[Musical] Frederick Loewe – MY FAIR LADY / Stadttheater Bremerhaven

Musik von Frederick Loewe / Buch von Alan Jay Lerner / nach Bernhard Shaws PYGMALION und dem Film von Gabriel Pascal / deutsch von Robert Gilbert / in deutscher Sprache

Premiere: 2. November 2024 / besuchte Vorstellungen: 17. November 2024, 5. Januar 2025, 7. Februar 2025, 13. April 2025 & 11. Mai 2025

Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus


MUSIKALISCHE LEITUNG Hartmut Brüsch / Tonio Shiga (05.01. & 07.02.)
INSZENIERUNG Toni Burkhardt
BÜHNE Wolfgang kurima Rauschning
KOSTÜME Susana Mendoza
CHOREOGRAFIE Kati Heidebrecht
DRAMATURGIE Torben Selk
CHOR Edward Mauritius Münch
LICHT Katharina Konopka

REGIEASSISTENZ & ABENDSPIELLEITUNG Annika Ellen Flindt, Florian Thiel
DANCE CAPTAIN BALLETT Melissa Panetta
DANCE CAPTAIN CHOR Annika Ellen Flindt
INSPIZIENZ Mahina Gallinger


Es war am 5. Juni 1988: Es sollte mein erster Besuch eines Musicals werden. Ich saß mit einer vergünstigten Schülerkarte im zweiten Rang des Theaters am Goetheplatz in Bremen (Bei meinem damaligen Budget, das ich mir durch Zeitungsaustragen verdingte, war Besseres nicht drin.), blickte aus der Vogelperspektive von oben herab über den ersten Rang und das Parkett zur Bühne und wartete gespannt auf das, was mich erwartete. Schließlich war ich als Theaterbesucher noch völlig unbeleckt und konnte diesbezüglich auf keine Erfahrungen zurückgreifen. Alles war für mich neu und aufregend: Die Musiker*innen des Orchesters stimmten ihre Instrumente, während das grelle Schrillen einer Klingel den Beginn der Vorstellung ankündigte. Langsam wurde das Licht gedimmt, und eine vibrierende Spannung bemächtigte sich meiner. Der Dirigent erschien, und das Publikum applaudierte, also applaudierte auch ich. Zu den ersten Takten der Ouvertüre hob sich der Vorhang und gab den Blick frei auf das Bühnenbild, das Covent Garden in London darstellen sollte. Das Spiel begann. Niemals zuvor hatte ich eine verführerische Symbiose, wie diese aus Musik, Text, Gesang, Schauspiel und Tanz, erleben dürfen. Es war um mich geschehen!

Seitdem hat mich das Musicalfieber nie mehr losgelassen, und gerade MY FAIR LADY nimmt hier eine Sonderstellung ein. So sah ich im Laufe der Jahrzehnte auf den Bühnen dieses Landes bisher vier verschiedene Inszenierungen dieses Musical-Klassikers. Doch seit unserem letzten Zusammentreffen mussten satte 21 Jahre verstreichen, bis ich nun der LADY abermals meine Aufwartung machen durfte. Und so schummelte sich mir beim Klang der traumhaften Ouvertüre eine kleine Träne ins Auge – vor Rührung, doch noch vielmehr vor Freude,…


HINWEIS: DIE OBIGE AUFNAHME STAMMTE NICHT AUS DER BESPROCHENEN INSZENIERUNG SONDERN DIENT NUR DAZU, EINEN EINDRUCK VON DER MUSIK ZU VERMITTELN.

