[Rezension] Frédéric Brémaud (nach Agatha Christie) – DIE MORDE DES HERRN A.B.C./ mit Illustrationen von Alberto Zanon

Begeisterung! Pure Begeisterung! Absolute und uneingeschränkte Begeisterung!

Konnten mich die beiden letzten Veröffentlichungen der „Agatha Christie Classics“ schon begeistern, so hat der Carlsen-Verlag mit DIE MORDE DES HERRN A.B.C. dies noch übertroffen.

Es stimmte einfach alles!

Frédéric Brémaud hat die vielschichtige Geschichte wunderbar in das Format der Graphic Novel transferiert, ohne dass mir signifikante Lücken gegenüber dem Original-Roman auffielen. Vielmehr bekommt diese Raffung der Handlung ausgesprochen gut, da so der Spannungsfaden stets straff gespannt bleibt und Leerlauf oder sogar Langeweile keinerlei Chancen erhalten aufzukeimen. Vielmehr treibt Brémaud die Handlung klug voran, ohne in Hektik zu verfallen. Die Dialoge sind absolut schlüssig und glaubwürdig. Sie bestanden sogar meinen Test des lauten Vortrags und bewährten sich somit als „spielbar“. Ich konnte keine leeren und somit entbehrlichen Worthülsen entdecken, die die Figuren unglaubwürdig erscheinen lassen oder unzutreffend charakterisieren würden.

In einem mysteriösen Brief wird ein Mord angekündigt, und Hercule Poirot kann diesen nicht verhindern. Dann folgt ein zweiter Brief. Wieder geschieht ein Verbrechen. Die Morde scheinen einem Muster zu folgen – den Buchstaben des Alphabets. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, und der einzige Hinweis ist ein ABC-Zugfahrplan. Wieder einmal muss Poirot all seine kleinen grauen Zellen einsetzen, um den Fall zu lösen.

(Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)


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Alberto Zanon sorgte mit seinen Illustrationen gekonnt dafür, dass die Dialoge eine Gestalt erhielten. Er zauberte prägnante, interessante, nicht im klassischen Sinne schöne Charakterköpfe auf das Papier, die sehr viel Persönlichkeit aufwiesen. Seine Figuren – insbesondere unser heldenhaftes Trio Hercule Poirot, Arthur Hastings und Inspector Japp – scheinen zwar ganz dem Christie-Kosmos entsprungen zu sein, doch verlieh er ihnen eine eigene, sehr individuelle Optik, die für eine leichte Wiedererkennung beim Betrachtenden sorgte.

Doch auch sein Setting überzeugte mich durch Abwechslung und Detailreichtum. Besonders in diesen Details erkannte ich, wie intensiv sich Zanon mit der literarischen Vorlage auseinandergesetzt hatte: Da scheint die Fassade von Poirots Wohnsitz der wunderbaren TV-Serie „Agatha Christie’s Poirot“ entliehen zu sein, und Poirots Appartement ist nicht nur herrlich gradlinig sondern auch ebenso herrlich symmetrisch eingerichtet.

In dieser gezeichneten Phantasie-Welt verteilte er einige Tupfer Realismus, denn alles, was im Entferntesten an bedrucktem Papier erinnerte, wirkt beinah naturalistisch: Briefe, Zeitungen, Etiketten, Werbe- und Kino-Plakate sowie der allgegenwärtige ABC-Fahrplan. Zudem verstand er es, meine Aufmerksamkeit durch die Wahl der Perspektive bzw. des Bildausschnittes geschickt auf Feinheiten zu fokussieren und in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Lieber Carlsen-Verlag! Hoffentlich beweist du auch in Zukunft ein so glückliches Händchen bei der Wahl der Graphic Novel-Adaptionen für die „Agatha Christie Classics“, denn dann bin ich auch weiterhin nur allzu gerne dein Fan-Boy. 😄


erschienen bei Carlsen / ISBN: 978-3551807441 / in der Übersetzung von Thomas Schöner
ebenfalls erschienen als Roman bei Atlantik / ISBN: 978-3455650037 und als Hörbuch bei DER HÖRVERLAG / ISBN: 978-3899407891
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Arthur Conan Doyle – SHERLOCK HOLMES & DIE DAME IN GRÜN (Hörspiel)

Die Corona-Zeit liegt zum Glück hinter uns, und sicherlich wird niemand gerne daran erinnert. Das Leben lag zuerst völlig brach und kam dann nur recht schleppend wieder in Bewegung. Kulturelle Einrichtungen durften unter Einhaltung pandemiekonformer Bedingungen ihre Türen wieder für ein Publikum öffnen.

So kreierte das bremer kriminal theater aus der Inszenierung von SHERLOCK HOLMES & DIE DAME IN GRÜN, die die Eröffnungsproduktion ihrer früheren Spielstätte war, ein Live-Hörspiel, das dann zu einer echten Hörspiel-Produktion nochmals veredelt wurde.


2 CDs/ Sherlock Holmes & Die Dame in Grün (2020) von Arthur Conan Doyle/ Regie: Ralf Knapp/ Aufnahmeleitung & Mix: Mark Derichs/ Musik & Sounds: Johannes Haase/ mit Christian Aumer, Mark Derichs, Martina Flügge, Ralf Knapp und Mateng Pollkläsener


Inspektor Gregson von Scotland Yard sieht sich grausigen Serienmorden gegenüber, bei denen junge Frauen ermordet werden und ihnen jeweils ein kleiner Finger fehlt. Die Opfer scheinen keine Gemeinsamkeiten aufzuweisen, so dass die Polizei von einer zufälligen Auswahl der Opfer ausgeht und den Täter für einen wahnsinnigen Affektmörder hält. Sherlock Holmes ist anderer Meinung, da er die Morde für logisch geplant hält und einen klugen Kopf hinter den Straftaten vermutet. Sir George Fenwick wird tot aufgefunden, und schnell wird deutlich, dass er Selbstmord begangen hat. Auf den ersten Blick stehen die Serienmorde und der Selbstmord nicht in Verbindung zueinander. Holmes und sein treuer Freund Dr. Watson kommen allerdings auf eine interessante Spur. Ein angesehener Mann ist in die Mordreihe involviert, denn bei ihm wurde ein abgetrennter Finger einer jungen Frau aufgefunden. Er stand während der Mordnacht unter einem fremden Einfluss und kann sich an viele Details der vergangenen Stunden nicht erinnern. Holmes stellt Nachforschungen an, welche Möglichkeiten bestünden, um einen Menschen so zu manipulieren, dass er einen Mord begeht, ohne sich daran erinnern zu können. Er nimmt an einem informativen Abend der Gesellschaft für Hypnose teil. Dort erfährt er von einer jungen Frau, die häufiger an diesen Abenden teilnimmt – die Frau in Grün. Nach und nach kommt er auf die Schliche von Professor Moriarty und dessen charmanter Komplizin Lydia Marlowe. In einem gefährlichen Versuch lässt sich Holmes auf eine Hypnose ein und wird beinahe Opfer von Professor Moriartys Plan.

