Stimmen (Sopran/Tenor) einen Hoffnungsschimmer in die eher dunkel gefärbte Partitur. Rainer Zaun füllte die Partie des Lautsprechers, der als Moderator/ Erzähler/ Vermittler zwar anwesend aber wenig beteiligt schien, prägnant aus. Zusätzlich wurde das Ensemble durch 6 Statisten (4 ältere Herrschaften und 2 Kinder) unterstützt, die als stumme Soldaten fungierten.

Bühnen- und Kostümbildner Darko Petrovic musste zwangsläufig sein Bühnenbild den Gegebenheiten dieses öffentlichen Raumes anpassen. Vor den Amphitheater-ähnlichen Zuschauerreihen baute er eine offene Zirkusarena mit einigen Tischen, Stühlen, einem Vorhang, einer Bar und drei Monitoren, die Originalmaterial aus dem 2. Weltkrieg zeigten. Die Kostüme beließ er in Schwarz-Grau-Weiß ohne eindeutig zeitliche Verortung: Wirkte die Kluft der Soldaten eher wie die moderner Söldner, so nahm er beim Kaiser von Atlantis und dem Trommler deutliche Anleihen an den Uniformen der NS-Schergen des 3. Reiches und komplementierte die Optik mit blass-geschminkten Gesichtern. Einzig beim Harlekin und dem Tod (beides eher mystische Gestalten) erlaubte er sich Freiheiten: So war der Harlekin klassisch „zwiegespalten“ zwischen Tragik und Komik, während das Gesicht des Todes ein dicker schwarzer Balken zierte – sozusagen als symbolisierte Grenze vom Leben zum Tod.

Die musikalische Leitung lag bei Davide Perniceni in gewohnt-fähigen Händen: Wenige Tage zuvor dirigierte er noch die letzte Vorstellung des Pop-Musicals Chess, nun führte er die Musiker*innen des Kammer-Orchesters souverän durch dieses Stück.

Während der Vorstellung wagte niemand im Publikum zu klatschen, wie es sonst üblich wäre nach einem Bild oder einer Arie. Da es die gewohnte Grenze durch den Orchestergraben nicht gab, und wir in unmittelbarer Nähe des Geschehens saßen, wirkte alles viel intensiver, viel direkter. So folgten wir gespannt und ergriffen der Handlung, und erst zum Schluss zollten wir mit unserem Applaus unseren Respekt, für den Mut dieses Stück in ungewöhnlicher Kulisse zu realisieren. Obwohl: Ist die Kulisse wirklich so ungewöhnlich – zwischen Auswandererhaus, Hafen und offener See? Schwingt bei der Konstellation dieses Trios nicht auch Sehnsucht und Hoffnung mit?

Auf dem Heimweg beschäftigte mich das Gesehene natürlich weiterhin. Unwillkürlich – Ich weiß nicht, warum? – kam mir ein Zitat von Hermann Hesse in den Sinn, dass ich vor einiger Zeit gelesen hatte aber nun nur in Teilen zusammen bekam. Zuhause habe ich es dann nochmals nachgeschlagen:

Glück gibt es nur, wenn wir vom
Morgen nichts verlangen und vom
Heute dankbar annehmen, was es bringt,
die Zauberstunde kommt doch immer wieder.
Hermann Hesse


Viel Zeit bleibt nicht mehr, um die Kammeroper DER KAISER VON ATLANTIS auf dem 8. Längengrad der Havenplaza in Bremerhaven zu erleben. Darum: schnell Karten besorgen…!

[Musical] Benny Andersson & Björn Ulvaeus – CHESS / Stadttheater Bremerhaven

Musical von Benny Andersson & Björn Ulvaeus / Liedtexte von Tim Rice / basierend auf einer Idee von Tim Rice / neue deutsche Textfassung von Kevin Schroeder

Premiere: 30. Oktober 2021 / besuchte Vorstellungen: 19.11.2021, 23.01. & 08.06.2022

Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus


Musikalische Leitung: Davide Perniceni (19.11. & 08.06.) / Tonio Shiga (23.01.)
Inszenierung: Andreas Gergen
Spielleitung & Choreografie: Till Nau
Bühne & Video: Momme Hinrichs (fettFilm)
Kostüme: Conny Lüders
Choreinstudierung: Mario Orlando El Fakih Hernández

Es gibt sie eben diese musikalischen Werke, die beim Ansehen/Anhören die Emotionen zum Überlaufen bringen. Und jede*r von uns hat da eine ganz persönliche Hit-Liste. Ich liebe die eher klassischen bzw. symphonischen Musicals: Wenn am Ende der „West Side Story“ Tony gemeinsam mit Maria ein paar Noten von „Somewhere“ haucht, um dann in ihren Armen zu sterben, breche ich in Tränen aus. Bei „Les Miserablés“ beginne ich spätestens bei Eponines Tod hemmungslos zu schluchzen, kralle mich in die Hand meines Gatten und beruhige mich erst wieder auf dem Weg Richtung Heimat. Doch auch mein Mann hat seine Emotions-Musicals: So stellt sich jedes Mal eine Gänsehaut bei ihm ein, wenn Graf Krolock seine „Unstillbare Gier“ besingt. Doch feuchte Augen bekommt er nur bei einem einzigen Musical: CHESS. So war der November 2021 ein einziges Freudenfest für ihn. Als bekennender ABBA-Fan der ersten Stunde kam nicht nur ein neues Album nach 40 Jahren auf dem Markt – Nein! – auch „unser“ Stadttheater Bremerhaven hatte das erste Musical der beiden ABBA-Männer auf den Spielplan gesetzt. So saßen wir am 19. November des vergangenen Jahres gemeinsam mit lieben Freunden im Zuschauersaal, und diesmal war es mein Mann, der während der Vorstellung seine Hand in meine krallte – mehrmals!!!

Bei der Schachweltmeisterschaft in Merano kämpft der amtierende Weltmeister der Amerikaner Frederick Trumper gegen den Russen Anatoly Sergievsky um die Schachkrone. Begleitet wird Trumper von seiner Managerin und Partnerin Florence Vassy, die im Budapester Aufstand von 1956 ihren Vater verloren und so ein ambivalentes Verhältnis zum russischen Regime hat. Trotzdem kommen sie und Sergievsky sich näher, als sie versucht – nachdem Trumper das Turnier wütend verlassen und somit einen Skandal ausgelöst hat – die Wogen zu glätten. Am nächsten Tag wird das Turnier unter dem strengen Blick des Schiedsrichters fortgesetzt, aus dem Anatoly Sergievsky als Sieger hervorgeht. Trotz strengster Überwachung durch Alexander Molokow, dem Chef der russischen Delegation, kann er die Gunst der Stunde nutzen und in den Westen überlaufen, um dort mit Vassy zu leben. Ein Jahr später muss Sergievsky sich in Bangkok einem neuen sowjetischen Herausforderer stellen. Dabei trifft er zwangsläufig auf bekannte Gesichter. Trumper arbeitet mittlerweile als TV-Kommentator, der ihn während eines Interviews mit provakanten Fragen aus der Reserve lockt. Auch Molokov ist vor Ort und scheut keine Mittel, um Anatoly Sergievsky zu einer Niederlage zu bewegen. Dabei manipuliert er hemmungslos die Mitmenschen, als würde er Schachfiguren über ein Spielfeld schieben. So lockt er Vassy mit dem Versprechen, ihren verschollenen Vater wiederzusehen, und lässt Sergievskys Ehefrau Svetlana nach Bangkok einfliegen, um sie und die gemeinsamen Kinder als Druckmittel einzusetzen. Anatoly Sergievsky trifft seine Entscheidungen: Er gewinnt abermals das Turnier, verlässt aber Vassy, um mit seiner Frau nach Russland zurückzukehren.

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Nobody’s Side, Pity The Child, Heaven Help My Heard, Anthem, Someone Else’s Story, I Know Hím So Well und natürlich das vielleicht bekannteste Stück One Night in Bangkok, dazu grandiose Chorpartien wie Merano und Hymn To Chess: An der exzellenten Musik lag es nie, warum dieses Musical eher selten gespielt wurde. Vielmehr lag das „Problem“ eher im etwas sperrigen Buch begründet, in dem manche Handlungsstränge unmotiviert und die Beweggründe der Personen wenig nachvollziehbar schienen. Doch Benny Andersson und Björn Ulvaeus waren sich nie zu schade, auf ihre Werke einen kritischen Blick zu werfen, um sie dann nochmals zu überarbeiten. So machte auch CHESS einige Veränderungen durch: Songs wurden umgestellt, flogen komplett aus der Show, oder wurden neu hinzugefügt. Die Handlung wurde gestrafft, und statt den Schwerpunkt auf die Politik-Parabel mit Ost-West-Konflikt zu belassen, lenkten sie den Fokus mehr auf die (zwischen)menschlichen Komponenten. Alle diese Maßnahmen haben dem Werk durchaus gutgetan, trotzdem bedarf es ein schlüssiges Regie-Konzept, um CHESS aus dem anfänglichen Korsett eines Konzept-Albums zu lösen.

Unter der neuen Intendanz von Lars Tietje gönnt sich das Stadttheater Bremerhaven genau diesen „Luxus“ und geht eine Kooperation mit dem Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin ein, wo diese Inszenierung in der letzten Spielzeit Premiere hatte und leider nach nur wenigen Vorstellungen dem Lockdown zum Opfer fiel. „Never change a winning team!“ wird sich Tietje vielleicht gedacht haben und lockte gemeinsam mit dem Produktions-Team auch zwei der Hauptdarsteller in die Seestadt an der Weser. Musical-Magier Andreas Gergen schafft mit seinem Team ein so stimmiges Konzept, bei dem die einzelnen Teile aus Regie, Choreografie, Bühne, Kostüme und Video-Projektionen zusammen mit den heimischen Kräften nahtlos ineinander übergehen und so ein perfektes Ganzes bilden. Dabei liefert Gergen dem Publikum durchaus die große Show, setzt aber ebenso wichtige Akzente im Schauspiel: Durch kleine Gesten oder nur einem Blick bis zum großen dramatischen Ausbruch wird so das Handeln der Protagonist*innen für die Zuschauer nachvollziehbar gemacht. Dies gelingt natürlich nur, da ihm talentierte Darsteller*innen zur Verfügung stehen.

Femke Soetenga (Florence Vassy) und Marc Clear (Anatoly Sergievsky) wiederholen ihre Parts aus Schwerin und sind ein eingespieltes Team ohne routiniert zu wirken. Soetenga gestaltet ihren Part zwischen Selbstbewusstsein und Selbstzweifel sehr geschmackvoll. Glücklicherweise hat sie viel zu singen, so kamen wir oft in den Genuss, ihrer wunderschönen Stimme lauschen zu dürfen. Marc Clears Sergievsky ist alles andere als der unterkühlte Stratege. Vielmehr porträtiert er Sergievsky als mitfühlenden Charakter mit einer empfindsamen russischen Seele, was er auch gesanglich famos auszudrücken versteht. Tobias Bieri gibt den Frederick Trumper mit überheblicher Arroganz – ein Jungspund, der unter der scheinbar makellosen Oberfläche seine Narben verbirgt:  Bei Pity The Child sorgt er mit seiner fulminanten Pop-Stimme für Gänsehaut.

