[Rezension] Caroline Graham – DAS RÄTSEL VON BADGER’S DRIFT

Da begleitet mich eine Fernsehserie bereits seit 20 Jahren, und im Laufe der Zeit habe ich beinah familiäre Gefühle gegenüber den Figuren entwickelt. Bei jedem Wieder(fern)sehen mit „Inspector Barnaby“ (Originaltitel: „Midsomer Murders“) stellt sich bei mir der Miss Marple-Effekt* ein: Ich habe das Gefühl, ich begrüße gute, alte Bekannte – alles ist vertraut, doch es ist immer wieder schön!

Als ich erfuhr, dass die Kriminalromane von Caroline Graham, die als literarische Vorlage der Serie dienten, wieder aufgelegt werden, vollführte ich das entsprechende Duo der Freude: Aufschrei und Luftsprung. Und so krallte ich mir in der Buchhandlung meines Vertrauens auch unverzüglich den ersten spektakulären Fall von einem meiner Lieblings-TV-Schnüffler…

Badger’s Drift, ein verschlafenes Nest zwischen sanft geschwungenen grünen Hügeln. Der Inbegriff von Ruhe. Hier gibt es einen Pfarrer, einen Dorfarzt und eine freundliche alte Jungfer, die sich mit selbst gebackenen Keksen einen Namen gemacht hat. Doch als Miss Simpson im nahe gelegenen Wald spazieren geht, wird sie Zeugin eines Vorfalls, der besser unentdeckt geblieben wäre. Denn kurz darauf ist die freundliche alte Dame tot. Miss Simpsons Tod sei nicht verdächtig, sagen die Dorfbewohner. Aber Miss Lucy Bellringer will sich damit nicht abfinden: Ihre Freundin wurde ermordet, dessen ist sie sicher. Hartnäckig setzt sie dem unwilligen Detective Chief Inspector Barnaby zu, bis er nachgibt und den Fall untersucht. Und tatsächlich kommt Barnaby bald schon langjährigen Rivalitäten, Skandalen und Affären auf die Spur und entdeckt erste Risse in der blankpolierten Fassade des Dorfes…

 (Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

„Inspector Barnaby“: einschalten – zurücklehnen – wohlfühlen! Ähnliches erhoffte ich mir auch von der Romanvorlage. Es begann so vielversprechend: Wie beim Pilot-Film der Serie begann auch der Roman mit dem bekannten Opening. Ich frohlockte innerlich und wartete gespannt auf das erste Auftauchen der von mir so geliebten Figuren. Allzu lange wurde meine Geduld nicht auf die Probe gestellt, denn schon ab Seite 21 waren sie präsent. Doch je weiter ich las, umso mehr verdunkelte sich meine Stirn und legte sich in tiefe Falten, die nichts Gutes erahnen ließen.

Sie waren alle da: DCI Tom Barnaby mit Gattin Joyce und Tochter Cully, Doktor Bullard und Sergeant Troy sowie die kauzige Landbevölkerung. Doch warum nur wurden sie alle von Caroline Graham so negativ porträtiert? Anscheinend gibt es nach Einschätzung der Autorin in der von ihr erdachten Grafschaft Midsomer niemanden, der es verdient hätte, liebenswert charakterisiert zu werden.

Dabei schreibt Graham durchaus flott und versteht es, die Handlung detailliert aufzubauen. Auch die Rückblenden in die Vergangenheit einiger Protagonist*innen sind ihr gut gelungen und erlaubten mir als Leser Rückschlüsse für deren Handlungen in der Roman-Gegenwart.

Nur leider drängte sich mir bei der weiteren Lektüre die Frage auf, ob die Autorin selbst ihre Figuren mag? Da ich dies in Zweifel zog, erschien es nicht verwunderlich, dass die Figuren auch zueinander wenig Sympathie aufbringen konnten. Es fehlten mir die feinen Nuancen in deren Charakterisierung, wie die – mit einem Augenzwinkern quittierten – drolligen Eigenarten, die eine Person so liebenswert machen. Auch die im TV so amüsanten Frotzeleien zwischen Barnaby und Troy haben hier aufgrund des mangelnden Humors einen deutlich beißenderen Unterton. Sollte Humor in diesem Roman vorhanden sein, dann hat sich diese spezielle Art des Humors mir leider nicht erschlossen.

Umso mehr bewunderte ich im Nachhinein die Kreativen der TV-Serie, allen voran die Schauspieler*innen, die mit Können und Charme liebenswerte Nuancen aus ihren Figuren herauskitzelten und so den Weg bereiteten, dass diese Serie zu einem internationalen Hit wurde.

Auf dem Umschlag wurde wieder einmal (wie so oft) ein Vergleich mit der „Queen of Crime“ bemüht: „Seit Agatha Christie hat niemand bessere Krimis geschrieben.“ Dieser Einschätzung der Londoner The Sunday Times kann ich mich leider nicht anschließen.