 (Inhaltsangabe der Wikipedia-Seite zum Film entnommen!)

Die Inszenierungen am bremer kriminal theater (kurz: b.k.t.) bestechen immer durch eine ganz eigene Ästhetik – sowohl in der Ausstattung wie auch in der Art der Darstellung. Diese Ästhetik konnte auch ins Hörspiel ganz wunderbar transferiert werden. Diese Mischung aus Dramatik und Spannung, aus (leichter) Übertreibung und Ironie, gepaart mit der hörbaren Lust am Spiel mit der Stimme, machte mir als Zuhörer eine immense Freude.

Theaterleiter und Regisseur Ralf Knapp besetzte die Rollen mit bekannten Gesichtern bzw. (in diesem Fall) mit bekannten Stimmen aus dem b.k.t.-Kosmos. Christian Aumer gibt den brillanten Meisterdetektiv mit wohldosierter Arroganz, der allerdings auch dem Weltlichen nicht abgeneigt scheint und so deutlich nahbarer wirkt. Regisseur Ralf Knapp selbst mimt dessen treuen Freund Dr. Watson und porträtiert ihn bodenständig aber durchaus auch etwas begriffsstutzig. Es ist herrlich witzig, wie Dr. Watson mit Inspektor Gregson darum buhlt, wer von ihnen nun der Erzähler und somit der Chronist dieser Geschichte ist. Mark Derichs stattet Inspektor Gregson mit jugendlichem Elan aus, der allerdings seine Überforderung gegenüber Holmes Genialität nicht kaschieren kann. Martina Flügge als die titelgebende DAME IN GRÜN weiß sich in dieser Männerriege zu behaupten, indem sie gekonnt stimmlich prägnante Akzente zwischen Verruchtheit und Verzweiflung setzt. Mateng Pollkläsener verleiht Professor Moriaty eine trügerische Gemütlichkeit, die nicht über den skrupellosen Schurken hinweg täuscht.

Der Regisseur machte – wie auch in vergangenen Inszenierungen am b.k.t. – aus einer Not eine Tugend. Er ließ (neben den erwähnten Hauptpartien) die div. Nebenrollen von den vorhandenen fünf Herren und der einzigen Dame im Ensemble einsprechen, die scheinbar mühelos in die vielen Charaktere hüpften. Zudem setzte er meisterhaft auf ein perfektes Timing und würzte die Geschichte mit witzigen Rand-Dialogen (Stichwort: Zeitungsverkäufer). Johannes Haase sorgte nicht nur für den atmosphärisch stimmigen Sound. Zur musikalischen Untermalung ließ er immer wieder die Geige erklingen, deren Einsatz ich als Reminiszenz an Sherlock Holmes musikalischem Talent gedeutet habe.

Mit dieser rundum gelungenen Hörspielproduktion braucht sich das bremer kriminal theater wahrlich nicht hinter Produktionen größerer Labels zu verstecken.


Das Hörspiel ist im Eigenverlag erschienen und nur direkt beim bremer kriminal theater erhältlich. Eine Bestellung ist über die Homepage des Theaters möglich.

[Rezension] Ute Woltron – HEUTE NICHT, ICH HAB MIGRÄNE

„Heute nicht, Schatz, ich habe Migräne!“ Wer kennt ihn nicht, diesen Altherrenwitz aus der Mottenkiste des schlechten Humors. Es ist erschreckend, dass sich solche Bilder nach wie vor fest in den Köpfen Nichtbetroffener festgesetzt haben. Doch welche Botschaft versteckt sich hinter einem solchen „Witz“? Bedeutung: Migräne ist ein Leiden, von dem vornehmlich sexuell unbefriedigte wenn nicht sogar frigide Frauen betroffen sind. „Solche Weiber müssten mal so richtig…!“ sind sich die Herr(lichkeit)en mancher Stammtischrunden einig. Im Umkehrschluss stelle ich mir als Mann, der unter Migräne leidet, natürlich folgende Frage „Was müsste ich mal so richtig…, damit die Migräne wie durch Zauberhand von mir abfällt?“

Autorin Ute Woltron weiß, wovon sie schreibt. Hat sie doch, wie viele von uns, die betroffen sind, alle dummen Witze, ungewollten Ratschläge und jegliche Reaktionen von Unverständnis im Laufe ihrer „Migräne-Karriere“ selbst erleben oder vielmehr erdulden müssen. Was musste ich mir im Laufe der 25 Jahre, in denen dieser Untermieter, den ich nie haben wollte, bei mir eingezogen ist, schon alles anhören. Jedes mögliche (und auch unmögliche) Thema fand Erwähnung und war Ursache und Lösung zugleich: Ernährung, Schlaf, Sex, Stress, Sport und Bewegung, Chakren, Körpersäfte undnochvielesmehr – entweder hatte/machte ich zuviel oder zuwenig, und prinzipiell war irgendetwas davon nicht in der Balance. Besonders liebe ich die Aussagen ohne jeglichen Nährwert: „Du machst dir einfach zu viele Gedanken!“ Danke, sechs, setzen! Wenn es wirklich einfach wäre, dann hätte ich es längst geändert.

Ausgenommen davon sind die Tipps und Hinweise, die ich von anderen Betroffenen erhalten habe: Hier sprachen wir auf Augenhöhe miteinander. Und so manches Mal half ein verständnisvoller Blick und ein wissendes Nicken so viel mehr und schenkte mir Trost.

Die Autorin schafft es wunderbar, eigenes Erleben mit wissenschaftlichen Fakten und Zahlen zu vermischen. Sie vergisst dabei auch nicht, eine Prise Humor einzustreuen – manchmal ist es auch Ironie, und hin und wieder meinte ich wahrzunehmen, dass in ihren Worten auch ein sarkastischer Unterton mitschwang. Bei dem, was sie durchleben und erleiden musste, ist dies absolut nachvollziehbar und verständlich.

