SAISON-RÜCKBLICK 2024/2025

Am Ende eines Jahres präsentiert jede*r Buchverrückte gerne die persönlichen LESE-HIGHLIGHTS: Auch ich praktiziere dieses beinah schon traditionelle Ritual mit Freude, da es mir die wunderbare Chance ermöglicht, dass ich die gelesenen Bücher nochmals Revue passieren lassen kann.

Im letzten Jahr gönnte ich mir erstmals auch einen Rückblick auf die vergangene Spielzeit. Ich kann es nur immer wieder und wieder betonen: Die Kultur ist für mich ein so essenzieller Bestandteil meines Lebens, der Einfluss auf mein Wohlbefinden, meine Phantasie, meine Gedanken und meine Emotionalität nimmt, dass ich mir nicht vorstellen könnte, ohne sie zu sein.

Da habe ich mir gedacht, ich mache aus diesem SAISON-RÜCKBLICK auch mein höchst persönliches Ritual und schwelge nochmals in vielen schönen Erinnerungen. Es gab in der vergangenen Monaten so wunderbare kulturelle Glücksmomente für mich, und ich hoffe natürlich, dass die Zukunft noch viele weitere für mich bereithält.

Doch genug geplaudert: Hier kommt sie nun, meine kleine Hommage an die zurückliegende Saison 2024/2025!

Ich wünsche euch viel Spaß!

VORSPANN
1. BOSHANA MILKOV & JAN-HENDRIK EHLERS / 2. RAINER MORITZ
3. ERÖFFNUNGSGALA / 4. THEATERFEST / 5. TURANDOT
6. DER DIENER ZWEIER HERREN / 7. AMTSNOTEN / 8. INGRID PFEIFFER

9. KEEN UTKAMEN MIT DAT INKAMEN / 10. MY FAIR LADY
11. MOZARTS ERBE(N) / 12. ROMEO UND JULIA / 13. DER GOLDENE BRUNNEN
14. HÄNSEL UND GRETEL / 15. GESCHICHTEN AUS SAND
16. LÜGEN HABEN JUNGE BEINE / 17. CATCH ME IF YOU CAN
18. VORLESEWETTBEWERB / 19. BILDERBUCHKINO

20. ENTDECKERTOUR HAFENBUS / 21. KAMMERKONZERT
22. DER KUSS DER SPINNENFRAU / 23. LE NOZZE DI FIGARO
24. ALLENS, WAR ICK SEKER WEET / 25. THEATERSNACK / 26. PE WERNER
27. SCHNEEWITTCHEN / 28. SAMMELMAPPEN / 29. LISA FELLER
30. PEER GYNT / 31. DIE BREMER STADTMUSIKANTEN
ABSPANN

💖

URLAUBSLEKTÜRE 2025

🌞

Sommerzeit ist Urlaubszeit,…

…und das bedeutet, es kann wieder unbeschwert in den Tag hineingelebt werden. Da stört uns kein penetranter Blick auf die Uhr, da wir zum Glück keine dringenden Termine wahrnehmen müssen, die unseren Tag in kleine Häppchen zerteilen. Die Tage stehen uns zur freien Verfügung, und dies können/dürfen/sollten wir nutzen, um unbeschwert in eine Geschichte einzutauchen – gänzlich ohne Angst, irgendetwas „Wichtigeres“ zu verpassen.

Die Auswahl der Urlaubslektüre darf da gerne vielfältig sein: Die einen lieben einen zünftigen Krimi, die anderen greifen zu einem Klassiker, wieder andere schmökern in einem fesselnden Roman.

Auch in diesem Jahr habe ich mich bemüht, aus den von mir gelesenen Büchern der vergangenen 12 Monate eine kleine, urlaubstaugliche Auswahl zu treffen.