*Der Miss Marple-Effekt beruht auf den 4 Filmen aus den 60ern mit Margaret Rutherford in der Titelrolle. Da lege ich mich mit einer Tüte Chips auf’s Sofa, kuschle mich unter die Wolldecke und spreche die bekannten und geliebten Dialoge mit: „Es können nicht alle Menschen jung und hübsch sein. Das wissen Sie doch am besten, Mr. Ackenthorpe.“

Na, wer von euch errät, aus welchem Film dieses Zitat stammt?


erschienen bei Alibi (Dörlemann) / ISBN: 978-3038201588 / in der Übersetzung von Ursula Walther

[Rezension] Agatha Christie – EIN MORD WIRD ANGEKÜNDIGT

Es war an einem dieser Tage, an dem es mal wieder nichts im Fernsehen gab – zumindest nichts, das mich hätte interessieren können. Und so warf ich einen Blick in unsere gut gefüllte private Mediothek und pickte mir die TV-Verfilmung zu Agatha Christies EIN MORD WIRD ANGEKÜNDIGT heraus, eine dieser gelungenen Fernsehadaptionen mit Geraldine McEwan als Miss Marple sowie Zoë Wanamaker und Elaine Paige in weiteren Rollen. Wie sehr gelungen diese Adaption war, das sollte ich bei meinem erstmaligen Lesen des Original-Romans feststellen. Denn genau dazu hatte mich dieser gemütliche Fernsehabend verleitet…!

„Am Freitag, den 29. Oktober, wird in Little Paddocks um 18.30 Uhr ein Mord stattfinden. Freunde werden gebeten, diesen Hinweis als Einladung aufzufassen.“ So steht es in einer Anzeige im Lokalblatt des Städtchens Chipping Cleghorn. Die Bewohner sind irritiert, aber auch neugierig. In Scharen strömen sie zum Gutshaus. Während ihnen Sherry gereicht wird, geht plötzlich das Licht aus, und ein Schuss fällt. Als das Licht wieder angeht, offenbart sich ein grausames Bild.

 (Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

Vieles wurde Agatha Christie schon vorgeworfen: Ihre Werke wären für heutige Zeiten (!) zu bieder, zu langatmig und unglaubwürdig sowie die Figuren zu elitär und die Plots an den Haaren herbeigezogen. Dabei vergessen die Unken unter den Leser*innen, dass manche ihrer Werke vor mehr als hundert Jahren entstanden sind.

(Ironie an) Aber als verantwortungsvolle und in die Zukunft schauende Autorin hätte sie da schon ihre Werke „für heutige Zeiten“ schreiben können, nicht wahr? Doch wann genau wären sie gewesen, diese „heutigen Zeiten“? (Ironie aus)

Okay, ich schweife ab! Was ich vielmehr ausdrücken möchte, ist folgendes: Agatha Christie war ein Kind „ihrer Zeit“, und somit hat sie damals durchaus „für heutige Zeiten“ geschrieben. Wer auch immer dies nicht versteht, der würde sicherlich auch kritisieren, dass William Shakespeares Verse „für heutige Zeiten“ zu schwülstig seien.

Was man Agatha Christie definitiv nicht vorwerfen kann, ist, dass sie es nicht verstanden hätte, unterhaltsame Geschichten zu schreiben, die auch noch „für heutige Zeiten“ mit unvorhersehbaren Twists überraschen – wie auch bei EIN MORD WIRD ANGEKÜNDIGT. Hier geizte sie zudem nicht mit einer Vielzahl an Verwicklungen und prägnanten Figuren, zwischen denen Miss Marple dezent aber nachdrücklich agierte. Beinah schien es, als wäre es dieser kleinen Lady unangenehm, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Umso mehr bewunderte ich sie abermals für ihre stoische Ruhe, ihrem unaufgeregten Auftreten und ihrem wachen, unverstellten Verstand.

Zudem mochte ich das Setting, das Christie erschuf, sehr: Alles wirkte so friedlich, ländlich harmonisch, beinah bieder – und plötzlich passierten diese schändlichen Morde (Ja, es sind mehrere!), und das Bild der perfekten Idylle bekam nicht nur ein paar Kratzer: Es wurde vielmehr gänzlich zerstört. Nichts war danach, wie es zuvor schien.

Apropos Fernsehadaption: Ich wusste durchaus bereits, dass Christie eine wahre Meisterin im Kreieren von Dialogen war, und doch staunte ich, als ich den Roman las und feststellte, dass genau diese Dialoge beinah Eins-zu-eins dem Roman entnommen wurden, ihren Weg ins Drehbuch und somit in die Verfilmung fanden. Großartig!

Allen Unkenrufern zum Trotz: Für mich war, ist und bleibt Agatha Christie ein Garant für gute Krimi-Unterhaltung!


erschienen bei Atlantik / ISBN: 978-3455650242 / in der Übersetzung von Sylvia Spatz
ebenfalls erschienen als Hörbuch bei Der Hörverlag / ISBN: 978-3844534665

URLAUBSLEKTÜRE 2025

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Sommerzeit ist Urlaubszeit,…

…und das bedeutet, es kann wieder unbeschwert in den Tag hineingelebt werden. Da stört uns kein penetranter Blick auf die Uhr, da wir zum Glück keine dringenden Termine wahrnehmen müssen, die unseren Tag in kleine Häppchen zerteilen. Die Tage stehen uns zur freien Verfügung, und dies können/dürfen/sollten wir nutzen, um unbeschwert in eine Geschichte einzutauchen – gänzlich ohne Angst, irgendetwas „Wichtigeres“ zu verpassen.

Die Auswahl der Urlaubslektüre darf da gerne vielfältig sein: Die einen lieben einen zünftigen Krimi, die anderen greifen zu einem Klassiker, wieder andere schmökern in einem fesselnden Roman.