Jede Migräne ist ebenso einzigartig, wie der Mensch, der von ihr betroffen ist. Doch es gibt viele Parallelen, und ich konnte mich oft in den Worten der Autorin wiederfinden. Auch die Zahlen, wie viele betroffene Menschen es weltweit gibt, haben mich sehr erstaunt. Diese Dimension nimmt durchaus Einfluss auf die Produktivität einer Bevölkerung. Umso verwunderlicher, dass dieser Umstand weiterhin noch viel zu wenig Beachtung erfährt.

Dass Frauen und Männer verschieden ticken und ihre Körper unterschiedlich „funktionieren“, sollte hinlänglich bekannt sein. Entsprechend variiert auch die Ausprägung der Migräne bei den Geschlechtern. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer, weshalb Migräne oftmals als reines Frauenleiden abgetan wird. So ganz von diesem gängigen Vorurteil konnte sich anscheinend auch der Verlag dieses Buches nicht freimachen: Wenn ich mir das Design und die Farbgebung des Umschlags anschaue, scheint hier eher eine weibliche Leserschaft angesprochen zu werden. Schade, da hätte ich mir ein wenig mehr Diversität in der Gestaltung gewünscht.

Doch ehrlich gesagt, achte ich bei einem Sachbuch viel mehr auf den Inhalt als auf die Verpackung. Hier liefert Ute Woltron in knappen, doch nie oberflächlichen Kapiteln eine Auswahl an vielfältigen Informationen, von denen sich jede*r wie an einem Buffet bedienen und so seinen persönlichen Teller an „Leckereien“ zusammenstellen kann. Da finden Trigger, die Auslöser einer Migräne, ebenso Erwähnung wie die Möglichkeiten der medikamentösen Therapie. Gerade hier hat sich in den vergangenen Jahres einiges getan, wie am geschichtlichen Exkurs verdeutlicht wird. Auch die Variationen in der Ausprägung der Migräne (mit Aura, ohne Aura etc.) werden verständlich geschildert. Als kulturell interessierter Mensch fesselte mich das Kapitel über Künstler, die angeblich unter Migräne litten, und wo vermutet wird, dass dieser Umstand Einfluss auf ihre Kunst nahm.

Doch besonders ihr Appell, die wenige Zeit (ohne Migräne) zu nutzen, traf bei mir auf offene Ohren. Ich empfinde die Tage unter Migräne immer, als würde mir wertvolle Lebenszeit gestohlen werden. Wie oft konnte ich inspirierende Theater- und Konzertabende nicht wahrnehmen? Wie oft musste ich gesellige Treffen mit lieben Menschen absagen? Wie oft…? Zu oft!

So nehme ich aus der Lektüre dieses Buches nicht nur eine Fülle an Informationen mit. Vielmehr fühle ich mich bestätigt und gesehen. Unter Migräne zu leiden, kann sehr einsam machen, da ist es schön zu wissen, dass ich nicht alleine bin.

NACHTRAG Auf der Homepage von Ute Woltron findet man – neben vielen wunderbaren Beiträgen – sogar eine MIGRÄNE-TRACKLIST mit Songs, die die Autorin durch die guten und die weniger guten Tage des Lebens begleitet haben. Dazu schreibt sie: „Die besten Tracklists sind die eigenen. Hauptsache, man hat eine.“

Habt ihr eine Tracklist? Ich habe eine – schon lange!


erschienen bei ecoWING (Benevento) / ISBN: 978-3711003713
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] VOM GLÜCK, AUFS MEER ZU SCHAUEN. Die schönsten Geschichten und Gedichte/ ausgewählt von Jan Strümpel

Da unterbrach ich meinen Spaziergang zu den ALLTAGSMENSCHEN in Bremerhaven nur allzu gerne, um mir eine Pause auf einer Bank direkt an der Hafenkante zu gönnen. Vor mir befand sich zwar nicht direkt das Meer, doch die Lage der Stadt lässt die Nordsee durchaus bereits erahnen. So schaute ich sinnierend über das Wasser, lauschte dem Plätschern der Wellen und den Rufen der Möwen und schickte meine Gedanken auf Reise.

„Das muss eine Qualität des Meeres sein, dass es in jeder Form verlocken und entzücken kann, auch ohne Palmen, pittoreske Bergdörfer und gewaltige Brandungen. Wenn es denn nur zur Seele spricht.“ lässt Jan Strümpel in seinem Vorwort zu VOM GLÜCK, AUFS MEER ZU SCHAUEN verlauten, und da kann ich ihm nur beipflichten. Dies scheint eindeutig kein modernes Phänomen zu sein: Zu allen Zeiten übte das Meer seinen Reiz auf die Menschen aus und animierte sie zu Lyrik und Prosa, wie diese feine Sammlung beweist. Wie bereits bei der Auswahl zum Thema FRÜHLING seiner Kollegin Mareike von Landsberg, versammelt auch Jan Strümpel in seiner Anthologie eine äußerst abwechslungsreiche Riege an Literat*innen.

Da tummelt sich eingangs Hedwig Lachmann am Strand und ist da in bester Gesellschaft mit Theodor Storm. Clara Müller-Jahnke schwärmt da eher von einer turbulenten Fahrt auf dem Meer „Fühlst du die Bretter schwanken? Schon brandet dumpf das Meer…“, während Joachim Ringelnatz auf einem schwankenden Boot versucht, nicht den Humor zu verlieren. Erich Fried gibt uns lyrische Anweisungen, wie wir uns am Meer zu verhalten haben. Wilhelm Busch wird am Strand auf Borkum zu einigen Versen für eine mir nicht näher bekannten Dame namens Hermine inspiriert. Und sogar Elisabeth von Österreich (Ja, genau, die Sisi!) lässt sich zu einem Gedicht über die See animieren.

Aber auch die Damen und Herren der Prosa waren nicht untätig: Da gibt es kürzere Appetit-Häppchen aus MOBY Dick von Herman Melville und ZWANZIGTAUSEND MEILEN UNTER DEM MEER von Jules Verne, wie auch längere Passagen aus den Werken von Charles Dickens, Mark Twain, George Sand, Hans Christian Andersen und Victor Hugo. Da beginnen die Schiffsreisen in Stade, auf Ceylon und ab Nordstrand, um dann ihr Ziel auf Helgoland, Norderney, Mallorca und Mauritius nach einer mal mehr mal weniger beschwerlichen Überfahrt endlich zu erreichen. Denn die See kann verführerisch sanft und im nächsten Moment tückisch sein, weiß Else Lasker-Schüler zu erzählen. Doch zum Glück weisen die Lichter der Leuchttürme den Schiffen den Weg, wie Alphonse Daudet, der bereits auf einem von ihnen wohnte, berichten kann.