Sowohl optisch wie auch stimmlich scheint Ulrich Burdack der Vorzeige-Molokow zu sein. Er strahlt – trotz scheinbar äußerer Ruhe – eine enorme Gefährlichkeit aus. Zudem verfügt er über einen vollen, flexiblen Bass, den er mal voluminös, mal verführerisch-lockend zum Klingen bringt. Patrizia Häusermann (Svetlana) gelingt das Kunststück, eine Nebenrolle durch Spiel und Gesang aufzuwerten. Sie harmoniert ganz wunderbar mit Soetenga bei I Know Hím So Well. Bei Someone Else’s Story zeigt sie ihr Können als klassisch-geschulte Liedsängerin und kann mit ihrer sensiblen Interpretation berühren. Svetlana ist für mich in diesem Musical die einzig wahre tragische Figur, da ihr eine Wahlmöglichkeit verwehrt bleibt: Alle anderen Protagonist*innen können für sich selbst entscheiden. Sie ist – vom Ehemann im Stich gelassen – einem Regime ausgeliefert, das droht, ihr die Kinder zu nehmen. Häusermann lässt mit nuanciertem Spiel ihre Rolle mit Würde trauern, ohne eine innere Stärke vermissen zu lassen.

Da wir nun schon zum wiederholten Mal diesem musikalischen Schachturnier beiwohnten, hatten wir das Glück, zwei unterschiedliche Sänger in der Rolle des Schiedsrichters sehen zu dürfen. Während MacKenzie Gallinger (19.11. & 08.06.) eher der ruhende Pol im Spiel war, der beständig die Fäden in der Hand behielt, gestaltete Benjamin-Edouard Savoie (23.01.) den Part deutlich exaltierter und amüsierte mit beinah „monk“schen Allüren.

CHESS braucht einen voluminösen Chor! CHESS bekommt ihn: Unter der versierten Leitung von Chordirektor Mario Orlando El Fakih Hernandez bringen die Damen und Herren die Hymnen überwältigend zu Gehör und gefallen ebenso in mancher kleinen Nebenrolle. Unterstützung erhalten die Solisten zusätzlich durch ein variables Pop-Trio (bestehend aus Sydney Gabbard, Carmen Danen und Konstantin Busack), das sie in ihren Solis stimmstark begleitet und auch in div. Mini-Rollen überzeugen. Das Philharmonische Orchester unter der Leitung von Davide Perniceni bzw. Tonio Shiga musiziert absolut auf dem Punkt und meistert gekonnt den Spagat zwischen Pop, Rock und Symphonie. Apropos Spagat: Das ich ein Fan der Ballettcompagnie des Stadttheaters Bremerhavens bin, habe ich schon mehrfach betont, und auch in diesem Fall wurde ich nicht enttäuscht: Ob als kecke Trachtengruppe, als lebensgroße Schachfiguren oder als Bangkoks Liebesdiener*innen – die Tänzer*innen beherrschen ihre Kunst zwischen Sinnlichkeit, Ästhetik und Athletik perfekt.

Wer großartiges Musik-Theater abseits der großen Metropolen sehen möchte, der MUSS sich auf den Weg nach Bremerhaven machen!

Epilog: Seit einigen Tagen bekomme ich von meinem Gatten – völlig unvermittelt und ohne Zusammenhang zum vorangegangenen Gespräch – Bemerkungen wie „CHESS kann man (!) sich auch durchaus ein drittes Mal ansehen!“ zu hören. Ich schwanke noch mit mir, ob ich das Gehörte geflissentlich ignoriere oder mich an den PC setzte, um Eintrittskarten zu reservieren. Mal schauen…! 😉


So saßen wir am 19. November des vergangenen Jahres gemeinsam mit zwei lieben Freunden im Zuschauersaal, wie wir es vor über 2 Jahren schon für Sunset Boulevard taten, und wo sich folgendes zugetragen hatte. Während sie durchaus schon das eine oder andere Musical gesehen hatte, war er diesbezüglich eher unbeleckt und schien somit beinah überwältigt vom Orchester, von den Sänger*innen und der Inszenierung. In der Pause fragte er mich nach meiner Meinung als „Musical-Kenner“, und ich bestätigte ihm seinen positiven Eindruck. Voller Enthusiasmus postete er diesen auf Instagram und bekam von einer „lieben“ Freundin prompt folgende Rückmeldung „Schön, dass es dir gefällt, aber es gibt bessere Inszenierungen.“ …und danach schwärmte sie von einer wahrhaft fulminanten „Sunset Boulevard“-Inszenierung, die sie vor einigen Jahren mit einer namhaften Musical-Diva in der Hauptrolle gesehen hatte. Ernüchtert zeigte mir mein Freund diese (wenig empathische) Nachricht, und ich bestätigte ihm „Ja, irgendwo auf der Welt gibt es bestimmt eine bessere Inszenierung.“ Aber: Alles sollte in einer realistischen Relation betrachtet und bewertet werden. Wir befinden uns weder am Broadway noch im West End oder in Hamburg, wo eine Eintrittskarte der besseren Kategorie mein Portemonnaie locker um 180,– bis 200,– Euro erleichtert. Im Stadttheater Bremerhaven sitze ich für ca. 1/5 dessen, was eine Eintrittskarte für ein sogenanntes großes Musicals kostet, auf den besten Plätzen. Und dieses Haus schafft es immer wieder auf’s Neue mit den vorhandenen Mitteln und Möglichkeiten eine sehens- und hörenswerte Inszenierung auf die Beine zu stellen.