Auch in diesem Jahr habe ich mich bemüht, aus den von mir gelesenen Büchern der vergangenen 12 Monate eine kleine, urlaubstaugliche Auswahl zu treffen.


Beginnen möchte ich den Reigen mit einer äußerst populären Spürnase: Zu Miss Marple gibt es zwölf neue Geschichten, die nicht aus der Feder von Agatha Christie stammen. Vielmehr haben sich namhafte Autorinnen der Figur angenommen und mit Talent und Respekt weitere tolle Kriminalfälle kreiert. Alan Bradley ließ seine Fans ganze 5 Jahre zappeln, bis endlich Flavia de Luce wieder die literarische Bühne betrat, und somit ihre spannende Geschichte weitererzählt wurde. Kate Atkinson legte einen aufregenden Roman zwischen Gesellschaftsstudie, Sittengemälde und Kriminalroman vor, der zudem in den „Roaring Twenties“ spielt.


Dieser Autor war für mich eine wahre Entdeckung: Sasha Filipenko gelingt das Kunststück, die Melancholie und Tristesse in seinem Roman durch ein feines Netz aus Humor aufzuhellen. Kathrin Aehnlich warf wieder einen liebevollen Blick auf die Menschen in den so genannten neuen Bundesländern und beschreibt die Charaktere in ihrer Geschichte voller Wärme. Saša Stanišić war Entdeckung wie Offenbarung für mich: Seine Erzählungen sind warmherzig, humorvoll und melancholisch – einfach wundervoll.


Sind wir alle nicht hin und wieder ein wenig neugierig und möchten erfahren, wie es hinter den Kulissen so zugeht? Mit spitzbübischer Freude schenkt uns Rainer Moritz einen humorvollen Blick in die (Un-)Tiefen der Buchbranche. Heinrich Spoerls Klassiker um den scheinbaren Pennäler „Pfeiffer mit drei Eff“ hat in all den Jahrzehnten nichts von seinem Charme verloren und amüsiert auf ganzer Linie. Von Winifred Watsons federleichtem Unterhaltungsroman gibt es hier noch keine Rezension, da ich ihn erst vor kurzem ausgelesen habe. Doch ich wollte euch diese wunderbar beschwingte Geschichte nicht vorenthalten.


Allen Büchern ist gemein, dass sie mich ausnehmend gut unterhalten haben, und so hoffe ich sehr, dass sie auch euren Geschmack treffen und euch wohlige Lese-Stunden schenken.

Die Fachleute in der Buchhandlung eures Vertrauens stehen euch gerne mit Rat und Tat zur Seite und sind sowohl bei der Suche als auch bei der Beschaffung dieser oder einer anderen Urlaubslektüre mit Freude behilflich! 💖

Ich wünsche euch einen wunderbaren Urlaub
mit viel Spaß beim entspannten Schmökern!!!

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[Rezension] AGATHA CHRISTIE’S MISS MARPLE. Zwölf neue Kriminalgeschichten

„Sex, Crime & Action“ werden gerne als scheinbar unverzichtbare Zutaten für einen gelungenen Kriminalroman bemüht. Wer würde da vermuten, dass eine Roman-Heldin, die mit der erstgenannten Ingredienz so absolut nicht dienen kann, trotzdem zu einer der beliebtesten Kriminalfiguren der Welt avancierte. Mit einer gehörigen Portion Sex-Appeal kann Miss Jane Marple nun wahrlich nicht für sich einnehmen. Muss sie auch, denn sie hat dafür andere Reize – Äh! – ich meinte natürlich: Qualitäten.

Ab dem Jahre 1927 hatte die ältliche Jungfer aus dem beschaulichen Dörfchen St. Mary Mead ihre ersten Auftritte in einigen Kurzgeschichten, bevor ihre Schöpferin Agatha Christie sie dann 1930 erstmals in dem Roman MORD IM PFARRHAUS umfangreicher kriminalisieren ließ. Insgesamt sollte in 12 Romanen und 20 Kurzgeschichten ihr scharfer Verstand gepaart mit einer gehörigen Portion Menschenkenntnis beim Lösen vielfältiger Mordfälle zum Einsatz kommen.

Doch wäre Agatha Christie der Meinung gewesen, dass weitere Miss Marple-Stories benötig werden, hätte sie diese sicherlich während ihrer langandauernden Karriere verfasst, oder? Hat sie aber nicht!

Ergo: Wozu brauchen wir nun zwölf neue Kriminalgeschichten?
Antwort: „Brauchen“ brauchen wir sie nicht! Aber es macht so viel Spaß, sie zu lesen!

Zumal die hier versammelten Autorinnen mit so viel Liebe und Respekt einen Blick auf die erdachte Figur ihrer großen Kollegin werfen. Allen Geschichten ist gemein, dass sie nah am Original und somit innerhalb des bekannten Rahmens bleiben und sich höchstens nur kleine, charmante „Zugaben“ zum Charakter der Hauptperson erlauben. Somit muss kein eingefleischter Christie-Fan befürchten, dass seiner geliebte Miss Marple „neue“ Eigenschaften angedichtet werden, und sie womöglich nun Motorrad fährt, sich vulgär ausdrückt oder vielleicht sogar hemmungslos über Sex spricht („Shocking!“). Nein, Miss Marple ist und bleibt so, wie wir sie alle kennen und lieben.