Beginnen möchte ich den Reigen mit einer äußerst populären Spürnase: Zu Miss Marple gibt es zwölf neue Geschichten, die nicht aus der Feder von Agatha Christie stammen. Vielmehr haben sich namhafte Autorinnen der Figur angenommen und mit Talent und Respekt weitere tolle Kriminalfälle kreiert. Alan Bradley ließ seine Fans ganze 5 Jahre zappeln, bis endlich Flavia de Luce wieder die literarische Bühne betrat, und somit ihre spannende Geschichte weitererzählt wurde. Kate Atkinson legte einen aufregenden Roman zwischen Gesellschaftsstudie, Sittengemälde und Kriminalroman vor, der zudem in den „Roaring Twenties“ spielt.


Dieser Autor war für mich eine wahre Entdeckung: Sasha Filipenko gelingt das Kunststück, die Melancholie und Tristesse in seinem Roman durch ein feines Netz aus Humor aufzuhellen. Kathrin Aehnlich warf wieder einen liebevollen Blick auf die Menschen in den so genannten neuen Bundesländern und beschreibt die Charaktere in ihrer Geschichte voller Wärme. Saša Stanišić war Entdeckung wie Offenbarung für mich: Seine Erzählungen sind warmherzig, humorvoll und melancholisch – einfach wundervoll.


Sind wir alle nicht hin und wieder ein wenig neugierig und möchten erfahren, wie es hinter den Kulissen so zugeht? Mit spitzbübischer Freude schenkt uns Rainer Moritz einen humorvollen Blick in die (Un-)Tiefen der Buchbranche. Heinrich Spoerls Klassiker um den scheinbaren Pennäler „Pfeiffer mit drei Eff“ hat in all den Jahrzehnten nichts von seinem Charme verloren und amüsiert auf ganzer Linie. Von Winifred Watsons federleichtem Unterhaltungsroman gibt es hier noch keine Rezension, da ich ihn erst vor kurzem ausgelesen habe. Doch ich wollte euch diese wunderbar beschwingte Geschichte nicht vorenthalten.


Allen Büchern ist gemein, dass sie mich ausnehmend gut unterhalten haben, und so hoffe ich sehr, dass sie auch euren Geschmack treffen und euch wohlige Lese-Stunden schenken.

Die Fachleute in der Buchhandlung eures Vertrauens stehen euch gerne mit Rat und Tat zur Seite und sind sowohl bei der Suche als auch bei der Beschaffung dieser oder einer anderen Urlaubslektüre mit Freude behilflich! 💖

Ich wünsche euch einen wunderbaren Urlaub
mit viel Spaß beim entspannten Schmökern!!!

🌞

LESE-HIGHLIGHTS 2024…

Altes Jahr vergeht.
Wange in die Hand gestützt,
blicke ich ihm nach.

Chô-i

So wie der japanische Dichter Chô-i es zwar knapp aber treffend schon vor hunderten von Jahren beschrieben hatte, erging es mir beim Schreiben dieses Beitrags.

Ich schaue auf das Jahr 2024 mit gemischten Gefühlen: Da gab es so manche Krisen bzw. krankheitsbedingte Rückschläge, die mich zum Nachdenken zwingen… (Nein! Ich werde nicht gezwungen. Vielmehr werde ich aufgefordert.) …die mich zum Nachdenken auffordern. Ich empfinde es wahrlich nicht als Zwang. Ich sehe es vielmehr als Chance! Im Neuen Jahr wird es Veränderungen geben: Wie und in welchem Umfang wird sich noch entscheiden. Um langfristig gesund zu bleiben, sollte sich in meinem Leben allerdings einiges ändern.

Doch natürlich gab es nicht nur Krisen: Gottlob wurde ich mit vielen Glücksmomenten – kleinen wie größeren – beschenkt. Ich durfte viel Qualitätszeit mit meinen Herzensmenschen verbringen, erlebte etliche inspirierende Stunden im Theater und Konzert und las einige wunderbare Bücher.

Diese Aspekte meines Lebens werde ich ganz sicher nicht ändern!

Bei der Auswahl der Bücher bin ich mir gänzlich treu geblieben. Die Zeiten, in denen ich dachte, ich müsste hier mit der Vorstellung intellektuell herausfordernder Literatur meine Follower*innen beeindrucken, sind längst passé. