[Musical] Jerry Bock – THE APPLE TREE (DSE) / Stadttheater Bremerhaven

Musik von Jerry Bock / Liedtexte von Sheldon Harnick / Buch von Jerry Bock, Sheldon Harnick und Jerome Coopersmith / Nach Geschichten von Mark Twain, Frank R. Stockton und Jules Feiffer / deutsche Textfassung von Hartmut H. Forche / Deutschsprachige Erstaufführung

Premiere: 16. März 2024 / besuchte Vorstellung: 28. März & 9. Mai 2024

Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus


MUSIKALISCHE LEITUNG Davide Perniceni / Tonio Shiga (28.03.)
INSZENIERUNG Rennik-Jan Neggers
BÜHNE & KOSTÜME Alexander McCargar
CHOREOGRAFIE Nele Neugebauer
DRAMATURGIE Torben Selk
CHÖRE Mario El Fakih Hernández
LICHT Thomas Güldenberg

REGIEASSISTENZ & ABENDSPIELLEITUNG Annika Ellen Flindt
INSPIZIENZ Mahina Gallinger
THEATERPÄDAGOGIK Katharina Dürr


Wenn es etwas gibt, was ich an „meinem“ Stadttheater Bremerhaven sehr schätze (neben vielen anderen Dingen), dann ist es der Umstand, dass das dortige Team immer wieder sehr rührig ist, um wenig gespielte Stücke von Autor*innen oder Werke von kaum beachteten Komponist*innen wieder für das Publikum ins Rampenlicht zu rücken. So hat das Philharmonische Orchester unter der Leitung von GMD Marc Niemann zwei wundervolle Symphonien der „vergessenen“ Komponistin Emilie Mayer auf CD eingespielt, die sogar für die renommierten Musikpreise INTERNATIONAL CLASSICAL MUSIC AWARD und OPUS KLASSIK nominiert war. Ebenso stand im vergangenen Jahr mit der Oper BREAKING THE WAVES eine deutsche Erstaufführung auf dem Spielplan, mit der mir ein absolut aufregender und zutiefst bewegender Opern-Momente geschenkt wurde.

Auch in diesem Jahr gibt es auf dem Spielplan eine von diesen in Vergessenheit geratenen Werken zu entdecken: Mit dem Musical THE APPLE TREE präsentiert das Stadttheater sogar eine deutschsprachige Erstaufführung. Die Namen des Komponisten-Texter-Duos ließen mich aufhorchen: Jerry Bock und Sheldon Harnick schufen zwei Jahre vor der Premiere von THE APPLE TREE mit dem warmherzigen FIDDLER ON THE ROOF (bei uns besser bekannt als: ANATEVKA) eines der populärsten und meistgespielten Musicals auf deutschen Bühnen. Eingedeckt mit diesem Hintergrundwissen machte ich mich voller Neugierde und mit hohen Erwartungen auf den Weg Richtung Bremerhaven.

THE APPLE TREE setzt sich aus drei Teilen zusammen: „Das Tagebuch von Adam und Eva“ ist eine ungewöhnliche Variante der Geschichte vom ersten Menschenpaar, basierend auf dem gleichnamigen Buch von Mark Twain. „Die Lady oder der Tiger?“ ist eine Rock-n-Roll-Geschichte über die Unbeständigkeit der Liebe, angesiedelt in einem mythischen, barbarischen Königreich. „Passionella“ geht auf die Aschenputtel-Variation von Jules Feiffer zurück und handelt von einer Schornsteinfegerin, deren Träume vom Ruhm als Filmstar beinahe ihre Chance auf die wahre Liebe vereiteln.

(Inhaltsangabe der Homepage des Theaterverlages entnommen.)