Überrascht und mit Freude durfte ich feststellen, dass sich alle Autorinnen anscheinend so intensiv mit der Welt der Miss Marple beschäftigt haben, dass die jeweiligen Geschichten beinah nahtlos an die Originale anknüpfen konnten. Da tauchen die schon bekannten und beliebten Personen abermals auf, aber auch die neu-erdachten Figuren fügen sich ganz wunderbar in Miss Marples Welt ein. Nur der eine oder andere Handlungsort ist ein wenig „exotischer“, als wir es vom Original gewöhnt sind.

Bei DER ZWEITE MORD IM PFARRHAUS knüpft Val McDermid an den ersten Marple-Roman an und lässt auch diesmal die Geschichte aus der Sicht von Rev. Leonard Clement erzählen, dem es äußerst unangenehm ist, dass in seinem Haus ein zweiter Mord verübt wurde. In MISS MARPLE EROBERT MANHATTAN von Alyssa Cole begleitet Miss Marple ihren Neffe Raymond West und dessen Frau Joan nach New York, wo ein Stück von Raymond innerhalb der alternativen Theater-Szene am Broadway zur Aufführung kommen soll, was einige dubiose Gestalten zu verhindern versuchen.

Bei DIE JADEKAISERIN von Jean Kwok befindet sich Miss Marple auf einem Kreuzfahrt-Schiff Richtung Hongkong, wo der überraschende Tod eines Mitreisenden gepaart mit chinesischen Ritualen ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Den an einer Schaffenskrise leidende Schriftsteller Felix Jeffries, der einen unorthodoxen Mord plant, lernt Miss Marple bei einem MORD IN DER VILLA ROSA (von Elly Griffiths) an der wunderschönen Amalfiküste Italiens kennen.

Ein Wiedersehen mit Miss Marples langjähriger Freundin Dolly Bantry gibt es gleich im Doppelpack: In DAS VERSCHWINDEN von Leigh Bardugo sorgen sowohl der Selbstmord eines jungen Mädchens als auch das Verschwinden eines ebenso jungen Mannes für Unruhe in der Gemeinde. MISS MARPLES WEIHNACHTEN von Ruth Ware verspricht ein stimmungsvolles Rätselraten um verschwundene Perlen auf dem Landsitz der Bantrys.

Die weiteren, ebenso kurzweiligen Geschichten stammen aus den Federn von Lucy Foley, Natalie Haynes, Naomi Alderman, Dreda Say Mitchell, Karen M. McManus und Kate Mosse.

Bei solchen Anthologien scheint es beinah unvermeidbar, dass sie Erzählungen unterschiedlicher Qualität in sich vereinen: Da überzeugt dann leider nicht jede Geschichte gleichermaßen. Doch in diesem Fall darf ich den versammelten Autorinnen das große Kompliment machen, dass sie sich alle literarisch auf einem ähnlich hohen Niveau bewegen. Bravo!

Nein, „brauchen“ brauchen wir diese zwölf neuen Kriminalgeschichten sicherlich nicht. Aber das Leben besteht nicht nur aus dem, was der Mensch wirklich lebensnotwendig braucht. Manchmal darf es für mich gerne dieses Quäntchen „mehr“ sein, das das Leben versüßt und mir eine gute Zeit schenkt. Diese Anthologie hat dies definitiv geschafft…!


erschienen bei Atlantik / ISBN: 978-3455017014 / in der Übersetzung von Alexander Weber
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Dominique Ziegler (nach Agatha Christie) – DIE TOTE IN DER BIBLIOTHEK. Ein Miss-Marple-Krimi/ mit Illustrationen von Olivier Dauger

O je, da habe ich es doch tatsächlich wieder getan. Und das, obwohl ich mir beim letzten Mal so sicher war, dass es nicht noch einmal passieren würde. Ich bin leider dem neusten Streich aus dem Carlsen-Verlag, der unter der Rubrik „Agatha Christie Classics“ veröffentlicht wurde, abermals auf den Leim gegangen. Alles, wo Agatha Christie draufsteht, scheint beinah eine unwiderstehliche Sog-Kraft auf mich auszuüben. Vielleicht ist dies auch meinem unausgesprochenen Wunsch geschuldet, endlich eine Comic-Adaption einer Christie-Geschichte in den Händen zu halten, die beides – korrekte Wiedergabe des Inhalts und ansprechende Illustrationen – für mich zufriedenstellend miteinander verbindet.

Bedauerlicherweise habe ich bis jetzt eine entsprechende Graphic Novel noch nicht gefunden…!

In der Bibliothek des Landhauses des Ehepaares Bantry wird die Leiche einer jungen Frau gefunden. Sie wurde augenscheinlich erwürgt. Dolly Bantry zieht ihre alte Freundin Miss Marple hinzu, da sie befürchtet, dass ihr Mann hinter vorgehaltener Hand immer als Verdächtiger gelten würde, sollte der Mord nicht aufgeklärt werden. Da es keinen Hinweis auf eine Verbindung zwischen der Toten und dem Ehepaar gibt, versucht man anhand von Vermisstenmeldungen den Namen der Toten zu ermitteln. Dem Alter nach kommt nur die Pfadfinderin Pamela Reeves infrage, ihre Beschreibung passt aber nicht zu der der Toten. Dann trifft die Vermisstenmeldung von Ruby Keene ein. Sie wird von ihrer Cousine Josie Turner identifiziert, die – wie auch Ruby – als Tänzerin im nahe gelegenen Majestic Hotel in Danemouth arbeitete. Kurzerhand quartieren sich die beiden Damen im besagten Hotel ein, wo Miss Marple den Täter zur Strecke bringen will – mit viel Gespür und noch mehr Verstand. Doch sowohl die ermittelnden Polizeibeamten wie auch Miss Marple werden mit allerlei verdächtigen Personen konfrontiert. Zum einen sind da die verwitweten Schwiegerkindern des vermögenden Mr. Jefferson, der eine gewisse Zuneigung zu Ruby Keene entwickelt hatte und ihr einen erheblichen Teil seines Vermögens vermachen wollte. Dann gibt es da noch einen sehr nervösen jungen Mann namens Bartlett und den im Filmgeschäft tätigen Basil Blake. Allerdings haben die Schwiegerkinder zur Tatzeit ein Alibi. Bartlett verhält sich zwar verdächtig, hat allerdings kein Motiv, und Blake war mit dem Mädchen kaum bekannt. Doch wenig später wird die Leiche einer weiteren jungen Frau im ausgebrannten Wagen von Bartlett gefunden…


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Die wesentlichen Details der Handlung hat Dominique Ziegler bei seiner Konzeption des Comics durchaus berücksichtigt und gibt diese nachvollziehbar wieder. Zwangsläufig musste er einige Passagen kürzen bzw. das Handlungspersonal entsprechend reduzieren, um dem vorgegebenen Rahmen einer Graphic Novel gerecht zu werden. Leider ließ er einige Personen sehr unsympathisch und schon beinah abstoßend arrogant wirken, wieder anderen legte er so manche hohle Plattitüde in den Mund, die absolut unglaubwürdig und somit unpassend zur Szene wirkte.

Die Zeichnungen von Olivier Dauger sind zwar detailreich, wirken allerdings in ihrer einheitlichen „Ausleuchtung“ ohne jegliche Schattierung sehr steril und ließen darum an Atmosphäre deutlich vermissen. Bei der Physiognomie des Handlungspersonals zeigte er durchaus Abwechslung in der Gestaltung. Ob die jeweilig gewählte Optik nun überzeugt, muss jede*r Betrachter*in der Geschichte selbst für sich entscheiden. Ich hätte mir bei einigen Figuren durchaus mehr Charakter – insbesondere bei Miss Marple – gewünscht.

Ist es so, dass das Genre der Graphic Novel mir nicht zu liegen scheint? Das, was den Stil diese Genres ausmacht, entspricht anscheinend so ganz und gar nicht meinen Erwartungen. Doch bin ich deswegen nun enttäuscht oder frustriert? Ja, durchaus, vielleicht ein wenig! Mein Wunsch, eine gelungene Comic-Adaption eines Christie-Klassikers genießen zu dürfen, ist doch recht groß. Und so werde ich hoffnungsvoll wohl auch die nächste Veröffentlichung HERCULE POIROTS WEIHNACHTEN, die für Herbst dieses Jahres angekündigt ist, genau unter die Lupe nehmen.

Die Hoffnung stirbt eben zuletzt…!


erschienen bei Carlsen / ISBN: 978-3551794130 / in der Übersetzung von Thomas Schöner
ebenfalls erschienen als Roman bei Atlantik / ISBN: 978-3455650051 und als Hörbuch bei DER HÖRVERLAG / ISBN: 978-3899407860 

MONTAGSFRAGE #135: Bevorzugst Du lieber Roman-Reihen oder eher in einem Band abgeschlossene Geschichten?

Ohje, ich fürchte, dies wird wieder eine von diesen „Sowohl-als-auch“-Antworten, bei der man (also: ich) dem Schwadronieren verfällt, und wo man (also wieder: ich) kein Ende findet. Na denn, auf geht’s…!

Ich liebe…
…Roman-Reihen: Was wäre ich ohne meine liebgewonnenen und verehrten Heldinnen und Helden, die sich – bei mir vornehmlich – in kriminalistischen Gefilden tummeln, mir Stunden der Zerstreuung schenkten und so über so manchen emotionalen Tiefpunkt hinweg halfen. Mein Leben wäre um einiges Ärmer, hätte ich nicht irgendwann die Bekanntschaft mit Hercule Poirot, Miss Marple, Kommissar Maigret, Flavia de Luce, Dr. Siri, Cormoran Strike und Nero Wolfe gemacht.

Ich liebe…
…in einem Band abgeschlossene Geschichten: Was wäre ich ohne meine liebgewonnenen und verehrten Heldinnen und Helden, die sich in ganz unterschiedlichen Ländern und sozialen Milieus tummeln, mir Stunden der Zerstreuung schenkten und so über so manchen emotionalen Tiefpunkt hinweg halfen. Mein Leben wäre um einiges Ärmer, hätte ich nicht irgendwann die Bekanntschaft mit Ruthchen, Alexander, Leo, Laila und Gertrud, Agathe und einem namenlosen Buchhändler gemacht.

Der Text kommt Euch irgendwie bekannt vor? Ist doch logisch: Formal betrachtet mache ich keine Unterschiede zwischen diesen beiden Extremen. Beide sind mir gleich lieb und teuer. Beide haben einen hohen Stellenwert in meinem Leser-Leben. Beide haben „für jetzt und immerdar“ einen Platz in meinem Bücherregal.