Natürlich gefällt auch mir in „meinem“ Stadttheater nicht jede Inszenierung gleichermaßen gut. Natürlich könnte auch ich an Kleinigkeiten herumkriddeln. „Suchet, so werdet ihr finden!“ doch die Suche nach Negativem empfinde ich als extrem ermüdend. Auch ein ständiges miteinander Vergleichen würde mir die Freude am Augenblick, den Genuss des Moments verleiten. Darum lautet(e) mein Credo:

Schön locker bleiben und die kulturelle Vielfalt in meiner Region (wert)schätzen und genießen.


Das Erstlings-Musical CHESS der beiden ABBA-Männer steht bis zum Ende der Saison auf dem Spielplan des Stadttheaters Bremerhaven. Hingehen, anschauen & genießen…!!!

[Konzert] Operettengala – UNTERN LINDEN, UNTERN LINDEN / Philharmonisches Orchester Bremerhaven

mit Musik von Paul Lincke, Eduard Künneke, Walter und Willi Kollo

Premiere: 6. Juni 2021 / besuchte Vorstellung: 6. Juni 2021

Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus


Musikalische Leitung: Hartmut Brüsch
Szenische Einrichtung: Edison Vigil

Die Nachricht schlug bei mir ein wie eine Bombe! Die Theater dürfen wieder öffnen – ohne Ankündigung, ohne Vorwarnung, ohne Vorlauf – innerhalb kürzester Zeit!

Auch „unser“ Stadttheater präsentierte in dieser Kürze einen Spielplan für das Eröffnungswochenende. Zwangsläufig setzt sich das Programm vornehmlich aus Inszenierungen zusammen, die entweder im letzten Herbst schon Premiere feierten oder mit einem überschaubaren Aufwand auf die Bühne gebracht werden können. Dabei ist allen Inszenierungen gemein, dass sie aus dem hauseigenen Ensemble besetzt werden: Eine aufwendige Produktion (wie z.Bsp. das Musical Chicago), deren Cast u.a. aus Gastkünstlern besteht, unter diesen Voraussetzungen wieder aufzunehmen, wäre für die Disposition eines Theaters nicht nur eine logistische Höchstleistung sondern in der Kürze der Zeit für die Gäste auch mehr als unzumutbar. Und obwohl die Saison 2020/21 so gut wie beendet schien, bäumt sich nun die Theatermaschinerie nochmals auf und beginnt zu routieren.

Und ich…? Ich routiere mit, setze mich ans Telefon, informiere Freunde und reserviere Eintrittskarten – alles, damit wir schon am Eröffnungswochenende endlich wieder Theaterluft schnuppern dürfen.

So betraten wir das Große Haus am Stadttheater Bremerhaven beinah andächtig. Auf der großen Bühne hatten sich die Damen und Herren des Philharmonischen Orchesters versammelt und blickten in einen mehr als dürftig besetzten Zuschauer-Saal: Anscheinend sind nicht alle Theaterliebhaber – so wie ich – in einen freudentaumelnden Zustand der Routation verfallen…!


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Doch meine Freude war dafür umso überwältigender: Während ich der Ouvertüre aus der Operette „Grigri“ lauschte, liefern mir Tränen über das Gesicht und sammelten sich unter meiner FFP2-Maske. Ich konnte nichts dagegen tun – es passierte einfach…! Vielleicht mag diese Reaktion der Einen oder dem Anderen aus meiner Leserschaft übertrieben erscheinen, und ich gestatte Euch gerne diese persönliche Haltung. Doch für mich war/ist/bleibt Kultur immer „existenziell“, und ohne sie habe ich das Gefühl, sowohl intellektuell als auch emotional zu vertrocknen.

Dieser Sonntagnachmittag stand ganz im Zeichen der Berliner Operette. Im Vergleich zu ihrer Wiener Schwester ist die Berlinerin frecher, moderner und näher an der Revue als an der Oper. Auch musikalisch fühlt sie sich mehr zu einem zünftigen Marsch hingezogen als zu dem ¾-Takt des Walzers. Und so bot dieses Konzert einen abwechslungsreichen Querschnitt aus dem Oeuvre der Komponisten-Stars der Berliner Operette: Paul Lincke, Eduard Künneke sowie Walter und Willi Kollo. Edison Vigil sorgte in seiner szenischen Einrichtung dafür, dass die Sängerinnen und Sänger – auch trotz Abstand – auf Mimik und Gestik des Gegenübers reagierten und sie so miteinander agierten.

Das exzellent aufspielende Philharmonische Orchester verwebte die oft bekannten Melodien in einen üppigen Klangteppich und bereitete so den Sängerinnen und Sängern den Boden für ihre Kunst. Es war ein solcher Genuss, endlich wieder einem großen Orchester lauschen zu dürfen. Tijana Grujic gefiel mit perlenden Sopran. Tenor MacKenzie Gallinger überzeugte nicht nur gesanglich, sondern konnte bei den elegant gemeisterten Tanzeinlagen auch seine Musical-Vorbildung nicht leugnen. Marcin Hutek gab den Schwerenöter Stanislaus von Methusalem aus Kollos Operette „Wie einst im Mai“ mit sonorem Bariton.