Bei seinen Feldstudien vor der Londoner Oper erregt das Blumenmädchen Eliza Doolittle mit ihrer Art zu sprechen die Aufmerksamkeit von Henry Higgins, einem international anerkannter Professor für Phonetik. Als ihr auffällt, dass er sich Notizen macht, protestiert sie und sucht Unterstützung bei Oberst Pickering, der gerade die Oper verlässt. Es stellt sich heraus, dass er, als Fachmann der indischen Dialektik, ein Kollege von Higgins und extra seinetwegen aus Indien nach London gereist ist. Beide beginnen sofort zu fachsimpeln, wobei Higgins erwähnt, dass er – mit Hilfe des richtigen Unterrichts – aus diesem ordinären Blumenmädchen mit Leichtigkeit eine Lady machen könnte. Elizas Aufmerksamkeit ist geweckt. Beim Gehen wirft Higgins Eliza gönnerhaft einige Münzen zu. Eliza ist von diesem unerwarteten „Reichtum“ entzückt und erträumt für sich einige bescheidene Annehmlichkeiten. Auf den Boden der Realität bringt sie ihr Vater Alfred P. Doolittle, der offiziell als Müllkutscher tätig ist, inoffiziell aber lieber in der Kneipe seinen unbändigen Durst stillt und hofft, von seiner Tochter ein paar Münzen schnorren zu können. Am nächsten Tag steht Eliza bei Higgins vor der Tür, um den erwähnten Unterricht zu buchen. Sie träumt von einer Anstellung in einem feinen Blumenladen. Doch Higgins macht sich einen Spaß aus ihrem Ansinnen. Er ist für dergleichen nicht zu haben, selbst nicht gegen Bezahlung, die Eliza ihm anbietet. Wieder geraten die Männer ins fachsimpeln, und schließlich bietet Oberst Pickering eine Wette an: Er würde alle Kosten übernehmen, wenn Higgins es tatsächlich schaffen sollte, Eliza so weit zu bringen, dass niemand – selbst nicht am britischen Hofe – sie als armes Mädchen der Unterschicht erkennen würde. Higgins kann nicht widerstehen und nimmt die Herausforderung an. Eliza sieht ihre Chance auf eine bessere Zukunft und stimmt ebenfalls zu. Das Mädchen wird umgehend im Haus von Higgins einquartiert und erhält von der Hausdame Mrs. Pearce widerstrebend eine optische Rundumerneuerung. Schon am nächsten Tag beginnt ihr Unterricht. Plötzlich steht Elizas Vater vor der Tür und versucht den Herren ein paar Pfund aus der Tasche zu locken. Dabei stellt er sich rhetorisch so raffiniert an, dass Higgins ihn als „originellsten Moralisten“ weiterempfiehlt. Über Wochen ziehen sich die quälenden Sprachübungen hin. Alle sind erschöpft, bis sich plötzlich bei Eliza die ersten Erfolge einstellen. Zur Probe nimmt Higgins sie zum Pferderennen nach Ascot in die Loge seiner Mutter. Mrs. Higgins ist anfangs wenig begeistert von dieser Idee, schließt Eliza aber zunehmend in ihr Herz. Zwar sticht Eliza dank ihrer Natürlichkeit aus der Masse der versnobten Upperclass hervor und erregt so die Aufmerksamkeit des jungen Freddy Eynsford-Hill, doch im Eifer entfleucht ihr ein sprachlicher Fauxpas, mit dem sie die Anwesenden schockiert. Allein Freddy ist von ihr entzückt und begibt sich eilends zum Haus von Henry Higgins, in der Hoffnung mit ihr sprechen zu können. Doch Elizas Drill geht Woche für Woche weiter, und aus dem soziale Rohdiamant entwickelt sich langsam ein funkelnder Edelstein. Auf dem festlichen Botschafterball soll sie sich nun abermals bewähren: Eliza ist absolut reizend und so überzeugend, dass selbst der anwesende Sprachforscher Zoltan Karpathy keinen Makel an ihr erkennen kann. Vielmehr ist ihr Englisch zu exzellent: Karpathy ist davon überzeugt, dass Engländer nie ein so reines Englisch sprechen. Vielmehr findet man dies nur bei Ausländern, und so vermutet er, dass Eliza eine ungarische Prinzessin sein muss. Zurückgekehrt im Haus von Higgins gratuliert Oberst Pickering den Kollegen für seine herausragende Arbeit. Dieser zeigt sich wiederum erleichtert darüber, dass jetzt endlich alles vorbei sei. Eliza, die still danebensteht und zu Recht auf ihre Leistungen stolz sein könnte, wird von den beiden Herren gänzlich übersehen. Sie ist zutiefst verletzt und verlässt noch während der Nacht das Haus. Vor der Tür stolpert sie über den dort wartenden Freddy, der ihr abermals wortreich zu vermitteln versucht, wie sehr er sie liebt. Doch Eliza hat genug von Männern, die nur sprechen und nicht handeln. Da sie nun nicht mehr weiß, wo sie hingehört, zieht es sie zu ihrer alten Heimat. Dort trifft sie ihren Vater, der im Begriff ist, zu heiraten. Aufgrund der Empfehlung von Higgins hat er ein erträgliches Erbe erhalten. Grund genug für seine „Madam“, endlich in den Hafen der Ehe zu schippern, auch wenn Alfred P. Doolittles Begeisterung sich in Grenzen hält. Eliza erkennt, dass sie auch hier keine Zuflucht finden kann, und verabschiedet sich endgültig von ihrem Vater. Am nächsten Morgen ist Higgins außer sich, dass Eliza ohne ein Wort verschwunden ist. Eilends geht er auf die Suche und findet sie bei seiner Mutter, die ihrem Sohn deutlich zu verstehen gibt, wie richtig Eliza gehandelt hat. Eliza bietet ihm die Stirn: Aus der Schülerin ist eine ebenbürtige Persönlichkeit geworden. Geknickt kehrt Higgins zurück und muss sich eingestehen, wie sehr er sie vermisst. Wehmütig schaltet er den Phonografen an und lauscht den Tonaufzeichnungen ihrer Stimme. Da betritt Eliza das Zimmer: Sie ist zurück…!