Leider wirkte das Stück – wahrscheinlich aufgrund dieser Drei-Teilung – sehr wenig homogen auf mich, zumal der Komponist zu den „Variationen über die Versuchung“ (so der Untertitel des Musicals) ebenfalls Variationen im Musik-Stil schuf, die ein verbindendes Leitmotiv vermissen ließen. Da genügte es mir nicht, dass im zweiten wie auch im dritten Teil die Melodie „The Apple Tree (Forbidden Fruit) / Verbot’ne Frucht“, die die Schlange beim Sündenfall im ersten Teil zum Besten gibt, abermals erklang. Auch zeigte das Stück sowohl im dritten aber vor allem im ersten Teil deutliche Längen, die die Konzentration des Publikums durchaus herausfordern könnte. Leider wurden diese Längen vom Bremerhavener Produktions-Team nicht ausgemerzt, bzw. wahrscheinlich durfte das Team sie nicht ausmerzen, da es Vorgaben vom Verlag gab, die eingehalten werden mussten. Dabei hätten sensible Kürzungen dem Fluss der jeweiligen Geschichte sicherlich äußerst gutgetan.

Ist THE APPLE TREE ein Werk, das im Musical-Kanon eine große Rolle spielt und man somit unbedingt kennen sollte? Nein! Ich wage sogar die dreiste Vermutung zu äußern, dass, würde es nicht vom Glanz ANTAVEKAs profitierten, es schon längst in der Versenkung verschwunden wäre.

Sollte man allerdings die Inszenierung in Bremerhaven gesehen haben? Ja! Was auf dem ersten Blick wie ein Widerspruch anmutet, ist allein einer differenzierten Sichtweise geschuldet. Auch wenn mir einige Aspekte an einem Theaterbesuch weniger zusagen, kann ich doch trotzdem die guten Anteile würdigen, oder?

Regisseur Rennik-Jan Neggers setzt auf nuancierte Rollenporträts, wagt sich auch an die stillen Momente, amüsiert mit kleinen Details „am Rande“ und poliert an der Oberfläche der Dialoge, bis eine feine Ironie zum Vorschein kommt. Zum Glück steht ihm im Stadttheater Bremerhaven eine talentierte Solistenriege wie ein variabler Opernchor zur Verfügung, die alle schon in so manchen Produktionen ihre Vielseitigkeit gezeigt haben. Zumal dieses Musical den Gesangssolisten reichlich Möglichkeiten bietet, sich in den Solos und Duetten von ihrer besten Seite zu zeigen.


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Schon beim ersten Zusammentreffen des pragmatischen Adams von Andrew Irwin mit der quirligen Eva von Victoria Kunze ahnt das Publikum, dass hier viel Potential für sowohl witzige wie auch rührende „Szenen einer Ehe“ zu finden ist. So wird amüsant unterstellen, dass die Unterschiede zwischen Mann und Frau schon in der Schöpfungsgeschichte begründet liegen. Männer und Frauen passen eben nicht zusammen (Eine Tatsache, die mir als schwuler Mann schon seit langem bewusst war!). Und so zeigen Kunze und Irwin eine Vielzahl an Facetten einer zwar durch göttliche Fügung entstandenen aber ansonsten sehr weltlichen Beziehung. Dabei präsentieren sich bei den Songs so manche kleine Perlen, die durch die Interpretation der Künstler*innen einen zarten Lüster erhalten: So entzückte zum Beispiel Victoria Kunze bei „Here in Eden / Hier in Eden“ in ihrem Erstaunen über den ersten Tag auf Erden. Adams Klagelied über „Eve / Eva“ wurde von Andrew Irving so fein akzentuiert gestaltet, dass es die reine Freude war, ihm zu lauschen. Als verführende wie verführerische Schlange trat Marcin Hutek in Erscheinung, um „The Apple Tree (Forbidden Fruit) / Verbot’ne Frucht“ erfolgreich an die Frau zu bringen. Besonders dem intensiven Zusammenspiel von Kunze und Irwin ist es zu verdanken, dass die Längen beim Einakter Das Tagebuch von Adam und Eva keinen Einfluss auf die Konzentration des Publikums nahmen.

Mit Die Dame oder der Tiger? präsentiert sich der kürzeste Part dieser Trilogie. Diese Kürze scheint der Geschichte durchaus gut zu bekommen, da alles viel komprimierter, viel kompakter wirkt. Die Handlung kommt schneller auf den Punkt und ermöglicht so den Solisten, genüsslich voller Witz und Ironie zu agieren. Hatte ich bei HÄNSEL UND GRETEL noch die mangelnde Textverständlichkeit bei Marcin Huteks Vortrag bedauert, muss er seitdem fleißig an seiner Diktion gearbeitet haben. Brilliert er doch nun gut verständlich als kerniger Hauptmann Sanjar und liefert gemeinsam mit Boshana Milkow als Prinzessin Barbra bei „Forbidden Love / Wenn man verboten liebt“ ein humoristisches Kabinettstückchen ab. Milkow lässt zudem mit lüstern vibrierenden Mezzo beim Song „I’ve Got What You Want / Ich hab’, was du willst“ keinen Zweifel aufkommen, dass es nur eine Frau gibt, die die Krallen ins männliche Objekt der allgemeinen weiblichen Begierde schlagen darf. Diesmal taucht die Schlange/die Verführung in Person des Balladensängers auf, den Patrick Ruyters mit hellem Bariton in „I’ll Tell You a Truth / Das Lied, das ich sing“ die Strippen ziehen lässt. War er beim ersten Teil „nur“ die Stimme Gottes, tänzelt Ulrich Burdack nun als Papa Schlumpf-Lookalike huldvoll winkend über die Bühne oder echauffiert sich entrüstet über die Amouren seiner Tochter Barbra.

Wesentlich mehr hat Burdack im dritten Part Passionella. Eine Romanze aus den Sechzigern zu tun. Es scheint keine Szene zu geben, in der er nicht präsent ist – entweder fungiert er als sympathischer Erzähler, oder er schlüpft pointiert in die diversen Rollen und zaubert dazu aus seiner schier unerschöpflichen magischen Tasche so manche Kostümteile und Requisiten hervor. Im Mittelpunkt der Handlung steht Victoria Kunze als Titelheldin Ella/Passionella, eine einfache Kaminkehrerin, die sich nichts sehnlicher wünscht, als ein großer Star zu sein. Hier erscheint die Schlange/die Verführung in Form der lieben guten Fee, die Katharina Diegritz scheinbar harmlos verkörpert, aber voller Niedertracht für Verwirrung im Leben von Ella sorgt. Kunze darf u.a. in „Gorgeous / Wahnsinn“ ihre Star-Qualitäten unter Beweis stellen. Ihr zur Seite überzeugt abermals Andrew Irwin, der mit lässigem Hüftschwung als smarter Rock ’n’ Roller Flipp gegenüber Passionella behauptet „You Are Not Real / Du bist nicht real“.

Ausstatter Alexander McCargar designte eine schräge Rampe, die dank einiger strategisch einsetzbarer Bühnenteile und prägnanter „Extras“ sich in die jeweiligen Handlungsorte verwandelte. Mit den Kostümen unterstreicht er den jeweiligen Charakter der Figur: Adam und Eva sind im schlichten Weiß gekleidet, wobei der Alterungsprozess durch graue Kleidungsstücke angedeutet wird. Die an Sandalen-Filme erinnernde Handlung des zweiten Teils wird mit der Farbwahl der Kostüme relativiert bzw. karikiert: Beim Anblick der blau-weißen Kostüme musste ich unwillkürlich an „Die Schlümpfe“ denken. Im dritten Teil trägt der Chor biedere Kleidung in allen Facetten von Beige, während Passionella und Flipp ausgefallene Roben tragen, die die Charaktere der Figuren eher ein wenig überhöhen.

Tonio Shiga und das Philharmonische Orchester Bremerhaven lassen die Melodien von Jerry Bock mit einem Gespür für feine Nuancen aus dem Graben erklingen und verleihen so den bereits erwähnten Song-Perlen einen zusätzlichen Glanz.


Nachtrag zum 9. Mai 2024: Da hatte ich nach meinem ersten Besuch des Musicals THE APPLE TREE, das das Stadttheater Bremerhaven als deutschsprachige Erstaufführung zeigte, doch tatsächlich ein wenig geunkt. So bemängelte ich u.a., dass mir bei der Musik ein verbindendes Leitmotiv fehlte. Zudem empfand ich die Lieder beim ersten Anhören als wenig eingängig. Doch nun saß ich heute in der Dernière und freute mich schon sehr auf einige Songs, die sich im Laufe der Zeit langsam aber stetig in mein Herz geschlichen hatten. Erst beim wiederholten Hören entblätterten sie wie eine Blüte ihre schlichte Schönheit. Daran waren natürlich die tollen Künstler*innen am Stadttheater Bremerhaven nicht ganz unschuldig.