Natürlich wäre es bei einer solch überzeugenden Gesamtleistung ungerecht einzelne Namen hervorzuheben. Doch als Zuschauer gestatte ich mir ein Stückchen „Subjektivität“ und bin einfach mal parteiisch: Ich hatte meine „heimlichen“ Lieblinge! Vorab muss Hartmut Brüsch genannt werden, der nicht nur für die versierte musikalische Leitung des Abends verantwortlich zeichnete, sondern uns humorvoll mit Anekdoten unterhielt und ebenso charmant durch das Konzert führte.

Ich gebe es unumwunden zu, dass ich die beiden jungen Damen, deren Namen ich Euch gleich verraten werde, schon jede für sich als Sängerin sehr schätze und mich immer freue, eine von ihnen auf der Bühne bewundern zu dürfen. Aber in Kombination sind die beiden der absolute Knaller: Victoria Kunze (Sopran) und Patricia Häusermann (Mezzo). Ihr stimmschönes und harmonisch gestaltetes „Glühwürmchenidyll“ aus der Operette „Lysistrata“ von Paul Lincke setzte dem gelungenen ersten Teil des Abends die Krone auf und lies mich träumen: Vielleicht darf ich ja hoffen, dass diese beiden Künstlerinnen sich irgendwann dem Blumenduett aus der Oper „Lakmé“ von Léo Delibes annehmen werden. Beim Can-Can aus „Wie einst im Mai“ tobten die beiden Ladies dank passendem Outfit frivol bestrapst über die Bühne und sorgten für gute Laune im Auditorium. Mit einem deftigen „Die Männer sind alle Verbrecher“ ließen sie den musikalischen Rausschmeißer anklingen, bevor das gesamte Ensemble zu „Untern Linden, untern Linden“ der vom Publikum reichlich beklatschten Zugabe frönte.

Nach über 8 Monaten der erzwungenen (und evtl. auch notwendigen) Abstinenz von der Kultur war dies endlich wieder Futter für Herz und Hirn, für Geist und Seele und für alles, was sonst noch so dazwischen liegt…! ❤


Diese wunderbar-schmissige Operettengala UNTERN LINDEN, UNTERN LINDEN wird nur noch an einigen wenigen Terminen am Stadttheater Bremerhaven gegeben.

[Musical] John Kander – CHICAGO / Stadttheater Bremerhaven

Musik von John Kander / Gesangstexte von Fred Ebb / Buch von Fred Ebb und Bob Fosse  nach dem Stück Chicago von Maurine Dallas Watkins / Deutsch von Erika Gesell und Helmut Baumann / mit englischen Songs und deutschen Dialogen

Premiere: 19. September 2020/ besuchte Vorstellung: 27. September 2020

Stadttheater Bremerhaven/ Großes Haus


Musikalische Leitung: Davide Perniceni
Inszenierung: Felix Seiler
Choreographie: Andrea Danae Kingston
Bühne: Hartmut Schörghofer
Kostüme: Julia Schnittger
Choreinstudierung: Mario Orlando El Fakih Hernández

Roxie Hart ist ihre Ehe mit dem soliden aber unscheinbaren Amos überdrüssig und stürzt sich in Affären. Als ihr Liebhaber Fred Casely sie abservieren will, greift sie zum Colt und schießt ihn über den Haufen. Denn: Eine Roxie Hart verlässt man(n) nicht so einfach. Eine Roxie Hart ist ein Mädchen mit Ambitionen. Sie will die große Show auf einer noch größeren Bühne, so wie ihr Idol Velma Kelly, die sie prompt im Frauenknast kennenlernt. Velma wartet auf ihren Prozess: Sie hat ihren Ehemann im Bett mit ihrer Schwester erwischt und in einem Anfall von geistiger Unzurechnungsfähigkeit (ihre Verteidigungsstrategie vor Gericht) beide kurzerhand getötet. Nun wartet sie im Gefängnis unter der eisernen Führung von Mama Morton auf ihre Verhandlung. Die Presse ist begeistert von den mörderischen Mädels: Besonders Klatschkolumnistin Mary Sunshine bringt immer neue haarsträubende Enthüllungen, die ihr von Staranwalt Billy Flynn charmant-skrupellos in die Feder diktiert werden. Geschickt manipuliert er die Presse und prägt so die öffentliche Meinung. Das Ergebnis: Velma und Roxie werden freigesprochen und starten gemeinsam eine fulminante Karriere auf der Vaudeville-Bühne.

Musical in Zeiten von Corona: Geht das überhaupt? Blechernd klingt das Orchester aus den Boxen. Roxie liegt in ihrem Bett, wartet auf ihren Liebhaber und träumt von ihren Idol Velma Kelly, die plötzlich aus dem Schrank hüpft und gemeinsam mit drei Tänzern zu „All That Jazz“ Roxie und ihren Lover umtanzt. Statt großer Shownummer sah dies für mich eher nach Kammerspiel aus. Statt mit einem grandiosen „BÄHM!“ begann die Show mit einem verhaltenen „Pling!“. Ich stellte mir ängstlich die Frage „Geht das nun so weiter?“.

Nein! Es ging nicht so weiter! Erst der Mord an Fred Casely ermöglicht es Roxie, der Enge ihrer kleinen, unbedeutenden Welt zu entfliehen. Und so öffnet sich die Bühne wie die Büchse der Pandora und präsentiert das Spiel um Mord, Korruption und Manipulation: Spätestens beim „Cell Block Tango“ hatte ich sie, meine große Show!