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…und meine Freude sollte sich im Laufe der Vorstellung weiter stetig steigern. Regisseur Toni Burkhardt und sein Produktionsteam schenkten dem Bremerhavener Publikum eine Inszenierung, die ein permanentes Hochgefühl bei mir auslöste, ein wahres Vergnügen und eine einzige Wonne war. Voller charmanter Ideen und mit witzige Details gespickt, gab es nicht eine einzige Sekunde Langatmigkeit. Alles war im Fluss: Szene für Szene entblätterte sich die Handlung schlüssig vor meinen Augen. Behutsam schraubte Burkhardt an den Rollenvorgaben, drehte hier ein bisschen, regulierte dort ein wenig, um die antiquierte Darstellung der Geschlechterrollen zu mildern. Und doch erkannte ich weiterhin die vertrauten Charaktere. Es war immer noch „meine“ LADY. Gekonnt verschmolz er ganz viel Entertainment mit einem Hauch Drama: Dass er beide Extreme beherrscht, zeigte er in der Vergangenheit sowohl beim Musical HAIRSPRAY (Entertainment) wie auch bei der Oper BREAKING THE WAVES (Drama). Unter seiner Regie wurden beinah unmerklich zwei Neben-Rollen aufgewertet: So stellt er dem dominanten Herren-Trio (Higgins, Pickering, Doolittle) ein selbstbewusstes Damen-Trio (Doolittle jun., Higgins sen., Pearce) gegenüber, das auf Augenhöhe den Kerlen Paroli bot. Bravourös bündelte er die Künstler*innen der unterschiedlichen Sparten (Gesang, Schauspiel, Tanz) zu einem homogenen Ensemble, indem er die Grenzen zwischen den einzelnen Professionen verschwinden ließ.

Das Bühnenbild von Wolfgang kurima Rauschning zeigt ein London wie aus dem Märchenbuch: Die Hintergrundprojektionen, die stilisierte Ansichten der Schauplätze zeigen, erstrahlen phantasievoll in allen Farben des Regenbogens. Dominat in der Mitte der Bühne steht eine Konstruktion in Kombination mit Treppen und Balkone, die – je nach Grad der Drehung – einen Grammophontrichter (Higgins Arbeitszimmer) oder eine Blüte (Außenansichten) darstellen könnte und so schnelle Szenenwechsel ermöglicht. Susana Mendoza schuf stimmige Kostüme: Die Upperclass erschien in einer pastellenen Garderobe, während das einfach Volk eher gedeckte Farben trug. Der Haushalt um Henry Higgins schien in der Zeit um die Jahrhundertwende stehengeblieben zu sein, während Elizas Metamorphose auch anhand ihrer Kostüme (Sonnengelb mit Schwarz/ vom einfachen Blumenmädchen, die ihre Ware in einer Schürze feilbietet, zum eleganten Audrey-Hepburn-Style) zu erkennen war.

Choreografin Kati Heidebrecht brachte das gesamte Ensemble – von den Solisten über dem Chor bis zum Ballett – in Bewegung und schuf auch hier für die einzelnen Gruppen prägnante Bewegungsabläufe: Das einfache Volk tanzte und steppte ausgelassen über die Bühne, der Adel hingegen wurde mit minimalistischen Gesten porträtiert. Auch die talentierten Tänzer*innen vom Ballett waren nicht nur schmückendes Beiwerk. Bei anderen Inszenierungen durfte ich es durchaus erleben, dass das Ballett „mal eben“ zum Tanzen auf die Bühne gescheucht wurde, ansonsten aber nicht präsent war. Hier bereicherten sie die Szenerie als quirlige Straßengaukler oder gefielen als zauberhafte Debütant*innen auf dem Ball.

Mit Hartmut Brüsch stand ein wahrer Kenner und Könner der Materie am Pult vor dem Philharmonischen Orchester Bremerhaven. Mit Verve brachten die Musiker*innen die bekannten Evergreens zum Erklingen. Schwelgerisch strömten die wunderbaren Melodien über das Ohr direkt in mein Herz und sorgten für ein wohliges Gefühl.

Die Sänger*innen des Chores am Stadttheater Bremerhaven (Leitung: Edward Mauritius Münch) überzeugten abermals sowohl stimmschön als auch durch ihre Wandlungsfähigkeit: Eben noch flott singend durch Londons Straßen getanzt, intonieren sie nur wenige Augenblicke später ganz etepetete die „Ascot Gavotte“.

Robert Tóth und MacKenzie Gallinger waren als HARRY und JAMIE die witzigen Side-Kicks zu ALFRED P. DOOLITTLE. Gallinger gab zudem einen herrlich schmierigen ZOLTAN KARPATHY. Iris Wemme-Baranowski stattete MRS. PEARCE mit der nötigen Contenance aus, war nie nur bloße Hausangestellte, sondern vielmehr das Gewissen von HENRY HIGGINS. Isabel Zeumer präsentierte als MRS. HIGGINS punktgenau ihre Pointen und setzte sich mit mütterlichem Pragmatismus wohltuend von ihren überkandidelten Freunden aus der Upper-Class ab.

Kay Krause porträtierte OBERST PICKERING als liebenswerten Schussel mit viel Verständnis und noch mehr Herz für seine Mitmenschen. Andrew Irwin erschien als FREDDY EYNSFORTH-HILL optisch wie ein Schlager-Star aus den 70ern, mimte glaubhaft den verliebten jungen Mann und bot abermals – wie ich bereits in meinem Beitrag zur ERÖFFNUNGSGALA erwähnte – eine der besten Interpretationen von „Weil ich weiß, in der Straße wohnst du“, denen ich bisher lauschen durfte. Ulrich Burdack gab einen deftig-rustikalen ALFRED P. DOOLITTLE mit amüsanter Bauernschläue, der mit üppigem Bass die Songs intonierte, mit Chor und Ballett flott über die Bühne wirbelte und in seinen Dialogen prägnante Akzente setzte.

Dirk Böhling gelang das Kunststück, seinen HENRY HIGGINS weniger arrogant dafür mehr jungenhaft-naiv wirken zu lassen. Beinah unbedarft pfefferte er seine Unverschämtheiten raus und wunderte sich über die Reaktionen seiner Mitmenschen. Doch gerade diese jungenhafte Naivität sicherte ihm die Sympathie des Publikums. Den Sprechgesang mit seinen durchaus herausfordernden Passagen bewältigte er meisterhaft.

Ihm zur Seite stand die beste ELIZA-Darstellerinnen, die ich bisher auf einer Bühne sehen durfte: Victoria Kunze. Mit einer immensen Spielfreude stürzte sie sich in die Rolle und verkörperte die schnoddrige Straßengöre ebenso glaubhaft wie die gereifte junge Frau. Dabei gelangen ihr die humoristischen Passagen nicht minder brillant wie die ernsteren Szenen. Auch gesanglich bot sie absolut Erlesenes: In ihren Songs lieferte sie mit ihrem wunderschönen Sopran ein Highlight nach dem anderen ab und ließ dabei so manche prominentere und auf CD verewigte Rollenvorgängerin ziemlich blass aussehen. Hochachtung!

Hochgefühl: Genau dieses hatte sich meiner bemächtigt und sollte mich auch lange begleiten. Beim Standing Ovation klatschte ich mir enthusiastisch die Hände wund und brüllte mir mit Bravo-Rufen die Kehle heiser. Doch ich war so selig: Nach 21. Jahren war „meine“ LADY – frisch wie eh und je – in einer fulminanten Inszenierung zu mir zurückgekehrt.


Nachtrag zum 11. Mai 2025: Da flog beim Schlussapplaus der Dernière zu MY FAIR LADY der originale Elbsegler von ALFRED P. DOOLITTLE alias Ulrich Burdack über mich hinweg in die Weiten des Zuschauersaals, um dann – dank deutlicher Nennung des Adressaten – doch noch bei mir zu landen. Nun geht der kleine lädierte Segler in die wohlverdiente Rente und wird ein gemütliches Nest bei mir erhalten.

Mein lieber Ulrich! Nochmals herzlichen Dank für das schöne Souvenir. Ich habe mich so sehr gefreut! 😍

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Mit der Dernière endete die erfolgreiche Aufführungsserie des weltbekannten Musicals am Stadttheater Bremerhaven nach 18 nahezu ausverkauften Vorstellungen, bei denen ich an 5 Terminen dabei sein durfte. Bisher hatte mich noch keine andere Produktion so durch eine Saison (von November bis Mai) begleitet wie diese MY FAIR LADY. Jedes Mal war es mir ein Fest, bei dem ich den Alltagsstress sowie meine Sorgen und Schmerzen für einige wertvolle Stunden vergessen konnte.

Für die Freude, die mir (und sicherlich auch vielen weiteren Zuschauern) bereitet wurde, möchte ich mich bei allen Beteiligten von ganzem Herzen bedanken. 💖


Lust auf einen Probeneinblick? Hier ist er: Andrew Irwins Version von „Weil ich weiß, in der Straße wohnst du“ mit Tonio Shiga am Klavier und Iris Wemme-Baranowski als Mrs. Pearce,…

…oder wir werfen Harald Witt, dem technischen Oberinspektor am Stadttheater Bremerhaven, während der Generalprobe zu MY FAIR LADY einen Blick über die Schulter,…

…aber vielleicht habt ihr ja auch Lust mit Kati Heidebrecht die Choreografie zu „Mit ’nem kleenen Stückchen Glück“ zu lernen.


„Es grünt so grün“: Noch bis zum Mai 2025 lässt MY FAIR LADY am Stadttheater Bremerhaven sowohl Spaniens Blüten als auch die Herzen des Publikums erblühen.

[Konzert] ERÖFFNUNGSGALA 2023/2024 / Stadttheater Bremerhaven

mit dem Main-Theme aus „The Sea Hawk“ von Erich Wolfgang Korngold sowie Arien und Musiken von Jerry Bock, John Du Prez & Eric Idle, Antonín Dvořák, Franz Lehár und Giacomo Puccini

mit Ausschnitten aus „Der zerbrochne Krug“ von Heinrich von Kleist, „Glanz“ von Christina Kettering, „Der Untergang des Hauses Usher“ von Justine Wiechmann und Elisabeth Kirschbaumer (nach Edgar Allan Poe) und dem Ballett „Seelen“ von Alfonso Palencia

Premiere: 2. September 2023 / besuchte Vorstellung: 2. September 2023

Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus


Musikalische Leitung: Marc Niemann, Davide Perniceni, Hartmut Brüsch, Tonio Shiga
Chor: Mario Orlando El Fakih Hernández
Szenische Einrichtung: Annika Ellen Flindt
Moderation: Lars Tietje, Peter Hilton Fliegel, Bianca Sue Henne, Alfonso Palencia,
Markus Tatzig

Musiktheater: Ulrich Burdack, Signe Heiberg, Marcin Hutec, Andrew Irwin,
Konstantinos Klironomos, Victoria Kunze, Boshana Milkov
Ballett: Helena Bröker, Melissa Festa, Volodymyr Fomenko, Lucia Giarratana,
Arturo Lamolda Mir, Marco Marongiu, Alícia Navas Otero, Zoe Irina Sauer Llano,
Melissa Panetta, Clara Silva Gomes, Ming-Hung Weng, Dawon Yang
Schauspiel: Frank Auerbach, Richard Feist, Justus Henke, Kay Krause, Marc Vinzing,
Marsha Zimmermann
JUB: Janek Biedermann, Ulrich Fassnacht, Coco Plümer
Opernchor am Stadttheater Bremerhaven
Philharmonisches Orchester Bremerhaven


„The same procedure as every year!“

…könnte man ausrufen, denn – Ja! – der Ablauf einer Eröffnungsgala am Stadttheater Bremerhaven ist Jahr für Jahr recht identisch – nur die Inhalte variieren natürlich. Und gerade dieses Festhalten am Gewohnten schafft für mich als Zuschauer eine wohlbekannte und kuschelige Sicherheit und steigert meine Vorfreude, dass ich nach den enthaltsamen Sommermonaten endlich wieder Theaterluft schnuppern darf.

Gleich zu Beginn der Gala kredenzte uns das Philharmonische Orchester unter der Leitung von GMD Marc Niemann ein Highlight (von vielen, die noch folgen sollten): Das musikalische Hauptthema einer filmischen Piraten-Schmonzette mit Errol Flynn aus dem Jahre 1940, zu der niemand geringerer als Erich Wolfgang Korngold die Musik beisteuerte und so ganz nebenbei die Filmmusik revolutionierte. Das Motto der diesjährigen Konzert-Saison lautet Fremde Heimat: Korngold war vor den Nazis nach Amerika geflohen und musste sich dort eine neue Existenz aufbauen. War der Film „The Sea Hawk“ auch ein Leichtgewicht, so war es die Musik von Korngold ganz und gar nicht, die Niemann mit dem Philharmonische Orchester symphonisch-voluminös und mit einer enormen Klangfülle zu Gehör brachten. Doch auch Davide Perniceni, Hartmut Brüsch und Tonio Shiga ließen es sich nicht nehmen, bei den Programmpunkten zu den ihnen anvertrauten Produktionen hier bei der Eröffnungsgala den Taktstock zu schwingen.

Intendant Lars Tietje gab auch in diesem Jahr einen launig-entspannten Conférencier und holte sich bei passender Gelegenheit die jeweilige Sparten-Leitung in den Personen von Peter Hilton Fliegel, Bianca Sue Henne, Markus Tatzig und Alfonso Palencia an seine Seite.

Frank Auerbach, Richard Feist, Justus Henke und Marsha Zimmermann sorgten mit einem Ausschnitt aus Heinrich von Kleists Lustspiel-Klassiker DER ZERBROCHNE KRUG, der in einem moderneren Gewand präsentiert wird, für die ersten Lacher im Publikum. Der zum Einsatz kommende Kühlschrank mit „Special Effect“ könnte sich durchaus zum Running-Gag entwickeln.

Die Weihnachtspremiere der Oper RUSALKA von Antonín Dvořák verspricht ein ungewöhnliches Hörerlebnis, da sie in tschechischer Sprache aufgeführt wird. Dies ist bestimmt auch für die Sänger*innen eine Herausforderung, die aber hervorragend gemeistert wird, wie Boshana Milkov sowie Ulrich Burdack gemeinsam mit dem Opernchor, der wieder bestens durch Mario Orlando El Fakih Hernández vorbereitet wurde, nachdrücklich unter Beweis stellten.

Auch in diesem Jahr kam es zur Verleihung des Herzlieb-Kohut-Preises, mit dem besondere künstlerische Leistungen am Stadttheater Bremerhaven gewürdigt werden. In diesem Jahr wartete die Jury mit einer Überraschung auf: Nicht eine Person oder Sparte wurde geehrt, diesmal erhielten Toni Burkhardt (Regie), Adriana Mortelliti (Kostüme) und Wolfgang kurima Rauschning (Bühnenbild) gemeinsam diese Auszeichnung für ihre grandiose Umsetzung der Oper BREAKING THE WAVES. Völlig verdient: Auch mich hatte diese Inszenierung nachhaltig beeindruckt.

Die letztjährige Preisträgerin Victoria Kunze behauptete gegenüber ihrem „Partner in Crime“ Andrew Irwin (😉) „Ich bin eine anständ’ge Frau“. Na, ob das wirklich stimmt, da können wir uns in DIE LUSTIGE WITWE, dem Operetten-Klassiker von Franz Lehár überzeugen. Mit einem schmissigen „Ja, das Studium der Weiber ist schwer“ spülten uns Signe Heiberg, Ulrich Burdack und Konstantinos Klironomos mit Unterstützung des Operchores aus dem Saal hinaus in die Pause.

Erst seit einer Spielzeit ist Alfonso Palencia als Ballettdirektor am Haus, und schon hat er deutliche künstlerische Spuren hinterlassen. So überzeugen seine Choreografien durch Emotionalität und Ästhetik. Dies galt auch für die gezeigten Ausschnitte aus dem drei-geteilten Ballettabend SEELEN, die von der Company grandios umgesetzt wurden. Am Ende erhielten die Tänzer*innen einen frenetischen Applaus als Lohn. Tanz scheint mir die Kunstform zu sein, die dem Künstler am Meisten abverlangt und das höchste Maß an Disziplin fordert.


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In dieser Spielzeit steht mit GLANZ von Christina Kettering eine Uraufführung auf dem Spielplan vom JUB (Junges Theater Bremerhaven). In diesem Stück erfindet sich eine junge Frau via Social Media neu und verstrickt sich immer weiter in Lügen: Coco Plümer, Janek Biedermann und Ulrich Fassnacht zeigten mit einem Ausschnitt, wie nah dieses Thema an der Gefühlswert der heutigen Jugend ist.

Doch nicht nur aktuelle Themen werden in den Spielplänen der einzelnen Sparen aufgegriffen, auch die Freunde der klassischen Grusel- und Schauerliteratur kommen weiterhin auf ihre Kosten: Schon in der vergangenen Spielzeit hatte DER UNTERGANG DES HAUSES USHER von Justine Wiechmann und Elisabeth Kirschbaumer (nach der gleichnamigen Erzählung von Edgar Allan Poe) Premiere. Diese beim Publikum sehr beliebte Inszenierung wird auch in dieser Saison weiterhin als Wiederaufnahme zu sehen sein, aus der Marc Vinzing den großen Eröffnungs-Monolog im beinah dunklem Saal gekonnt-unheilschwanger zum Besten gab.

Mit TOSCA von Giacomo Puccini eröffnet das Musiktheater die neue Saison und bietet nicht nur einen Klassiker und Publikumsliebling des Genres, sondern hier am Stadttheater Bremerhaven mit Signe Heiberg und Konstantinos Klironomos zudem ein fulminantes Leading-Paar. Schon mit „Meno male! Egliè la“, der ersten Szene des Tosca-Blocks, in der Marcin Hutec, Andrew Irwin und Konstantinos Klironomos vor dem Orchester standen und sangen, während stückbedingt Signe Heiberg gemeinsam mit dem Opernchor und dem Extrachor von der Seitenbühne zu hören waren, zeigte eindringlich die hohe sängerische Qualität des Hauses. Cavaradossis Arie „E lucevan le stelle“ gestaltete Konstantinos Klironomos voller Wehmut und Trauer, während Toscas „Vissi d’arte“ bei Signe Heiberg sich vom anfänglichen Klagelied beinah bis zur kämpferischen Hymne steigerte. Grandios!!!

Auch wenn das „große“ Musical in dieser Spielzeit beim Schauspiel zu finden ist, so hat das Musiktheater mit THE APPLE TREE von Jerry Bock und Sheldon Harnick zumindest eine deutschsprachige Erstaufführung am Start. Dem Team Bock/Harnick verdanken wir u.a. das wunderbare Musical „Anatevka (Fiddler on the Roof)“. THE APPLE TREE verspricht, ein musical-isches Schmankerl in bester Broadway-Sound-Tradition (Die Ouvertüre wusste schon zu gefallen!) zu werden. Das Musical beschäftigt sich in drei in sich abgeschlossenen Geschichten um das Thema „Verführung“: So dürfen sich Adam und Eva mit der Schlange kabbeln, oder eine junge Frau aus bescheidenen Verhältnissen träumt vom Glitzer der Show-Welt. Apropos: Marcin Hutek war in den vergangenen Spielzeiten ja schon so einiges, u.a. Chef des Olymps. Jetzt durfte er als Schlange den Sündenfall verschulden und versuchte musikalisch seine „Verbot’ne Frucht“ an die Frau zu bringen. Mit „Wahnsinn“ amüsierte Victoria Kunze keck als aufstrebendes aber sich selbst überschätzendes Show-Sternchen. Andrew Irwin gestaltete Adams Klagelied auf „Eva“ so fein akzentuiert, dass es die reine Freude war, ihm zu lauschen.

Das „große“ Musical ist – wie schon erwähnt – in dieser Spielzeit beim Schauspiel verankert: Bei der Musical-Parodie SPAMELOT von Eric Idle und John du Prez nach Monty Phytons „Die Ritter der Kokosnuss“ erwarte ich allerdings auch keinen Schön-Gesang sondern vielmehr ein Feuerwerk an Pointen, die – im wahrsten Sinne des Wortes – auf dem Punkt kommen. Trotzdem dürfen wir uns auf ein komplettes Orchester incl. Opernchor freuen. Bei „Such den Gral“ überzeugte Kay Krause mit gekonntem Sprechgesang als kauziger König Artus. Für die erkrankte Julia Lindhorst-Apfelthaler, die in dieser Inszenierung die Fee aus dem See geben wird, sprang bei der Eröffnungs-Gala kurzfristig Boshana Milkov ein und „soulte“ sich voller Wonne durch den Song.

Mit dem Ohrwurm „Always look on the bright side of life“ wurden wir in die laue Sommernacht Bremerhavens entlassen.


Mit dieser Eröffnungsgala beginnt die SAISON 2023/2024 am Stadttheater Bremerhaven, das mich wieder mit seinem vielfältigen Programm begeistert.

[Oper] Missi Mazzoli – BREAKING THE WAVES (DEA) / Stadttheater Bremerhaven

Oper von Missy Mazzoli / Libretto von Royce Vavrek / nach dem gleichnamigen Film von Lars von Trier / Deutsche Erstaufführung / in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere: 6. Mai 2023 / besuchte Vorstellung: 21. Mai 2023

Stadttheater Bremerhaven / Großes Haus


Musikalische Leitung: Davide Perniceni
Inszenierung: Toni Burkhardt
Bühne: Wolfgang kurima Rauschning
Kostüme: Adriana Mortelliti
Choreinstudierung: Mario Orlando El Fakih Hernández


Ich saß im Theater, schaute auf die Bühne, und Tränen rannen über meine Wangen…!

Die naive und psychisch labile Bess verliebt sich in den Offshore-Ölrigger Jan und heiratet ihn entgegen der Zweifel der Ältesten ihrer tiefreligiösen calvinistischen Gemeinde. Als Jan nach einer kurzen doch glücklichen gemeinsamen Zeit wieder zur Bohrinsel zurückkehren muss, betrauert Bess die Trennung so sehr, dass sich ihre psychischen Probleme wieder manifestieren, die sie bisher mit Medikamenten gut kontrollieren konnte. In dieser Situation ist ihr ihre strenge Mutter keine Unterstützung, die der Meinung ist, dass jeder noch so harte Schicksalsschlag stoisch ertragen werden muss. Hilfe erfährt sie von ihrer Schwägerin Dodo, der Frau ihres verstorbenen Bruders, die sich immer wieder schützend zu ihr stellt. Doch auch sie kann nicht verhindern, dass Bess zunehmend schizophrene Züge zeigt: So ist sie immer wieder im Zwiegespräch mit Gott und bittet diesen, ihren Mann wieder zu ihr nach Hause zu bringen. Kurz darauf erleidet Jan auf der Bohrinsel einen fast tödlichen Unfall und wird ins Krankenhaus auf dem Festland gebracht. Als Bess erfährt, dass der Unfall Jan fast vollständig gelähmt hat, glaubt sie, dass es ihre Schuld sei. Schließlich hat sie Gott inständig gebeten, Jan zu ihr nach Hause zu bringen. Jan weiß, dass Bess niemals ihr Ehegelübde brechen würde, glaubt aber, dass er sie daraus befreien muss, damit sie ein erfülltes Leben führen kann. Er ermutigt sie, Liebhaber zu finden und ihm davon zu erzählen, damit er sich einreden kann, sie beide würden Liebe machen. Doch Bess weigert sich, dem ungeheuerlichen Wunsch ihres Mannes Folge zu leisten. Als Jan versucht, sich durch eine Überdosis Tabletten das Leben zu nehmen, ist sie sich sicher, dass sie ihm gehorchen muss. Scheiternde Versuche, Dr. Richardson, den behandelnden Arzt ihres Mannes zu verführen, und halbherzige sexuelle Begegnungen mit Fremden gehen mit einer Verschlechterung von Jans Gesundheit einher. Als Bess einen Mann findet und Sex mit ihm hat, stabilisiert sich überraschend Jans Gesundheit, worauf Bess weitere Sex-Bekanntschaften sucht. Doch ihr Ruf holt sie ein: Ihre Mutter verachtet sie, und die Kirchenältesten verstoßen sie aus der Gemeinschaft. Bess versteht nicht warum, da sie doch dem Willen ihres Mannes folgt und seine Genesung direkt proportional zu ihren außerehelichen Aktivitäten voranschreitet. Dodo versucht ihr begreiflich zu machen, dass Jan diesen Wunsch im Fieberwahn geäußert hat. Doch Bess lässt sich nicht aufhalten: Eines Nachts wird sie von Matrosen brutal vergewaltigt und sadistisch misshandelt. Mit letzter Kraft schleppt sie sich zu Dodo und stirbt, als Jan von seiner Operation aufwacht, und sich sein Gesundheitszustand dramatisch verbessert. Die Kirchenältesten stimmen zu, dass Bess zwar ein calvinistisches Begräbnis erhält, bestehen aber darauf, dass sie als Sünderin begraben und ihre Seele der Hölle übergeben wird. Jan, der sich vollständig erholt hat, stiehlt mit Hilfe seines besten Freundes Terry die Leiche, bevor sie beigesetzt wird. Als er ihre Überreste dem Ozean übergibt, erklingen die Glocken Gottes…!


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Regisseur Toni Burkhardt kreierte eine schlüssige Inszenierung, bei der die Dramatik sich Szene für Szene logisch zwingend steigerte. Dabei fühlte er sich – trotz aller Symbolik – dem Realismus verpflichtet: So standen die Beweggründe der Protagonist*innen mit all ihren vielfältigen Emotionen im Vordergrund. Er forderte von den Sänger*innen viel und ließ sie in drastischen Bilder agieren, die manchmal für das Publikum kaum zu ertragen waren. Die erdrückende Stimmung innerhalb einer Gemeinschaft, die dogmatisch an ihren Normen festhält, sorgte auf der Bühne für eine (An-)Spannung, die bis in den Zuschauersaal spürbar war.

Bühnenbildner Wolfgang kurima Rauschning schuf eine durchlässige Metallkonstruktion, die je nach Stellung der Drehbühne unterschiedliche Perspektiven bzw. Spielräume offenbarte. Zusammen mit den stimmigen Projektionen wandelte sich so das Bühnenbild von der Ölplattform über das Krankenhaus zur Kirche, bei der drei überdimensionale Kreuze dominierten. Ein großer, anfangs noch schneeweißer Kuschelbär, dessen Fell mit fortschreitender Handlung dunkler und dunkler wurde, als wäre er dem Feuer zu nah gekommen, stand sinnbildlich für die ursprünglich reine Seele von Bess, die nach und nach zu Asche verbrannte. Auch die Kostüme von Adriana Mortelliti verweigerten sich in ihrem miefigen 70er Jahre-Look jeglichem Glamour und unterstützten vielmehr den Realismus-Gedanken des Regisseurs.

Davide Perniceni webte mit dem kammermusikalisch besetzten Philharmonischen Orchester Bremerhaven einen emotionalen Klangteppich zwischen aufbrausenden Instrumental-Sound, musikalischem Minimalismus und Industrieklänge. Mizzy Mazollis Komposition passen nicht in das gewohnte Opern-Schema: Es gibt keine klassische Ouvertüre, Arien oder Duette. Wie beim Underscoring eines Films unterstützt die Musik das auf der Bühne Gezeigte und spiegelt so äußerst individuell die Gefühlswelten der Protagonist*innen wieder. Dazu kamen große Bleche ebenso zum Einsatz, wie Metallspiralen zum Klingen gebracht wurden.

Auf dem ersten Blick scheinen die Männer die Bühne zu dominieren. Da gab es den vom Chordirektor Mario Orlando El Fakih Hernández exzellent disponierten Männerchor, aus dem einige Herren auch solistisch überzeugten, sei es James Bobby als verbissener Kirchenoberhaupt über Patrick Ruyters als sadistischer Matrosen bis zu MacKenzie Gallinger, der die ersten beiden „Freier“ von Bess mimte. Andrew Irwin zeichnete Dr. Richardson als einen mitfühlenden Charakter mit einer noblen, beinah schüchternen Zurückhaltung. Ulrich Burdack sorgte als Terry für die wenigen humorigen Momente des Abends, wenn er als Jans loyaler Freund positive Stimmung verbreitete und diesen am Krankenbett mit Bier versorgte. Marcin Hutek als Jan gelang die überzeugende Wandlung vom kraftstrotzenden jungen Kerl über den siechenden Kranken bis zum trauernden aber gereiften Mann.

Obwohl die Männer auf der Bühne in der Überzahl waren, bedurfte es nur drei herausragende Künstlerinnen, um die „Herren der Schöpfung“ in den Schatten zu stellen:

Signe Heiberg gab die Mutter mit einer beängstigenden Intensität. Diese Frau hatte alle Empfindungen tief in sich verschlossene, und doch zeigte Heiberg nur mit einem Blick oder mit einem Zucken im Gesicht, dass mächtige Emotionen unter der verhärteten Fassade tobten. Ihre Annäherungsversuche am Schluss an Tochter und Schwiegertochter wirkten beinah unbeholfen linkisch, da sie verlernt hatte, Empathie auszudrücken und weckten darum umso mehr mein Mitgefühl. Auch gesanglich variierte Heiberg ihren Sopran zwischen einem unterdrückten „piano“ und einem ausbrechenden „fortissimo forte“.
Brava,…

Boshana Milkov porträtierte Dodo als eine warmherzige und mitfühlende Frau. Zart ließ sie anklingen, dass ihre Gefühle zu Bess durchaus über denen einer Schwägerin hinausgingen. Doch niemals würde sie diese feine Grenze überschreiten, um das gemeinsame emotionale Band nicht zu zerreißen. Dabei war sie die unterstützende, haltgebende Schulter, die weder die Mutter noch Jan für Bess sein konnten, und bot sogar den Kirchenältesten mutig die Stirn. Milkovs reicher Mezzo erklang hierbei weniger protzend als vielmehr warm-umfangend.
…brava,…

Victoria Kunze schlüpfte nicht in diese Rolle, sie stürzte sich regelrecht hinein – gesanglich, darstellerisch, emotional,…! Ihre Bess taumelte zwischen Freude und Verzweiflung, zwischen Resignation und Hoffnung, war präsent und verlor sich selbst zunehmend und war dabei beängstigend nah am Wahnsinn. Gesanglich changierte sie zwischen kehlig-rauen Tönen bei den Gesprächen mit Gott bis zu den klirrenden Höhen voller Emotionalität. Hätte Victoria Kunze nicht schon im letzten Jahr den Herzlieb-Kohut-Preis erhalten, nach dieser fulminanten Leistung wäre er ihr sicher gewesen.
…bravissima!

Ich schaute auf die Bühne – eine verzweifelte Dodo schließt die sterbende Bess in ihre Arme, neben ihnen die hilflose Mutter – und Tränen rannen über meine Wangen…!

Es war wahrlich kein lustiger Opernabend: Ich verließ emotional aufgewühlt und tief bewegt das Theater. Doch ich war froh, dass ich dieser äußerst gelungenen deutschen Erstaufführung beiwohnen durfte. Das Stadttheater Bremerhaven hat abermals seinen Ruf als eine Bühne gefestigt, die abseits der großen Metropolen künstlerisch hochrangiges Theater auf die Bretter bringt. Vielen Dank!


Es gibt leider nur noch eine Vorstellung von BREAKING THE WAVES, und dann verabschiedet sich diese außergewöhnliche Oper schon wieder vom Spielplan des Stadttheaters Bremerhaven.