So vielfältig sich das Meer im Verlauf der Jahreszeiten oder bei unterschiedlichen Wetterbedingungen präsentiert, so kurzweilig sind auch die Texte und Gedichte der hier versammelten Literat*innen. Immer schwingt zwischen den Zeilen der Respekt vor dieser manchmal unberechenbaren Naturgewalt mit, die immer und überall auf der Welt die Phantasie der Menschen beflügelte und das Fernweh und den Drang nach Freiheit steigerte.

Auch auf mich übt das Meer einen unerklärlichen Zauber aus, schürt meine Sehnsucht und nährt meine Melancholie. Kann ich auch lange Zeit ohne sein, so zieht es mich irgendwann doch wieder ans Wasser. Denn nur beim Blick über die Wellen verspüre ich diese absolute Ruhe, die dem Gefühl von Friede sehr nahe kommt.


erschienen bei anaconda / ISBN: 978-3730614662

[Rezension] Lisa Aisato – ALLE FARBEN DES LEBENS

Stimmen die Farben des Lebens bei allen Menschen überein? Oder gibt es signifikante Unterschiede? Verbinden alle Menschen immer dasselbe mit einer Farbe? Bringen wir alle mit ROT immer die Liebe in Verbindung? Ist GRAU für jede*n gleichbedeutend mit trüb und trist? Ist es nicht vielmehr so, dass wir Farben mit Situationen, Emotionen aber auch Düften in Verbindung bringen? Was sind somit die Farben des Lebens? Oder vielmehr: Welches sind die Farben meines Lebens?

Lisa Aisato, die mich mit ihren Illustrationen zu EINE WEIHNACHTSGESCHICHTE von Charles Dickens bereits so sehr begeistern konnte, hat mit ALLE FARBEN DES LEBENS ein Portfolio ihren Arbeiten zusammengestellt – sowohl Klassiker als auch bisher unveröffentlichte Werke.

Dabei stellte sie das Menschenleben in den Mittelpunkt. Wie ein roter Faden durchlaufen wir anhand ihrer Kunstwerke die verschiedenen Entwicklungsstufen aber auch die unterschiedlichen Empfindungen, die bei uns Menschen im jeweiligen Stadium präsent scheinen, wie z.Bsp. Liebe, Lust, Hoffnung, Ängste, Wut und Verzweiflung. Als roten Faden würde ich auch ihren begleitenden Text bezeichnen, der sich nie in den Vordergrund drängt, sondern der vielmehr „underscoring“ flankiert, um die Wirkung des Bildes nochmals zu verstärken.


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Wer beim Stil der Bilder Ausschau nach einem roten Faden hält, sucht vergebens, da die Werke zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind. Ich persönlich habe besagten roten Faden in keiner Weise vermisst, vielmehr habe ich die Abwechslung in den Stilen sehr genossen und als Bereicherung empfunden. Da haben einige Bilder eine berührende Realität und zeigen Gesichter voller Emotionen, aus denen Augen leuchten, die zu mir zu sprechen schienen. Andere wirken wie Aquarelle, auf denen Wassertropfen gelandet sind, die die Ränder sanft zum Verschwimmen brachten. Dann gibt es Illustrationen bei denen die Figuren wie Karikaturen wirken oder aus einem Comic entsprungen zu sein scheinen. Weitere Illustrationen haben mit ihren verschobenen Proportionen schon beinah einen surrealen Charakter.

Allen Kunstwerken ist gemein, dass sie – auch durch die jeweilige Farbgebung – eine sehr eigene Vitalität ausstrahlen und mich als Betrachter nie kalt ließen. Natürlich gab es da Abstufungen: Es gab Illustrationen, die mich mal mehr, mal weniger intensiv berührten. Doch alle lösten beim Betrachten etwas bei mir aus: Da spielte ein Lächeln um meine Lippen, ein nachdenkliches Runzeln kräuselte meine Stirn, mit einem tiefen Atemzug löste ich meine Spannung, oder tief bewegt suchte eine Träne ihren Weg über meine Wange.

Lisa Aisato gilt völlig zu Recht als Norwegens beliebteste und bekannteste Illustratorin: Hat sie doch ein untrügliches Gespür, in ihren Bildern die Empfindungen sichtbar zu machen. Mit ALLE FARBEN DES LEBENS ist ihr ein so zauberhaftes, lebensbejahendes, buntes, ergreifendes und mystisches Buch gelungen, das absolut vielfältig ist. Sie hat uns ein Kunstbuch und ein Bilderbuch aber auch ein Lebensbuch geschenkt, das mich nun sehr, sehr lange begleiten wird.

Apropos: Ich verbinde mit GRAU den Morgennebel im Frühjahr, der sich luftig auf die Niederungen am nahen Fluss legt und die Moorlandschaft wie verzaubert erscheinen lässt. Dieser Anblick entzückt mich immer wieder sehr!


erschienen bei Woow Books / ISBN: 978-3961770717 / in der Übersetzung von Neele Bösche

[Rezension] Marko Simsa – MEIN ERSTES BUCH VOM ORCHESTER. Willkommen in der Welt der Musikinstrumente/ mit Illustrationen von Christine Faust

Die Sommerpause neigt sich langsam dem Ende entgegen. Es dauert nicht mehr lange, und die Theater- und Konzerthäuser öffnen wieder ihre Türen für die Spielzeit 2025/2026. Auch mein Stammtheater, das Stadttheater Bremerhaven wird in wenigen Tagen in die neue Saison mit einem fulminanten Eröffnungs-Wochenende starten. Ich freue mich schon sehr…!

Und so endet mit MEIN ERSTES BUCH VOM ORCHESTER auch meine kleine Vorstellung von Literatur, die mir helfen sollte, die theaterlose Zeit zu überbrücken. Hierbei handelt es sich um einen erfolgreichen Klassiker aus dem Annette Betz-Verlag, der nach über 25 Jahren in einer überarbeiteten und neu illustrierten Fassung nun abermals veröffentlicht wurde, um weiteren Generationen an Kids die Welt der Musik näher zu bringen. Und dies gelingt Autor Marko Simsa mit Illustratorin Christine Faust und dem Orchester Camerata Wien unter der musikalischen Leitung von Erke Duit auch recht gut.