Während ich bei der Serie (wie könnte es auch anders sein) am Ende einer Geschichte der Fortsetzung entgegenfiebere, und es kaum abwarten kann, bis der nächste Bande erscheint, habe ich bei Einzel-Büchern noch nie den Wunsch nach einem Nachschlag verspürt. Schließlich ist der Plot dieser Romane ja auch so aufgebaut, dass er ein „mehr“ nicht benötigt: Alles wurde gesagt, und das ist gut so. Oder: Alles wurde nicht gesagt, vieles blieb unausgesprochen, wage, in der Schwebe, aber auch dieser Umstand „ist gut so“.

Besonders dieses kurze Hineinspringen in eine Geschichte übt für mich immer einen besonderen Reiz aus. Als vorübergehender Gast nehme ich für einen klar begrenzten Zeitraum Anteil am Leben meiner Protagonist*innen. Genauso plötzlich wie ich in eine Geschichte hineinpurzel, genauso plötzlich werde ich aus ihr wieder hinauskatapultiert. Dabei kann ein solch abrupter Abschied durchaus ein Wechselbad an Gefühle bei mir auslösen, mich in einer melancholischen Stimmung zurücklassen oder meine Sinne verwirren. Hach, wie schön, dass das Lesen von Büchern so etwas erreichen kann!

Bei den Serien fühle ich mich emotional auf der sicheren Seite: Ich kenne „meine“ Leute, kann sie einschätzen und weiß, was mich erwartet. Und doch können und dürfen Überraschungen mich gerne aus dem Konzept bringen und verdutzt aus der Wäsche gucken lassen. Doch die Rahmenbedingungen sind mir bekannt und versprechen Sicherheit. Dafür freue ich mich immer wieder auf ein Wiedersehen (Naja, eher Wieder-Lesen…!). Beinah ist es so, als würden alte Freunde wieder auf einen Besuch bei mir vorbei schauen, gute Laune verbreiten und mich erst wieder verlassen, wenn meine Seele ausreichend gestreichelt wurde. Und auch hier: Hach, wie schön, dass das Lesen von Büchern so etwas erreichen kann!

Uups, jetzt habe ich es ja doch gefunden: das…
ENDE

…Einzelkind oder einen ganzen Stall voller Geschwister? Was ist Euch lieber???


Antonia Leise von „Lauter & Leise“ hat dankenswerterweise DIE MONTAGSFRAGE: Buch-Blogger Vorstellungsrunde wiederbelebt und stellt an jedem Montag eine Frage, die Interessierte beantworten können und zum Vernetzen, Austauschen und Herumstöbern anregen soll! Ich bin gerne dabei!!!

In meinem MONTAGSFRAGE-Archiv findet Ihr Fragen & Antworten der vergangenen Wochen.

[Rezension] Agatha Christie – Hörspiele Teil 2: Der Mord an Roger Ackroyd, Die Fuchsjagd, Tod im Pfarrhaus, Die spanische Truhe

Hallo! & Herzlich Willkommen!

…zum 2. Teil meiner Vorstellungsrunde mit Hörspiele, die nach Werken aus der Feder von Agatha Christie entstanden sind. Ich durfte in den letzten Tagen einige sehr entspannte, kuschelige Stunden vor dem CD-Player verbringen und muss Euch gestehen, ich habe wieder Blut geleckt. Natürlich nur im übertragenen Sinn, auch wenn meine Formulierung gar wunderbar zum kriminalistischen Grund-Tenor dieser Rezension passt.

Diesmal kommt es auch endlich zu der langersehnten Begegnung mit Christies exzellenten Spürnasen Hercule Poirot und Jane Marple. Beiden wurde schon – sowohl in Film wie auch Fernsehen – von div. außergewöhnlichen Schauspieler*innen eine filmische Gestalt gegeben, sodass ich nun sehr gespannt auf das reine auditive Erleben war.

Als Schmankerl dürfen wir uns zudem auf „Die Fuchsjagd“ freuen, besser bekannt unter dem Titel „Die Mausefalle“. Mit diesem Theaterstück schrieb Agatha Christie Theatergeschichte, da dieser Krimi seit 1952 ohne Unterbrechung im Londoner West End zu sehen war. Um diese Erfolgsgeschichte (hoffentlich nur vorübergehend) zu unterbrechen, bedurfte es einer weltweiten Pandemie, aufgrund derer alle Theater schließen mussten.

Ich hoffe sehr, dass dieser Zustand sich in absehbarer Zeit verbessert, damit kulturelle Einrichtungen wieder die Türen für ihr Publikum öffnen, und wir alle endlich wieder Kultur genießen dürfen.


Vier Hörspiele von Agatha Christie

 CD 1/ Der Mord an Roger Ackroyd oder Alibi (1956)/ Regie: Wolfgang Schwade/ mit Joseph Offenbach, Charles Regnier, Hans Paetsch, Herbert Steinmet, Liselotte Willführ, Inge Stolten u.a.

Mit diesem Werk sorgte Agatha Christie für Unruhe bei ihrer Leserschaft: Nicht nur, dass sie für die Erzählperspektive nicht die Sicht des Kriminalisten wählte, zudem gönnte sie sich einen weiteren literarischen Kniff, den ich hier allerdings nicht verraten möchte. So bleibt die Hörspielfassung dem Original treu, indem die Geschichte aus Sicht von Dr. Sheppard erzählt wird. So wirkt das Hörspiel beinah wie eine Lesung in der einige Dialog-Passagen eingestreut wurden.