Musical in Zeiten von Corona: Geht das überhaupt? Ja, es geht, und dazu auch noch ganz großartig! Selten griffen die Künste von Regie, Choreografie, Bühne und Kostüm so ineinander wie in dieser Inszenierung. Regisseur Felix Seiler machte aus der Not eine Tugend und zauberte aus den vorgegebenen 90 Minuten Spielzeit ohne Pause eine straffe Inszenierung, in der ein Highlight vom nächsten Highlight abgelöst wird. Fein differenziert zeigte sich seine Personenführung und überraschte mit ungewöhnlichen und witzigen Ideen. Großes Lob: Trotz Kürzung bzw. Straffung der Handlung hatte ich nicht das Gefühl, dass mir wesentliche Inhalte gefehlt hätten. Andrea Danae Kingston bot eine kreative und anspruchsvolle Choreografie und sorgt so – trotz Abstandsregelung – für abwechslungsreiche Bewegungsabläufe. Seiler und Kingston scheinen ein eingespieltes Team zu sein: Häufig war nicht nachvollziehbar, wo die Regie aufhörte und die Choreografie begann. Das Bühnenbild von Hartmut Schörghofer schafft stimmige Spielebenen und unterstützt die vorgegebene Distanz zwischen den Darstellern ohne an Atmosphäre einzubüßen. Die ansprechenden Kostüme von Julia Schnittger glänzen im 20er-Jahre-Look mit einem Touch Modernität.

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Vier von den sechs Hauptrollen sind mit Musical-Profis besetzt: Valentina Inzko Fink gibt das naive Blondchen Roxie Hart mit einer gehörigen Prise Durchtriebenheit. Die Velma Kelly von Jasmin Eberl trieft vor ordinärem Selbstbewusstsein, lässt durchaus hinter der taffen Fassade Verletzlichkeit durchschimmern. Beide Ladies punkten mit grandiosen Stimmen, tänzerischem Können und einer Menge Sex-Appeal. Frank Winkels als Billy Flynn ist ein absoluter WoMenizer (😉) mit markantem Charme und markiger Stimme. Mona Graws Mama Morton ist als Oberaufseherin im Frauengefängnis Puff- und Beichtmutter in Personalunion mit dem Herz am rechten Fleck.

Aber auch die hauseigenen Kräfte aus dem Opernensemble verstehen sich in diesem Musical zu behaupten: MacKenzie Gallinger gibt seinen trotteligen, bemitleidenswerten Amos Hart mit nuancierter Stimme. Victoria Kunze glänzt mit Spielfreude und tiriliert sich bravourös durch die Koloraturen der Mary Sunshine. Die Damen vom Opernchor überraschen herrlich überdreht beim „Cell Block Tango“, während ansonsten der Opernchor dank der versierten Leitung von Mario Orlando El Fakih Hernández aus dem Off für stimmlich-stimmige Unterstützung sorgt.

In dieser Inszenierung, die aus einem Guss erscheint und voller Höhepunkte steckt, fällt es schwer, einzelne Leistungen hervorzuheben. Doch ich muss einfach das wunderbare Ballett-Ensemble loben, dass die Choreografie von Andrea Danae Kingston mit einer absoluten tänzerischen Brillanz umsetzte und auch in ihren Solis glänzte: BRAVO!

Corona-bedingt sitzt das (reduzierte) Orchester nicht im Graben vor der Bühne sondern wird live von der großen Probenbühne in den Zuschauerraum übertragen und dies mit einer für mich überraschend guten Ton-Qualität. Davide Perniceni führt seine Musiker mit straffen Dirigat und sorgt so für einen satten Music Hall-Sound.

Auch wenn ich bei einem Blick in den Zuschauersaal mit den massiv reduzierten Plätzen kurzzeitig einen Kloß im Hals verspürte und mir die Augen feucht wurden, konnte dies meine Freude an diesem ersten Theaterbesuch nach Monaten des Vermissens nicht mindern: Es geht weiter! HURRA!

So verließ ich nach der Show beschwingt das Theater und machte mich gut gelaunt einen Song pfeifend mit meiner Begleitung auf den Weg ins nahe Theater-Restaurant: Lasst uns (besonders in diesen Zeiten) das Leben genießen!


Wer einen Blick hinter die Kulissen des Musicals Chicago werfen möchte, dem kann ich nur wärmstens den Beitrag von Ilka D’Alessandro, Leiterin Marketing und Öffentlichkeitsarbeit am Stadttheater Bremerhaven, ans Herz legen. Zudem gibt es auf musicalzentrale ein lesenswertes Mini-Interview mit Regisseur Felix Seiler zu entdecken.


Bis zum Ende des Jahres sind vorerst weitere Aufführungstermine für CHICAGO am Stadttheater Bremerhaven geplant. Hoffen wir, dass es danach mit den mörderischen Mädels weitergeht…!

[Operette] Carl Millöcker – DER BETTELSTUDENT / Stadttheater Bremerhaven

Operette von Carl Millöcker / Text von Friedrich Zell und Richard Genée

Premiere: 1. Februar 2020 / besuchte Vorstellung: 16. Februar 2020

Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus


Musikalische Leitung: Hartmut Brüsch
Inszenierung: Eike Ecker
Bühne & Kostüme: Ulrich Schulz
Choreinstudierung: Mario Orlando El Fakih Hernández

Ohje, die Operetten-Puristen werden bei dieser Inszenierung erschüttert aufschreien: Alles – und wenn ich schreibe „alles“, dann meine ich wirklich „ALLES“ – wurde durch die Regisseurin Eike Ecker gegen den Strich gebürstet – und es war köstlich albern und herrlich überzeichnet! Aber nur so kann Operette heutzutage funktionieren: Entweder du nimmst als Regisseur*in die Handlung einer Operette ernst (wenn es das Sujet hergibt!) oder du machst – nachdem du einen Blick auf die oftmals hanebüchene Story geworfen hast – das genaue Gegenteil.

Ecker fischt sich aus dem großen Topf der Unterhaltung all die Zutaten heraus, die sie für einen abwechslungsreichen Operetten-Cocktail benötigt: Ein ordentliche Portion „Boulevard“, eine reelle Prise „Revue“ und einen Hauch „Trash“, und fertig ist eine bunte Seifenblase ohne Inhalt aber schön-schillernd anzusehen.

Die Irrungen und Wirrungen dieser Operette beginnen mit einem Kuss auf die Schulter einer jungen Dame und deren Schlag mit dem Fächer gegenüber dem Übeltäter, und schon ist die schönste Verwicklung im Gang. Einzelheiten erspare ich Euch und mir, denn auch die Handlung dieser Operette lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Sie lernen sich kennen! Sie verlieben sich! Sie trennen sich! Sie finden wieder zueinander! Sie leben glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende! ENDE!

Was bleibt ist eine locker-leichte Unterhaltung, die den Zuschauern eine ordentliche Portion Spaß bereitet, und alle Abteilungen eines Stadttheaters fordert. Das Philharmonische Orchester unter der Leitung von Hartmut Brüsch lässt Millöckers Musik so herrlich süffig erklingen. Auch optisch erstrahlt diese Inszenierung dank der Kreativität von Ulrich Schulz im satten Technicolor und punktet neben der Ausstattung mit farbenfrohen Kostümen und gewagten Frisuren.

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Rainer Zaun gibt als vom Fächer getroffenen und Intrigen spinnenden Oberst Ollendorf eine imposante Figur, überzeugt mit schelmischen Spiel und seinem sonoren Bass. Cornelia Zink singt die auf der Schulter geküsste Komtesse Laura naiv-blond mit brillierendem Sopran. Als ihre Schwester Komtesse Bronislawa überzeugt Victoria Kunze nicht nur mit Stimme sondern auch mit einer immensen Spielfreude und ihrem ausgeprägten Talent für Komik. Deren Mutter, die Gräfin Nowalska mimt Sünne Peters mit witzigen Anleihen einer bösen Stiefmutter aus dem Märchen. Die beiden Bettelstudenten, scheinbaren Grafen und somit Objekte der Begierde für die Komtessen werden von MacKenzie Gallinger und Christopher Busietta mit tenoralem Verve und einem Hang zum Broadway verkörpert. Patrick Ruyters, Róbert Tóth, Shin Yeo und Patrizia Häusermann (in einer Hosenrolle) warfen sich mit Elan in ihre Rollen als dusseliger Sidekick von Oberst Ollendorf. In doppelter Funktion als Kerkermeister Enterich und Diener Onuphrie gefiel Schauspieler Guido Fuchs, der viele Lacher auf seiner Seite hatte.

Wenn ich mir eine Operette im Theater anschaue, dann erwarte ich keine intellektuelle Herausforderung. Im Gegenteil: Ich möchte mich schlicht und ergreifend „nur“ amüsieren. So kann ich dem Stadttheater Bremerhaven aus Überzeugung attestieren:

Bei Eurem „Bettelstudenten“ kommt das Amüsement wahrlich nicht zu kurz!


DER BETTELSTUDENT bietet noch bis zum Ende der Spielzeit „Schmalz“ vom Feinsten.

[Oper] Pietro Mascagni – CAVALLERIA RUSTICANA & Ruggero Leoncavallo – DER BAJAZZO / Stadttheater Bremerhaven

Cavalleria Rusticana: Oper von Pietro Mascagni / Libretto von Giovanni Targioni-Tozzetti und Guido Menasci / Der Bajazzo (Pagliacci): Oper von Ruggero Leoncavallo mit dem Libretto vom Komponisten / in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere: 2. November 2019 / besuchte Vorstellung: 19. Januar 2020

Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus


Musikalische Leitung: Davide Perniceni
Inszenierung: Martin Schüler
Bühne & Kostüme: Gundula Martin
Choreinstudierung: Mario Orlando El Fakih Hernández

Als „die ungleichen Zwillinge“ werden sie genannt, diese beiden Kurz-Opern. Schon bald nach ihrer Uraufführung etablierte sich die Praxis, beide an einem Abend aufzuführen. Regisseur Martin Schüler verbindet sie Dank eines raffinierten Kniffs geschickt miteinander: Bei beiden Opern bilden die Zimmer in einem Altenheim den formalen Rahmen.

Bei „Cavalleria Rusticana“ denkt die alte Santuzza, am Rollstuhl gefesselt und auf Hilfe des Pflegepersonals angewiesen, an ihre verlorene Liebe Turiddu, der Alfios Gattin Lola liebte und ein Verhältnis mit ihr hatte. Aus Eifersucht informierte sie Alfio über diese Liebschaft, der Turiddu zum Duell aufforderte und ihn daraufhin tötete. Nun lebt Santuzza mit der Schuld, am Tod ihres Liebsten mitverantwortlich zu sein…!

Im Nachbarzimmer bei „Der Bajazzo“ erwacht der verkrüppelte Schauspieler Tonio und denkt an vergangene Erfolge bei einer Wanderbühne. Seiner heimlichen Liebe galt der damaligen Darstellerin der Colombine Nedda. Als er ihr seine Liebe offenbarte, wurde er nur ausgelacht und verspottet. Obwohl sie mit dem Direktor der Wandertruppe Canio verheiratet war, flirtete sie hemmungslos mit dem Darsteller des Harlekins und traf sich heimlich mit dem jungen Silvio. Tonio übte Rache: Er informierte Canio über die vielfältigen Liebschaften seiner Frau. Auf offener Bühne forderte der wütende Canio seine Frau Nedda auf, ihm die Namen ihrer Liebhaber zu nennen. Als diese sich weigert, stach er sie vor den Augen des Publikums nieder…!