Lina ist aufgeregt: Sie darf Onkel Theo, der Dirigent ist, bei einer Orchesterprobe begleiten! Alle Musikerinnen und Musiker zeigen Lina ihre Instrumente. Dass die Geige sogar miauen kann und die Querflöte wie ein Vogel trillert, beeindruckt auch Kater Silvester: Lina durfte ihn ausnahmsweise mitnehmen! Mit Lina und ihrem Kater lernen Kinder spielerisch das Orchester kennen. Im Begleit-Hörbuch wird jedes Instrument in Tonbeispielen und Text vorgestellt. Zum Abschluss spielt das ganze Orchester zusammen beim großen Konzert!

 (Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

Man merkt Marko Simsas Text deutlich an, dass er reichlich Erfahrung mit einem jungen Publikum hat: Charmant doch unaufgeregt erzählt er die Geschichte von Linas Begegnung mit den Musiker*innen und ihren Instrumenten. Dabei streute er immer wieder humorvolle Dialoge in die Handlung, blieb dicht an der kindlichen Erlebniswelt und ließ potentielle Fragen der kleinen Leser*innen in Vertretung durch Lina stellen. Sehr genau, doch nicht ermüdend detailliert erklärte er die einzelnen Instrumente – sowohl die Einzigartigkeit als auch die Gemeinsamkeiten – und ihre Spielweise und wies auf Besonderheiten hin, die die zukünftigen Orchesterfans bei ihrem nächsten Konzertbesuch selbst bei den jeweiligen Instrumenten im Orchestergraben entdecken könnten. Auch eine Erklärung zu den jeweiligen Instrumentengruppen, die sich in einer besonderen Aufstellung schlussendlich zu einem Orchester formieren, fehlte selbstverständlich ebenso wenig.

Christine Faust blieb mit ihren Illustrationen ebenso nah an der kindlichen Erlebniswelt wie Simsa mit seinem Text. Mit klaren Formen und Farben kreierte sie sympathische Figuren mit einer sehr individuellen Optik, die ein Wiedererkennen der Musiker*in auf den Folgebildern erleichterten, Details hervorhoben und so eine deutliche Unterscheidung der Instrumente möglich machten.

Die beigefügte CD kann beinah als eigenständiges Medium gesehen werden: Zwar nimmt Sprecher Marko Simsa durchaus Bezug auf das Bilderbuch, doch gestaltete den Text nicht als bloße Nacherzählung der Bilderbuchhandlung, sondern er hob diesen auf eine zusätzliche Erzählebene.

Vielmehr legte er den Schwerpunkt deutlich mehr auf die einzelnen Instrumente, erläuterte anhand vieler Musikbeispiele, wie unterschiedlich die Instrumente bei ein und derselben Melodie klingen und schloss die Vorstellung der einzelnen Instrumente mit einer Passage aus dem klassischen Repertoire, bei dem das jeweilige Instrument besonders prägnant hervortritt. Bei der Musikauswahl wählte er beliebte Kinderlieder und bekannte klassische Stücke, die sicherlich einen hohen Wiedererkennungswert beim jungen Publikum haben.

Beste musikalische Unterstützung erhielt er durch Dirigent Erke Duit und den Musiker*innen des Orchesters Camerata Wien, die die CD mit einem gelungenen „Mini-Konzert“ beschlossen und so verdeutlichten, wie wunderschön es klingt, wenn die Instrumente der einzelnen Gruppen sich zu einem harmonischen Klangkörper vereinen.

Die Geschichte von Ninas Besuch bei einem Orchester mag für viele wie ein Märchen klingen, doch vielen Orchestern liegt die Musikvermittlung an Kinder und Jugendliche sehr am Herzen, wie auch dem Philharmonischen Orchester Bremerhaven. Da gibt es beim FAMILIENKONZERT immer ein musikalisches Vorprogramm im oberen Foyer des Stadttheaters Bremerhaven, bei dem die Kids unter Anleitung der Orchester-Profis Instrumente kennenlernen und ausprobieren können. Zudem gibt es unter dem Motto MUSIK FÜR ALLE vielfältige Kooperationen mit Kitas und Schulen.


erschienen bei Annette Betz / ISBN: 978-3219120615
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Annette Roeder – FRAG PHILOMENIA FREUD. DIE PERLENSPINNE

Da saßen vor wenigen Wochen die Podcast-Hosts von eat.READ.sleep Katharina Mahrenholtz und Daniel Kaiser bei Moderatorin Bettina Tietjen auf dem roten Sofa von DAS! und plauderten (natürlich, wie könnte es auch anders sein) voller Begeisterung über Bücher. Katharina Mahrenholtz stellte dabei den Auftakt-Band einer neuen Kinderbuch-Reihe vor und schwärmte so sehr in den höchsten Tönen, dass meine Neugier geweckt war.

Doch manchmal benötige ich einen zusätzlichen Anstoß, einen Extra-Kick, der mich aus meiner Passivität löst und mich aktiv werden lässt: Da kam die Möglichkeit, an einer Leserunde teilzunehmen, wie gerufen. Zumal ich mich zu den Glücklichen zählen durfte, die ein Exemplar des besagten Buches gewonnen und dieses somit bald in den Händen hielt. Voller Vorfreude startete ich die Lektüre in der Hoffnung auf ein kurzweiliges Lesevergnügen,…

Das Straßenmädchen Philomena ist in Wien wohlbekannt. Vor Sigmund Freuds Praxis verdient sie sich ihren Unterhalt als Schuhputzerin und gibt oft bessere Ratschläge für alle Lebenslagen als der berühmte Begründer der Psychoanalyse. Dessen Gespräche kann sie gelegentlich mitverfolgen und stößt so auf manches Geheimnis. Als die junge Patientin Sidonie von Wallersee verdächtigt wird, ihre Erbtante ermordet zu haben, wird Philomena misstrauisch. Ist es nicht merkwürdig, dass die Mordwaffe ausgerechnet eine Haarnadel mit einer perlenbesetzten Spinne ist, wo Sidonie doch wegen einer Spinnenphobie behandelt wird? Philomena forscht nach und stößt auf eine Intrige, die sie bis in Wiens berüchtigte Heilanstalt für Nervenkranke führt.

 (Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

…und ich wurde wahrlich nicht enttäuscht: Autorin Annette Roeder erzählte ihre Geschichte erfreulich gradlinig und vermied so überflüssige Schlenker in der Handlung, die die Geschichte nur unnötig aufgebläht hätten. Dabei kreierte sie ein wunderbar stimmiges Setting vom Wien der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. So konnte ich mich ganz hervorragend in die damalige Zeit hineinversetzen, zumal dies durch die eingestreuten Wörter im Wiener-Idiom noch erleichtert wurde. Dabei floss der österreichische „Schmäh“ ganz natürlich sowohl in die Handlung wie auch in die Dialoge ein, ohne überstrapaziert zu werden.