Zumal ich beim THEATERSNACK ZUR MITTAGSZEIT am 3. April die wunderbare Gelegenheit hatte, mit Tenor Andrew Irwin, Kapellmeister Tonio Shiga, Dramaturg Torben Selk und dem Leiter des Musiktheaters Markus Tatzig ins Gespräch zu kommen. THEATERSNACK ZUR MITTAGSZEIT ist eine Kooperation des Stadttheaters mit der Stadtbibliothek Bremerhaven: An jedem ersten Mittwoch im Monat haben Interessierte die Gelegenheit, ihre Mittagspause in der Stadtbibliothek zu verbringen. Während herzhaft ins Pausenbrot gebissen wird, hört und sieht man auf der dortigen Standkorbbühne Ausschnitte aus dem aktuellen Programm und erhält nebenbei noch einige Hintergrundinformationen.

So bestens präpariert eröffneten sich mir bei meiner heutigen Stippvisite im „Garten Eden“ ganz neue Perspektiven. 🍎


Doch lassen wir bei #angeklopft Victoria Kunze und Andrew Irwin gerne selbst zu Wort kommen.


Ihr möchtet Euch auch der Versuchung hingebe? Dann müsst Ihr Euch beeilen: Es gibt leider nur noch wenige Termine für THE APPLE TREE am Stadttheater Bremerhaven.

[Rezension] Kathrin Aehnlich – DER KÖNIG VON LINDEWITZ

Mit ihrem Roman WIE FRAU KRAUSE DIE DDR ERFAND konnte Kathrin Aehnlich mich nicht nur überzeugen sondern auch begeistern. Schon in ihrem Erstlingswerk warf sie einen humor- wie liebevollen Blick auf die Menschen in den so genannten neuen Bundesländern. Dabei sind die „neuen“ Bundesländer nach 35 langen Jahren der Wiedervereinigung bei weiten nicht mehr neu. Sie sind gealtert. Auch die dort lebenden Menschen sind älter geworden. Ihr Leben hat sich durchaus verändert, aber trotz allem haben die gemeinsame Vergangenheit und die persönlichen Schicksale immer noch einen großen Einfluss auf ihr Denken und Handeln…

Bruno Henker weiß mehr als andere. Er kennt die Lebensläufe und Familiengeschichten, auch die Geheimnisse der Lindewitzer. Er weiß, warum der eine trinkt, wer wen verraten hat, wer Zugang zu den begehrten Westwaren hatte, und warum das herbeigesehnte neue leben viele nicht glücklicher macht. Warum Claudia, die sich nach der weiten Welt gesehnt hat, als Touristenführerin in Lindewitz hängen blieb. Warum sich im Leben der 1923 geborenen Zwillinge Anne und Marie die Geschichte des ganzen Jahrhunderts spiegelt. Warum Tante Mausi, die mit 93 Jahren in einem Pflegeheim lebt, sich von ihrem Großneffen täglich eine Flasche Rotwein bringen lässt. Warum Claudius immer noch mit seiner fast hundertjährigen Mutter zusammenwohnt. Warum Benedikt es zum Entsetzen der Familie vorzog, nach einem mit Bravour absolvierten Jurastudium einen Späti in Tante Huldas ehemaligem Gemischtwarenladen zu eröffnen. Bruno weiß auch, wie sich das Viertel durch die „Vorkommnisse“ vor einem Jahr verändert hat. Diesen Überfall der Rechten auf das Viertel, die Nacht, in der sie die Scheiben eingeschmissen und brennende Fackeln auf die Dächer geworfen haben. Und warum darüber geschwiegen wird. Aber hat Schweigen je geholfen?

(Inhaltsangabe dem Klappentext des Buches entnommen!)

Lindewitz steht stellvertretend für einen Stadtteil in irgendeiner größeren Stadt im Osten der Republik. Alles scheint hier seinen gewohnten Gang zu gehen: Die Bewohner*innen haben sich in ihrem Mikro-Kosmos eingerichtet. Man kennt sich, kennt auch die Geschichten der Familien und weiß, wer mit wem warum und wie… – Naja, geht ja niemanden etwas an. Ist ja schließlich so ’ne Familienangelegenheit,…

…und dann wird geschwiegen, geschwiegen und weggeschaut. Und plötzlich sind da Kräfte am Werk, die niemand haben wollte. Plötzlich tauchen Gestalten auf, die mit Ihrer Haltung und ihren Handlungen das gemütliche Leben in Lindewitz auf den Kopf stellen. Plötzlich? Nein, diese subversiven Elemente agieren schon viel, viel länger. Denn etwas nicht sehen (wollen), bedeutet nicht, dass es nicht da ist!

Kathrin Aehnlich siedelt ihre Geschichte im Osten unseres Landes an, um so vor dem Hintergrund der DDR-Vergangenheit eine plausible Begründung sowohl für das Handeln wie auch für das Ausharren der Menschen zu bieten. Ja, es sind eben „nur“ Menschen und keine Heiligen oder Helden. Es sind Menschen: fehlerhaft, unvollkommen und doch einzigartig. Schnörkellos erzählt die Autorin uns ihre Geschichten: Sie alle haben ihre ganz individuellen „Alt-Lasten“, mit denen sie versuchen umzugehen. Viele dieser „Alt-Lasten“ wurden tief in der Seele verscharrt, in der Hoffnung, dass sie nie wieder zutage treten mögen. Doch dann passiert etwas Unvorhergesehenes, etwas schier Unmögliches, und Wunden werden aufgerissen, die dann bluten und schmerzen.

Voller Wärme skizziert die Autorin ihre Charaktere und entblättert Seite für Seite die jeweiligen Schicksale – sowohl im hier und jetzt, wie auch in der Vergangenheit. Und je mehr ich von diesen Menschen und ihren Lebensläufen erfahre, umso mehr reift in mir folgende Erkenntnis: Nein, Heilige sind sie ganz bestimmt nicht. Aber Helden sind sie auf jedem Fall!

Kathrin Aenlichs Geschichte ist – trotz einem ernsten Grundton – absolut ermutigend und lebensbejahend, voller Humor und einer großen Portion Respekt für die einfachen Menschen.

Und: Ja, in diese Geschichte liegt Lindewitz im Osten. Aber gibt es ein Lindewitz nicht überall…?


erschienen bei Kunstmann / ISBN: 978-3956145834

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Benjamin Chaud – BÜHNE FREI FÜR PAPA BÄR!

🎭 Heute ist WELTTHEATERTAG! 🎭

Und anstatt – wie in den vergangenen Jahren – markige Zitate div. Theatergrößen zu bemühen, habe ich mich diesmal entschieden, euch stattdessen ein ganz und gar charmantes Bilderbuch zu präsentieren. Ich werde nie müde zu betonen, dass ich Bilderbücher, die den Kids das Theater und die Musik auf so wunderbarer Weise näher bringen, sehr liebe.

Und manchmal fällt mir so ein Kleinod völlig überraschend und somit unvorbereitet in die Hände. In diesem Fall wurde ich in einem öffentlichen Bücherschrank fündig. Ein Hoch auf diese Erfindung: Meine Freude war groß! Somit handelt es sich bei meinem Fund zwar nicht um eine Neu-Erscheinung, doch auch hier gilt der viel zitierte Spruch „Oldies but Goldies!“.

Der Herbst ist da, die Tage sind schon kühl. Es ist ruhig geworden in der Bärenhöhle im Wald. Papa Bär schnarcht bereits, da summt plötzlich eine verspätete Biene an der Höhle vorbei. Wo eine Biene ist, ist auch Honig! Das weiß der kleine Bär und rennt hinterher. Papa Bär wacht auf und macht sich sofort auf die Suche. Er schaut überall nach, aber im Wald ist der kleine Bär nirgends zu finden. Schließlich gelangt er an einen lauten und belebten Ort. Er sieht das Hinterteil des kleinen Bären gerade noch in einem prächtigen Bau verschwinden…

(Inhaltsangabe dem Klappentext dieses Buches entnommen!)