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Martin Schüler lässt in beiden Opern die Hauptakteuer auf ihr jeweiliges Leben zurück blicken: Jeweils am Lebensende ziehen die Bilder der Vergangenheit vor ihren geistigen Auge vorbei und quälen sie…! Die Regie zielt ganz auf das feine Herausarbeiten der inneren Zwiespälte der Protagonist*innen. Dunkler als gewohnt ist Schülers Inszenierung, und plakative Folklore sucht der Zuschauer vergebens.

Jadwiga Postrozna gibt eine mitleiderregende Santuzza mit warmen Sopran. Marco Antonio Rivera brilliert mit metallenem Tenor als Turiddu ebenso wie als Canio. Die Nedda von Tijana Grujic ist eine verführerische aber auch unbedacht wirkende junge Frau. Am wandlungsfähigen war allerdings Marian Pop, der als in sich gekehrter Alfio ebenso überzeugte wie als extrovertierter Possenreißer und verschlagener Störenfried Tonio. In kleineren Rollen überzeugten Patrizia Häusermann, Brigitte Rickmann, MacKenzie Gallinger und Vikrant Subramanian.

Dirigent Davide Perniceni lässt das Philharmonische Orchester Bremerhaven genügend Freiraum für Dramatik und Melodik. Schwelgerische Chorpassagen (fulminant vom Opernchor dargeboten) wechseln mit symphonischen Zwischenspielen und dramatischen Arien.

Verismo für Auge & Ohr, für Herz & Hirn…!


Die UNGLEICHEN ZWILLINGE der Opernliteratur tauchen nur noch für wenige Termine im Stadttheater Bremerhaven auf.

[Operette] Emmerich Kálmán – DIE HERZOGIN VON CHICAGO / Stadttheater Bremerhaven

Operette von Emmerich Kálmán / Libretto von Julius Brammer und Alfred Grünwald

Premiere: 9. Februar 2019 / besuchte Vorstellung: 28. Februar 2019

Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus


Musikalische Leitung: Hartmut Brüsch
Inszenierung: Felix Seiler
Choreographie: Andrea Danae Kingston
Bühne & Kostüme: Barbara Bloch

Choreinstudierung: Mario Orlando El Fakih Hernández


Wie? Sie waren noch nie in einer Operette? Dann werde ich ihnen mal eben die Handlung skizzieren,…

Sie lernen sich kennen! Sie verlieben sich! Sie trennen sich! Sie finden wieder zueinander! Sie leben glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende! ENDE!

…und diese Zusammenfassung lässt sich auf nahezu ALLE Operetten übertragen!

Aber wer eine Operette wegen der intellektuellen Herausforderung besucht, ist schlicht und ergreifend am falschen Platz. Operette ist bestenfalls ein locker-leichtes Soufflé mit herrlicher Süße und zartem Schmelz (Nährwert: Fehlanzeige, Wohlfühlfaktor: reichlich).

In diesem Fall trafen wir auf Emmerich Kálmáns lang verschollene und darum selten gespielte Operette „Die Herzogin von Chicago“. Wie der Titel es schon erahnen lässt, trifft hier die neue auf die alte Welt, die Moderne auf die Tradition und der Charleston auf den Csárdás. Kálmáns Musik ist voller ironischer Zitate: Ich saß im Publikum und amüsierte mich über die versteckten Anspielungen an seine damaligen Kollegen der E- und U-Musik.

Das Stadttheater Bremerhaven bot in der Inszenierung von Felix Seiler vieles für Auge und Ohr: die Kulissen glitzerten, die Kostüme funkelten, die Sänger*innen „gaben dem Affen Zucker“ (Hier wurde sehr zur Freude des Publikums schamlos übertrieben!), die Tänzer*innen vom Ballett tanzten famos, und das fulminant aufspielende Philharmonische Orchester unter dem Dirigat von Hartmut Brüsch schmachtete durch die wunderbaren Melodien (Schon allein die Ouvertüre hätte ich gerne ein 2. Mal gehört).

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Selten habe ich ein so komödiantisch aufgelegtes Opern-Ensemble gesehen – allen voran das Buffo-Paar mit Victoria Kunze (Prinzessin Rosemarie) und MacKenzie Gallinger (James Jonny Jacques Bondy), während das „seriöse“ Paar bestehend aus Tijana Grujic (Miss Mary Lloyd) und Christopher Busietta (Sándor Boris) sich mit Schmelz durch die Arien sang. Schauspieler John Wesley Zielmann brillierte wieder mit seinem perfekten Timing für Komik. Das Ballett-Ensemble absolvierte in der abwechslungsreichen Choreografie von Andrea Danae Kingston eine Tour de Force und meistert diese mit Bravour!

Mit einer Melodie im Ohr machten wir uns auf den Heimweg: Ob es nun ein Charleston oder ein Csárdás war, ist doch völlig egal. Denn: „…so ein Charleston ist doch gar nix anderes als amerikanischer Csárdás!“

Definitiv: „BEST OF SCHMALZ“


DIE HERZOGIN VON CHICAGO swingt noch bis zum Ende dieser Spielzeit über die Bühne des Stadttheaters Bremerhaven!