Charles Regnier trägt hierbei die „vokale“ Haupt-Last und wirkt als Dr. Sheppard beinah analytisch-unbeteiligt, das der Rolle durchaus zugute kommt. Joseph Offenbach haucht dem belgischen Meisterdetektiv mit charmantem Akzent eine agile Lebendigkeit ein. Kaum sprach Hans Paetsch als Roger Ackroyd seine ersten Sätze, schon fühlte ich mich in meine Kindheit zurück versetzt: Diese unverwechselbare Stimme erklang schon bei unzähligen Märchen-Hörspielen. Mit Hinweis auf den Titel dieses Krimis, war der Genuss, diese markante Stimme wieder hören zu dürfen, leider nur von kurzer Dauer.


CD 2/ Die Fuchsjagd oder Die Mausefalle (1958)/ Regie: Willy Purucker/ mit Kurt Ludwig, Ernst Hochstätter, Ilse Petri, John Pauls-Harding, Eleonore Noelle, Peter Vogel u.a.

Ein einsames und von der Außenwelt abgeschnittenes Setting + eine überschaubare Anzahl an Protagonist*innen + ein Mord = die/der Mörder*in befindet sich unter den Anwesenden. Agatha Christie hat diesen Plot gerne in unzähligen Variationen und Abwandlungen bemüht – und dies sehr erfolgreich. Denn nichts schürt die Ängste der Beteiligten mehr, als die Gewissheit, dass das Böse direkt unter ihnen weilt.

Diese Hörspielproduktion punktet mit einem homogenen Ensemble und der Kunst des Tonmeisters, der mit stimmigen Hintergrundgeräuschen und einer gekonnten Abmischung geschickt eine räumliche Atmosphäre schafft. Warum allerdings die wunderbare Charakter-Schauspielerin Lina Carstens als Mrs. Boyle weder auf dem CD-Beiblatt noch im Nachspann Erwähnung fand, ist mir absolut unverständlich.


CD 3+4/ Mord im Pfarrhaus (1970)/ Regie: Otto Kurth/ mit Erika von Thellmann, Hans Quest, Ingrid Capelle, Elmar Wepper, Edith Hancke, Hanne Wieder, Jürgen Goslar, Wolfgang Weiser, Alf Tamin, Günter Sauer, Carin Braun, Paula Denk u.a.

Dieses Hörspiel ist wohl am prominentesten besetzt, hatte ich doch zu den meisten Namen sofort ein Gesicht vor Augen. Aber garantieren prominente Namen auch ein den Hörer*innen zufriedenstellendes Ergebnis? In diesem Fall: Ja! Sie tun es!

Erika von Thellmann gibt mit pointierter Stimme ein destingiertes Fräulein (!) Marple, die mit einer selbstbewussten Aufdringlichkeit Gefahr läuft, als Klatschbase verschrien zu werden. Hans Quest und Ingrid Capelle geben ein stimmiges Pfarrers-Ehepaar ab, dem trotz Wahrung der christlichen Tugenden allzu menschliches nicht fremd scheint. Elmar Wepper komplementiert als Neffe Dennis mit jugendlichem Elan die Familie. Hanne Wieder und Jürgen Goslar als (un)heimliches Liebespaar konnten als Film- und Fernsehschaffende eine beachtliche Karriere vorweisen und schöpfen so scheinbar mühelos aus dem Fundus ihrer darstellerischen Erfahrungen. Ein Umstand, der auch der Interpretation ihrer Rollen zugutekam. Den allzu „dramatischen“ Grundton des Stücks lockert Edith Hancke als Hausperle Mary mit ihren humorvollen Auftritten auf.

Und auch in diesem Fall gilt mein Dank dem hervorragenden Tonmeister, der abermals wieder ganze Arbeit leistete, indem er dieses Hör-Erlebnis durch sein Können abrundete.


CD 4/ Die spanische Truhe (1994)/ Regie: Reinhard Prosser und Gerda Eisendle/ mit Gustl Weishappel, Alexandra Tichy, Signe Seidel, Helma Gautier, Klaus Martin Heim u.a.

Hercule Poirot, der Zweite: In dieser Hörspiel-Adaption einer Kurzgeschichte schlüpft Gustl Weishappel vokal in die Rolle unseres Meisterdetektivs und konnte mich bedauerlicherweise mit seiner Darbietung nicht völlig überzeugen.

Weishappel ist durchaus ein talentierter Sprecher, nur für die Rolle des Hercule Poirot halte ich ihn für keine optimale Wahl. So wirkt Weishappels Interpretation des kleinen, agilen Belgiers eher gemütlich, beinah väterlich und somit wenig dynamisch. Auch interpretiert Alexandra Tichy die Rolle der patenten Sekretärin Miss Lemon eher unangebracht spröde. Alle anderen Sprecher*innen liefern solide aber wenig spektakuläre Leistungen.

Alles in allem ist dies – von den bisher angehörten und rezensierten Hörspielen – die schwächste Adaption eines Christie-Klassikers.


erschienen bei der Hörverlag/ ISBN: 978-3867177221 (Vier Hörspiele: Der Mord an Roger Ackroyd, Die Fuchsjagd, Tod im Pfarrhaus, Die spanische Truhe)

Ich danke dem Verlag herzlich für die zur Verfügung gestellten Hör-Exemplare!