Apropos Dialoge: Auch hier bewies die Autorin ihr Können, indem sie den Figuren die passenden, typgenauen Wörter ins Mundwerk schrieb. Sie porträtierte z.Bsp. unsere jugendliche Heldin als ein aufmerksames, talentiertes und kluges junges Mädchen und bietet so Identifikationsmöglichkeiten für die jugendlichen Leser*innen. Dabei unterließ sie es tunlichst, sie als allwissend, altklug und frühreif darzustellen, zumal dieses (manchmal durchaus nervige) Rollenprofil in der Vergangenheit schon anderweitig in ausreichendem Maße bemüht wurde. Zusätzlich schenkte sie uns einige höchst amüsante, liebenswerte aber auch skurrile Figuren, die eine Bereicherung für die Szenerie darstellten.

Auch wenn es sich hier um einen Unterhaltungsroman handelt, so verschwieg die Autorin nicht die gesellschaftlichen Missstände, die zur damaligen Zeit vorherrschten – seien es die Zustände in einer psychiatrischen Heilanstalt wie auch der Umgang mit den Kindern in einer Einrichtung der Fürsorge: Dies geschah allerdings in Hinblick auf die jugendliche Leserschaft zwar durchaus begreiflich aber stets geschmackvoll.

Als – im besten Sinne – klassischen „Whodunit“ konzipiert, baute Annette Roeder die Spannung raffiniert auf und schickte einige zusätzliche Verdächtige ins Rennen, um für weitere Verwirrung zu sorgen und mich als Leser zum Mit-Rätseln zu animieren. Dabei blieb stets die Motivation der Figuren deutlich nachvollziehbar und somit deren Handeln schlüssig. Raffiniert platzierte sie zum Schluss sogar einen kleinen, dezenten Cliffhanger, der schon in Richtung zukünftiger Romane weist.

Hervorheben möchte ich auch die wunderschöne, ansprechende Ausstattung des Buches, zu der Julia Plath die Illustrationen geschaffen hat. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass Kinder- und Jugendbücher ebenso wertig gestaltet werden wie die Literatur für eine erwachsenere Leserschaft.

Nach dieser ganz und gar gelungenen Premiere wünsche ich unserer sympathischen Heldin ein langes literarisches Leben mit einer Vielzahl an Leserinnen und Lesern. Das Potential bringt sie durchaus mit…!


erschienen bei Knesebeck / ISBN: 978-3957289827
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Caroline Graham – DAS RÄTSEL VON BADGER’S DRIFT

Da begleitet mich eine Fernsehserie bereits seit 20 Jahren, und im Laufe der Zeit habe ich beinah familiäre Gefühle gegenüber den Figuren entwickelt. Bei jedem Wieder(fern)sehen mit „Inspector Barnaby“ (Originaltitel: „Midsomer Murders“) stellt sich bei mir der Miss Marple-Effekt* ein: Ich habe das Gefühl, ich begrüße gute, alte Bekannte – alles ist vertraut, doch es ist immer wieder schön!

Als ich erfuhr, dass die Kriminalromane von Caroline Graham, die als literarische Vorlage der Serie dienten, wieder aufgelegt werden, vollführte ich das entsprechende Duo der Freude: Aufschrei und Luftsprung. Und so krallte ich mir in der Buchhandlung meines Vertrauens auch unverzüglich den ersten spektakulären Fall von einem meiner Lieblings-TV-Schnüffler…

Badger’s Drift, ein verschlafenes Nest zwischen sanft geschwungenen grünen Hügeln. Der Inbegriff von Ruhe. Hier gibt es einen Pfarrer, einen Dorfarzt und eine freundliche alte Jungfer, die sich mit selbst gebackenen Keksen einen Namen gemacht hat. Doch als Miss Simpson im nahe gelegenen Wald spazieren geht, wird sie Zeugin eines Vorfalls, der besser unentdeckt geblieben wäre. Denn kurz darauf ist die freundliche alte Dame tot. Miss Simpsons Tod sei nicht verdächtig, sagen die Dorfbewohner. Aber Miss Lucy Bellringer will sich damit nicht abfinden: Ihre Freundin wurde ermordet, dessen ist sie sicher. Hartnäckig setzt sie dem unwilligen Detective Chief Inspector Barnaby zu, bis er nachgibt und den Fall untersucht. Und tatsächlich kommt Barnaby bald schon langjährigen Rivalitäten, Skandalen und Affären auf die Spur und entdeckt erste Risse in der blankpolierten Fassade des Dorfes…

 (Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

„Inspector Barnaby“: einschalten – zurücklehnen – wohlfühlen! Ähnliches erhoffte ich mir auch von der Romanvorlage. Es begann so vielversprechend: Wie beim Pilot-Film der Serie begann auch der Roman mit dem bekannten Opening. Ich frohlockte innerlich und wartete gespannt auf das erste Auftauchen der von mir so geliebten Figuren. Allzu lange wurde meine Geduld nicht auf die Probe gestellt, denn schon ab Seite 21 waren sie präsent. Doch je weiter ich las, umso mehr verdunkelte sich meine Stirn und legte sich in tiefe Falten, die nichts Gutes erahnen ließen.

Sie waren alle da: DCI Tom Barnaby mit Gattin Joyce und Tochter Cully, Doktor Bullard und Sergeant Troy sowie die kauzige Landbevölkerung. Doch warum nur wurden sie alle von Caroline Graham so negativ porträtiert? Anscheinend gibt es nach Einschätzung der Autorin in der von ihr erdachten Grafschaft Midsomer niemanden, der es verdient hätte, liebenswert charakterisiert zu werden.

Dabei schreibt Graham durchaus flott und versteht es, die Handlung detailliert aufzubauen. Auch die Rückblenden in die Vergangenheit einiger Protagonist*innen sind ihr gut gelungen und erlaubten mir als Leser Rückschlüsse für deren Handlungen in der Roman-Gegenwart.