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Benjamin Chaud ist in diesem Fall Texter und Illustrator in Personalunion. Wobei den Texten eher eine erklärend-unterstützende Aufgabe zukommt. Hauptaugenmerk liegt auf den tollen Illustrationen, die eine Menge Dynamik ausstrahlen und mit vielen witzigen Details amüsieren. Dabei weisen sie eine wunderbare Ähnlichkeit mit den beliebten Wimmelbüchern auf: Beim Betrachten verlor ich mich in dem jeweiligen Bild und entdeckte selbst beim wiederholten Anschauen viele skurril-humorige Einzelheiten.

So folgte ich Papa Bär auf seiner Suche nach dem kleinen Bär durch Wald und Stadt, hinein ins Opernhaus und durch das Foyer hinter die Bühne. Plötzlich steht er selbst im Rampenlicht auf der Bühne, blinzelt erstaunt ins helle Licht der Scheinwerfer und versucht, den kleinen Bär im Publikum zu erkennen. Sein vorgetragenes Bären-Lied kommt beim Publikum allerdings nicht gut an und sorgt dort leider eher für Panik. Der einzige, der bei dieser Darbietung ruhig auf seinem Platz sitzen bleibt und Applaus spendet, ist natürlich der kleine Bär.

Auf dem Weg dorthin staunte ich über die Phantasie des Zeichners, die sich Bild für Bild offenbarte: Allein im Stadtbild wird hinter jedem Fenster eine eigene kleine Geschichte erzählt. Oder auch der Blick hinter die Bühne gibt einen wundervollen Einblick über die vielen Werkstätten und Abteilungen, die Anteil an einer Bühnenproduktion haben. Unvermittelt im Bild entdeckte Details lösten bei mir ein spontanes Lachen aus und steigerte meine Freude, dieses entzückende Bilderbuch entdeckt zu haben. Absolut bezaubernd…!

Übrigens: Die alles auslösende Biene finden unsere beiden pelzigen Freunde auf dem Dach des Opernhauses, das dort drei Bienenkörbe beheimatet.


erschienen bei Gerstenberg / ISBN: 978-3836954327 / in der Übersetzung von Anja Malich

[Noch ein Gedicht…] Frank Wedekind – SCHLUSS

Ich wußte ehmals nichts davon,
Bin unschuldsvoll gewesen,
Bis daß ich Wielands Oberon
Und Heines Gedichte gelesen. –

Die haben sodann im Lauf der Zeit
Mein bißchen Tugend bemeistert.
Ich träumte von himmlischer Seligkeit
Und ward zum Dichten begeistert.

Auch fand ich, das Dichten sei keine Kunst,
Man müßt‘ es nur einmal gewohnt sein. –
Ich sang von feuriger Liebesbrunst,
Von Rosenknospen und Mondschein;

Besang der Sonne strahlendes Licht.
Viel Schönes ist mir gelungen.
Jeweilen mit dem schönsten Gedicht
Hab‘ ich mich selber besungen.

Und folgte treu der gegebenen Spur
Auf meine Muster gestützet;
Schrieb viele Bogen Makulatur. –
Wer weiß, zu was sie noch nützet? –

Und wenn das Dichten so weitergeht,
So darf ich im Tode behaupten:
„Am Ende war ich doch ein Poet,
Obwohl es die wenigsten glaubten.“ –

Frank Wedekind


💖 Heute ist der WELTTAG DER POESIE! 💖


[Rezension] Agatha Christie – ACHT HERCULE POIROT KRIMIS (Hörspiel)

Kennt ihr das auch? Ihr habt gerade mehrere Bücher beendet und natürlich in salbungsvollen Worten eine Rezension verfasst, da lacht euch auch schon das nächste vom Verlag spendierte Leseexemplar an. Da brauche ich hin und wieder eine Auszeit! Nein, ich greife dann nicht nach einer Haselnuss- oder Milch-Schnitte (Obwohl die Versuchung gegeben wäre!). Vielmehr gelüstet es mich nach einer appetitlichen Krimi-Schnitte.

Wie gut, dass da die Sendeanstalten vom Südwestrundfunk und vom Mitteldeutschen Rundfunk mit ihrem Krimisommer in den Jahren 2002 bis 2006 für eine wunderbare Auswahl an klassischen Krimi-Leckerlis vorgesorgt haben. So gab sich nur die Elite dieses verbrecherischen Genres die Ehre: Dorothy L. Sayers (Lord Peter/ 2002), Georges Simenon (Kommissar Maigret/ 2003), Arthur Conan Doyle (Sherlock Holmes und Dr. Watson/ 2004) und Gilbert Keith Chesterton (Pater Brown/ 2005).

Im Jahre 2006 durfte dann Agatha Christie mit Hercule Poirot den letzten Krimisommer bestreiten.


4 CDs/ Acht Hercule Poirot Krimis von Agatha Christie (2006)/ Hörspielbearbeitung: Alexander Schnitzler/ Regie: Stefan Hilsbecher/ Musik: Henrik Albrecht/ mit Felix von Manteufel, Friedhelm Ptok, Stephanie Kämmer, Peter Fricke, Susanne Heydenreich, Abak Safaei-Rad, Leslie Malton, Udo Schenk, Hedi Kriegeskotte u.a.

  • CD 1: Eine Tür fällt ins Schloss / Tot im dritten Stock
  • CD 2: Vierundzwanzig Schwarzdrosseln / Der verräterische Garten
  • CD 3: Der Traum / Poirot und der Kidnapper
  • CD 4: Urlaub auf Rhodos / Lasst Blumen sprechen

Aus der Vielzahl an spannenden Fällen, die der kauzige kleine Belgier im Laufe seiner literarischen Karriere lösen durfte, griff man auf die oben genannten acht Kurzgeschichten zurück. Kenner der Materie werden beim Hören rasch bemerken, dass Alexander Schnitzler sich bei seiner Bearbeitung nah am Original gehalten und gesamte Textpassagen eins zu eins übernommen hat. Diese Vorgehensweise kann ich nur befürworten: Warum sollte er eine gute Vorlage verschlimmbessern? Umrahmt werden die Geschichten durch die Musik von Henrik Albrecht, die wiederholt zum Einsatz kommt und somit – wie ein roter Faden – die einzelnen Erzählungen miteinander verknüpft. Dabei ist die Musik atmosphärisch stimmig, drängt sich aber niemals in den Vordergrund. Gleiches gilt für die Regie von Henrik Albrecht, der klug auf das Können seiner Sprecher*innen setzt, und vielleicht nur hier und da ein wenig das Tempo im Sinne der Spannung anzieht.

Das Ensemble setzt sich aus versierten Schauspieler*innen aus Theater, Film und Fernsehen zusammen: Da tauchen bekannte Namen wie Stephanie Kämmer, Peter Fricke, Susanne Heydenreich, Abak Safaei-Rad, Leslie Malton, Udo Schenk und Hedi Kriegeskotte auf, die teilweise in mehreren Geschichten unterschiedliche Charaktere verkörpern. Dies meistern sie so gekonnt individuell und abwechslungsreich, dass ich manchmal nur anhand der Besetzungsliste erkannte, dass es sich um ein und dieselbe Person handelte.

Dreh- und Angelpunkt dieser acht Hercule Poirot Krimis – und somit prägend für diese Hörspiel-Produktion – sind allerdings Friedhelm Ptok und Felix von Manteufel. Friedhelm Ptok führte mich als Hörer mit seiner markanten Stimme durch den Plot. Dabei ist er manchmal „nur“ der Erzähler, dann schlüpft er wieder in die Schuhe von Arthur Hastings, Poirots Sidekick, der auch im literarischen Original so manches Mal erzählerisch durch die Geschichte führte. Prägnant in Szene gesetzt werden die Hörspiele durch die Stimme von Felix von Manteufel. Er „französelt“ höchst amüsant und versieht den weltberühmten Detektiv mit einer liebenswerten Schrulligkeit. Dies macht er so ausnehmend überzeugend, dass ich unseren Helden beinah leibhaftig vor mir sah.

Mit einer Länge zwischen 30 und 55 Minuten sind die einzelnen Episoden wunderbare Appetithäppchen, gar köstliche akustische Happenpappen, um den Tag zwar durchaus unterhaltsam spannend aber nicht allzu aufgeregt zu beenden.


erschienen bei der Hörverlag/ ISBN: 978-3867176095