[Rezension] Traudl Bünger – The Queen of Crime: Agatha Christie (Hörbuch)

Agatha Christie hat zu Lebzeiten tunlichst vermieden, ihre beiden beliebten kriminalistischen Spürnasen Miss Marple und Hercule Poirot gemeinsam ermitteln zu lassen, und tat gut daran: Bei den sehr unterschiedlichen Herangehensweisen und Ermittlungsmethoden der Beiden wäre womöglich ein erbitterter Konkurrenzkampf unumgänglich gewesen.

Erst Traudel Bünger, Autorin und bis 2018 als Programleitung des Literaturfestivals lit.COLOGNE tätig, wagte es, diese „heilige Kuh“ zu schlachten: Mit „The Queen of Crime: Agatha Christie“ lässt sie diese außergewöhnlichen Charaktere aufeinandertreffen. Mit Jürgen Tarrach als herrlich snobistischer Poirot mit französischen Akzent und Monica Bleibtreu als pfiffig-resolute Miss Marple mit Herz am rechten Fleck standen ihr zwei Vollblut-Akteure zur Verfügung.

Am 3. Dezember 1926 verschwand die damals 36-jährige Agatha Christie auf mysteriöse Weise, tauchte erst 11 Tage später wieder auf und machte aus diesem Umstand stets ein Geheimnis. Nach eigener Aussage war für Traudel Bünger, die „das Leben einer Kriminalschriftstellerin in einem literarischen Bühnenprogram erzählen will, ein solches Geheimnis ein Geschenk“. Und so nehmen Poirot & Marple alias Tarrach & Bleibtreu die Ermittlungen auf und liefern sich so einen verbalen Schlagabtausch auf Augenhöhe. Während Poirot die Tatsachen systematisch anhand der Chronologie der Ereignisse dem Publikum darlegt, unterbricht Marple ihn immer wieder, um anhand von Anekdoten aus ihrem Dorf St. Mary Mead die mitfühlende (zwischen-)menschliche Komponente nicht zu vernachlässigen. So stricken sie gemeinsam geschickt ein feines Netz der damaligen Ereignisse aus den wenigen bekannten Fakten, Zeitungsartikeln und Interviews von Agathas erstem Ehemann Archibald Christie und analysieren gemeinsam das Verhalten der beteiligten Personen.

Überzeugend arbeitet Traudel Bünger die sehr unterschiedlichen Methoden dieser gewieften Ermittler heraus: Während Poirot seine kleinen grauen Zellen sehr rational einsetzt und die reinen, unverfälschten Fakten berücksichtigt, achtet Miss Marple – sozusagen von Frau zu Frau – auf die Kleinigkeiten im Verhalten und auf Veränderungen im Auftreten von Mrs. Christie. Dabei diskutieren die Schöpfungen durchaus konträr über ihre Schöpferin.

So wagen sie eine Einschätzung, in wieweit die Geschehnisse im Dezember 1926 Einfluss auf die darauf folgenden Werke der Autorin Christie hatten. Auch werden sowohl ihr weiterer Lebensweg wie auch ihre Karriere pointiert beleuchtet: Scheidung vom ersten (untreuen) Ehemann, Reisen mit dem Orient-Express und in den Nahen Osten, Heirat mit dem 14 Jahre jüngeren Archäologen Max Mallowan, weltweite Erfolge als Autorin von Romanen und Bühnenstücke („Die Mausefalle“ wird seit dem Jahre 1952 ohne Unterbrechung in London aufgeführt), von der UNESCO zur erfolgreichsten britischen Schriftstellerin gekürt. Dabei wird deutlich, dass Agatha Christie zu ihrer Zeit schon eine sehr unkonventionelle Frau mit Humor war. So äußerte sie sich zu ihrer Ehe mit einem jüngeren Mann „Heiraten sie einen Archäologen: Je älter sie werden, desto interessanter findet er sie!“ Als sie am 12. Januar 1976 verstarb, zollte ihr die Theaterwelt von London Tribut: Von 22.00 bis 23.00 Uhr wurde das Westend dunkel und trauerte um die „Queen of Crime“.

Doch das Rätsel um die Geschehnisse im Dezember 1926 bleibt unaufgeklärt: Christie gab hierzu nur ein einziges Interview, dass so gut wie nichts zur Klärung beitrug, danach herrschte Schweigen…!

Aber Hercule Poirot und Miss Marple wären nicht DIE exzellenten Kriminologen, wenn sie nicht auch hierfür mit einer jeweils sehr persönlichen Lösung des Falls – jede/r im ganz eigenem Stil – glänzen würden. Und die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte…!

Die 78 Minuten dieses Live-Mitschnitts der lit.COLOGNE aus dem Jahre 2009 vergingen wie im Flug: Neben dem gelungenem Buch von Traudel Bünger ist dies in erster Linie den beiden vortrefflichen Darstellern Monica Bleibtreu und Jürgen Tarrach zu verdanken: Mit Charme und Humor hauchten sie ihren Charakteren Leben ein. Einziger (wirklich nur klitzekleiner) Wehrmutstropfen an dieser Einspielung ist der Umstand, dass der Zuhörer ihrer Performance hin und wieder die Lesung anmerkt, d.h. einige Dialoge wirken eher abgelesen als „frei“ interpretiert. Dafür lebt diese Aufnahme umso mehr von der Live-Atmosphäre mit den Reaktionen des Publikums.


erschienen bei Random House Audio/ ISBN: 978-3837104134