Nur leider drängte sich mir bei der weiteren Lektüre die Frage auf, ob die Autorin selbst ihre Figuren mag? Da ich dies in Zweifel zog, erschien es nicht verwunderlich, dass die Figuren auch zueinander wenig Sympathie aufbringen konnten. Es fehlten mir die feinen Nuancen in deren Charakterisierung, wie die – mit einem Augenzwinkern quittierten – drolligen Eigenarten, die eine Person so liebenswert machen. Auch die im TV so amüsanten Frotzeleien zwischen Barnaby und Troy haben hier aufgrund des mangelnden Humors einen deutlich beißenderen Unterton. Sollte Humor in diesem Roman vorhanden sein, dann hat sich diese spezielle Art des Humors mir leider nicht erschlossen.

Umso mehr bewunderte ich im Nachhinein die Kreativen der TV-Serie, allen voran die Schauspieler*innen, die mit Können und Charme liebenswerte Nuancen aus ihren Figuren herauskitzelten und so den Weg bereiteten, dass diese Serie zu einem internationalen Hit wurde.

Auf dem Umschlag wurde wieder einmal (wie so oft) ein Vergleich mit der „Queen of Crime“ bemüht: „Seit Agatha Christie hat niemand bessere Krimis geschrieben.“ Dieser Einschätzung der Londoner The Sunday Times kann ich mich leider nicht anschließen.


*Der Miss Marple-Effekt beruht auf den 4 Filmen aus den 60ern mit Margaret Rutherford in der Titelrolle. Da lege ich mich mit einer Tüte Chips auf’s Sofa, kuschle mich unter die Wolldecke und spreche die bekannten und geliebten Dialoge mit: „Es können nicht alle Menschen jung und hübsch sein. Das wissen Sie doch am besten, Mr. Ackenthorpe.“

Na, wer von euch errät, aus welchem Film dieses Zitat stammt?


erschienen bei Alibi (Dörlemann) / ISBN: 978-3038201588 / in der Übersetzung von Ursula Walther

[Rezension] Michel Faber – HÖR ZU! Was Musik mit uns macht

Es ist weniger eines dieser vielen auf dem Markt erhältlichen Sachbücher, die von schlauen Leuten verfasst ebenso schlaue Einblicke in die kulturhistorische Entwicklung der Musik geben und mit einer Vehemenz Werke und Komponisten in den Mittelpunkt rücken, die ich unbedingt kennen, hören und gefälligst auch (Verdammt nochmal!) verehren sollte, da ich sonst ein Kulturbanause par excellence und musikalischer Kretin sei, der somit die Berechtigung verspielt hätte, auf diesen unseren schönen Planeten zu leben. Nö! So ein Sachbuch ist dies nicht!

Ich möchte mich in aller Form für den obigen Schachtelsatz entschuldigen! 🙂

Vielleicht war es von Vorteil, dass Autor Michel Fabers seine Meriten bisher durch Romane und Novellen erworben hat, und er sich so unbefangener an das Thema herantasten konnte. Denn Faber geht es hier nicht um irgendwelche Top 10-Listen mit „Must-Hear“ und gibt somit auch keine Hör-Tipps. Vielmehr pustet er mit diesem Buch den Staub von der Erinnerungs-Kommode seiner Leserschaft. Auch bei mir stößt er dabei die eine oder andere Schublade auf, in die ich seit Jahren nicht mehr hineingeschaut habe.

Er stellt sich und uns die Frage, wie der individuelle Musikgeschmack entsteht. Ja, er wagt sogar die Aussage, dass unser Musikgeschmack gar nicht so individuell ist, wie wir vielleicht bisher vermutet haben. Schließlich diente Musik auch immer dazu, sich einer Gruppe von Menschen, der so genannten Peergroup, zugehörig zu fühlen. Jede*r von uns hatte doch mit Sicherheit die eine oder andere CD im Regal stehen, die wir uns in jungen Jahren gekauft haben, weil die Gruppe oder die/der Interpret*in damals so mega-mäßig angesagt war und von allen hippen Leuten gehört wurde. Früher oder später landeten dann genau diese CDs auf dem Flohmarkt. Zumindest bei mir landeten sie auf dem Flohmarkt, da sich mein Musikgeschmack im Laufe der Jahr(zehnt)e glücklicherweise weiterentwickelt hat. Dabei wagt der Autor die Theorie, dass wir alle auch vom Musikgeschmack unserer Eltern geprägt werden, indem wir diesen entweder übernehmen oder uns bewusst davon abgrenzen. Zudem spielen viele weitere Faktoren, wie die soziale Herkunft und das Bildungsniveau, eine nicht unerhebliche Rolle welcher Musikrichtung wir uns zuwenden.

Auch blickt Faber auf das Phänomen, dass Musik uns emotional deutlich tiefer berührt als das gesprochene oder geschriebene Wort. Da lösen nur wenige Takte einer Melodie, vielleicht in Kombination mit einer ganz besonderen Stimme, eine Flut an Empfindungen bei mir aus. Genau dies machen sich findige Strateg*innen zu Nutze, um uns mit Musik zu manipulieren, wie sie z.Bsp. in der Werbung oder im Film zum Einsatz kommt.

Interessant ist es auch zu erfahren, wie sich das Hören von Musik im Laufe der Jahre verändert hat. Früher legte die Hörerschaft viel Wert auf „echten“ Gesang, der wahr und wahrhaftig vorgetragen wurde. Da konnte die Erkenntnis, dass die Jungs von Milli Vanilli nie selbst gesungen haben und somit eine Mogelpackung waren, durchaus schwerwiegende Traumata bei den Fans auslösen. Heutzutage erwartet man von den Superstars die große, schweißtreibende Show voller athletischer Einlagen: Da will niemand die keuchend-atemlose Original-Stimme der Stars hören und nimmt gerne das gut produzierte Playback in Kauf, um sich der Illusion einer perfekten Show hinzugeben.

Auch hat das Image einer Künstlerin/ eines Künstlers heutzutage einen bedeutend höheren Marktwert als der Gesang, und selbstverständlich darf dabei der passende Style nicht fehlen. Dieses Gesamtpaket dient als Identifikationsgrundlage für die Fans (oder sollte ich lieber „Verbraucher“ sagen?).

Ja, die Musik ist auch ein Produkt, das auf dem Basar meistbietend verschachert wird. Die Protagonist*innen tauchen so manches Mal (scheinbar) aus dem Nichts auf, setzen zu Höhenflüge an, krachen spektakulär zu Boden, bleiben zerstört liegen oder rappeln sich wieder auf, um nochmals unter veränderten Bedingungen ein Comeback zu wagen. Der Körper und somit auch die Stimme verändern sich mit dem Alter: Manche Sänger*innen nutzen diesen Wandel für ihre Kunst. Sie treffen zwar nicht mehr die hohen oder lauten Töne der Jugend, dafür zeugt die Brüchigkeit in ihren Stimmen von einem echten gelebten Leben und berührt ihre Hörer*innen auf einer ganz anderen emotionalen Ebene.

