[Rezension] My Fair Lady. Weltmusicals für Kinder/ nach Alan Jay Lerner/ neu erzählt von Barbara Kindermann/ mit Illustrationen von Silke Leffler

Vor einiger Zeit trällerte ein Kollege die Melodie zu „Bringt mich pünktlich zum Altar“ während des Dienstes. Ich war sehr überrascht, da ich bisher annahm, dass Musical nicht zu seiner präferierten Musikrichtung gehörte. Und zugegeben, mein Kollege kannte diese Melodie nur in Zusammenhang mit einem Blödel-Text und hatte nicht den blassesten Schimmer, dass es sich hierbei um einen Song aus einem weltberühmten Musical handelt. Zum Glück konnte ich diesen Kulturbanausen aufklären!

Dabei fiel mir allerdings auch wieder etwas ein, das mich veranlasste, in alten Programm-Heften zu stöbern: Heute vor genau 34 Jahren sah ich mein erstes Musical auf einer Bühne: MY FAIR LADY.

Ich saß mit einer vergünstigten Schülerkarte im zweiten Rang des Theaters am Goetheplatz in Bremen (Bei meinem damaligen Budget, das ich mir durch Zeitungsaustragen verdingte, war Besseres nicht drin.), blickte aus der Vogelperspektive von oben herab über den ersten Rang und das Parkett zur Bühne und wartete gespannt auf das, was mich erwartete. Schließlich war ich als Theaterbesucher noch völlig unbeleckt und konnte diesbezüglich auf keine Erfahrungen zurückgreifen. Alles war für mich neu und aufregend: Die Musiker*innen des Orchesters stimmten ihre Instrumente, während ein Gong den Beginn der Vorstellung ankündigte. Langsam wurde das Licht gedimmt, und eine vibrierende Spannung bemächtigte sich meiner. Der Dirigent erschien, und das Publikum applaudierte, also applaudierte auch ich. Zu den ersten Takten der Ouvertüre hob sich der Vorhang und gab den Blick frei auf das Bühnenbild, das Covent Garden in London darstellen sollte. Das Spiel begann. Niemals zuvor hatte ich eine verführerische Symbiose, wie diese aus Musik, Text, Gesang, Schauspiel und Tanz, erleben dürfen,…

…und es war um mich geschehen. Seitdem hat mich das Musicalfieber nicht mehr losgelassen, und gerade MY FAIR LADY nimmt hier eine Sonderstellung ein. So saß ich im Laufe der Jahre in 6 Vorstellungen bei 4 verschiedenen Inszenierungen…

  • Bremer Theater am Goetheplatz: 06.06.1988 und 09.11.1990
  • Stadttheater Bremerhaven: 12.12.1997
  • Oldenburgisches Staatstheater: 10.12.1999
  • Bremer Theater am Goetheplatz: 21.12.2002 und 08.06.2003

… und nenne 14 verschiedene Cast-Aufnahmen mein Eigen – neben diversen Aufnahmen auf Englisch und Deutsch, auch auf Holländisch, Dänisch und Hebräisch,…

…und ich würde jederzeit mir auch die 5., 6. und 7. Inszenierung ansehen!

Jeder Mensch hat seinen besonderen Vogel.
Mein Vogel kann wahrhaftig „wundascheen“ singen!!!
🐦


Die Philosophie des Kindermann-Verlages ist so einfach wie genial:

„Kinder sollen sich Literaturklassikern spielerisch und unvoreingenommen nähern können.“

Damit dies gelingt, sorgt Verlegerin Anna Kindermann mit ihrem Team für wunderbar illustrierte Neuerzählungen. Denn die Klassiker haben es genau deshalb zu Weltruhm geschafft, da sie außergewöhnliche Geschichten von tollen Held*innen erzählen. Und so bietet in der Zwischenzeit das Verlagsportfolio nicht nur Weltliteratur, Poesie, berühmte Leute und Kunst für Kinder, sondern sogar auch die Nacherzählung zweier Musicals, für die Verlagsgründerin und Mutter der jetzigen Verlegerin verantwortlich war.

Und genau diese Nacherzählung gelingt ihr sehr charmant. Barbara Kindermann versteht es, die Kernhandlung prägnant zu präsentieren ohne dabei die Charaktere der Hauptpersonen zu vernachlässigen bzw. zu verwässern. Dabei flicht sie in die Dialoge immer wieder die Lyrik der Songs mit ein. Ein raffinierter Kniff: So erhält der Vorlesende die Möglichkeit an der entsprechenden Stelle seinen jungen Zuhörern den passenden Song vorzuspielen. Natürlich vorausgesetzt, man ist im Besitz einer Cast-Aufnahme. 😉


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Silke Leffler war mir bisher vornehmlich als Illustratorin für Papeterie ein Begriff und hat hierfür einen sehr eigenen Stil kultiviert. Ihre Werke fielen gerne durch die unverwechselbare Silhouette ihrer Figurinen im Zusammenspiel mit überdimensionale Blüten auf. Passend zum vorgegebenen Sujet fallen auch hier ihre Illustrationen sehr blumig und farbenfroh aus. Dabei bemüht sie sich, für die einzelnen Personen eine charakteristische Physiognomie zu finden, bleibt dabei aber leider innerhalb ihres gewohnten Korsetts und zeigt so – für meinen Geschmack – wenig Prägnanz und Individualität. Warum sie in ihren Illustrationen als gestalterisches Element Seiten aus dem Textbuch von Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ verwendete, blieb mir unverständlich. Vielleicht wollte Leffler mit diesem grafischen Kniff die Nähe dieser Geschichte zum Theater symbolisieren, wobei hier „Pygmalion“ von George Bernhard Shaw durchaus passender gewesen wäre.

Alles in allem sind diese Kritikpunkte doch nur meinem persönlichen Geschmack geschuldet und werden die Freude der Kids an diesem Buch nicht mindern. Im Gegenteil: Der Kindermann Verlag schafft auf wunderbare Weise, die Hemmschwelle der Kinder zur „hehren“ Kunst zu minimieren.


erschienen bei Kindermann/ ISBN: 978-3934029439