Oft wirkte es auf mich, als würde Michel Faber sich in seiner Plauderei verlieren. Scheinbar maßlos schüttete er seine Gedanken über mich als Leser aus. Doch gerade diese Fülle an Denkanstöße motivierte mich, dass ich selbst einen Blick auf meine Geschichte, meine Entwicklung, mein Werden warf und mir eine Vielzahl an Fragen stellte. Woher komme ich? Welcher Musik war ich durch meiner frühen Umwelt ausgesetzt? Bei welcher Musik war ich „Mitläufer“, wo war ich „Anführer“? Welche Brüche gab es in meiner Biografie, die mich zu einer anderen Art von Musik hintreiben ließ? Diese und noch viele weitere Fragen stellte ich mir während und nach der Lektüre dieses Buches. Antworten fand ich selbstverständlich nicht in ihm, dafür eine Fülle an Impulse, die mir halfen, dass ich mir die Fragen selbst beantworten konnte.

Doch Michel Faber stellte auch sich selbst diese Fragen und ging somit auf Spurensuche in seiner eigenen bewegten Vergangenheit. Er kam zu der Erkenntnis, dass die einzigartige Biografie eines Menschen den Musikgeschmack formt, der dann eben doch sehr individuell ist.

Ich persönlich liebe Musical, Oper und Operette, habe durchaus meine Favoriten bei der Klassik, lausche gerne Swing und Jazz, begeistere mich für den deutschen Schlager der 60er bis 80er Jahre und singe laut und hemmungslos zu Disney-Songs. Habe ich nun einen guten oder eher einen schlechten Musikgeschmack? Nein, bitte nicht antworten! Es ist nicht so, dass ich eine negative Antwort nicht verkraften könnte. Vielmehr ist es mir völlig egal, was andere von meinem Musikgeschmack halten.

Diese Musik gehört zu mir, und sie zu hören, macht mich glücklich. Das ist für mich die Hauptsache!


erschienen bei btb / ISBN: 978-3442762927 / in der Übersetzung von Bernd Gockel
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Peter Overbeck – OPER. 100 SEITEN

Der letzte Ton ist gesungen. Die letzte Note ist gespielt. Was bleibt? Abwarten…

…und Tee trinken, oder man greift zwecks Einstimmung auf die kommende Spielzeit zu einem thematisch stimmigen Buch. In meinem Fall lächelte mich in der Buchhandlung meines Vertrauens aus dem Kollektiv der vorhandenen Bücher der Reclam-Reihe 100 SEITEN passenderweise genau dieses Buch an und wollte unbedingt mitgenommen werden.

Für diese Reihe findet der Reclam-Verlag immer wieder kundige Autor*innen, die Kompetenz mit Kurzweil zu paaren verstehen. Peter Overbeck ist Musikwissenschaftler, Tonmeister, Musikjournalist sowie Opernfan und verfügt somit um ausreichend Expertise für dieses Thema. So lüftet er den Theatervorhang und entblättert „seine“ 100 SEITEN einer Opernaufführung gleich vor unseren Augen. Da gibt er schon mit der Ouvertüre den einstimmenden Ton vor, um dann über fünf Akte hinweg die Dramatik in dieser Kunst zu zelebrieren. Glücklicherweise gönnt er uns nach Akt 3 eine Pause zum Verschnaufen, um danach mit einem schmissigen Intermezzo wieder in die Vollen einzusteigen. Selbst den Applaus füllt er mit Sachverstand und lässt es sich auch nicht nehmen, uns eine Zugabe zu gewähren.

Die einzelnen Programmpunkte überzeugen mit einer üppigen Menge an unterhaltsamen Informationen: Bei der Ouvertüre lässt der Autor uns an Kindheitserinnerungen teilhaben und berichtet von seinen erste zarten Berührungspunkten mit dieser Kunstgattung. Zudem gibt er Aufschluss über die immense Zahl vorhandener Opern im Vergleich zu den tatsächlich an den Häusern gespielten. Im 1. Akt liefert er das Basiswissen für alle, die sich immer schon einmal gefragt haben, was OPER überhaupt ist, bzw. wie sie entstanden ist. Der 2. Akt geht da weiter in die Tiefe und beleuchtet, welche Art von Geschichten die Komponisten und Librettisten animierten, aus ihnen eine Oper zu kreieren. Akt 3 stellt nun das ausführende Personal in den Mittelpunkt (Sängerinnen, Sänger und Dirigenten) und erläutert die unterschiedlichen Stimmlagen und die damit verbundenen Rollenfächer. Dann ist endlich Pause, und das Publikum strömt in die Foyers der jeweiligen Opernhäuser, um sich dort zu erfrischen bzw. etwas über das Publikum in Opernhäusern zu erfahren.

Mit dem Intermezzo startet die Aufführung in die zweite Hälfte und lässt uns einen Blick auf die Organisation eines Opernhauses werfen und bietet Hinweise bzgl. der Finanzierung. Der 4. Akt bietet Raum für Skandale und Skandälchen, die es im Schatten der Oper immer gab und auch immer geben wird. Sind sie doch der Salz in der Suppe des Opern-Betriebs. Im 5. Akt betrachten wir, welchen Einfluss die modernen Massenmedien auf die Kunstgattung Oper hatten und haben, und wie sie sich dadurch in ihrer Präsentation verändert hat. Und während wir dem Autor reichlich Applaus zusprechen, müssen wir uns aber auch Gedanken um die Zukunft der Oper machen: Ist sie verdammt, ein Relikt aus der Vergangenheit zu werden, oder hat sie sich bereits zu einer moderne Kunstform entwickelt, die auch ein jüngeres Publikum anspricht? Als Zugabe schenkt uns Overbeck noch etliche Tipps zum Hören, Lesen und Surfen, damit wir uns auch nach dieser literarischen Opernaufführung weiter in die Materie vertiefen können.

Mit OPER. 100 SEITEN ist Peter Overbeck ein sehr kompakter aber nie oberflächlicher Einstieg ins Thema gelungen. Mit seiner informativen wie gelungenen Abhandlung lädt er uns ein, dass wir uns weiter mit dieser „unmöglichen“ aber so wundervollen Kunstform beschäftigen.


erschienen bei Reclam / ISBN: 978-3150205372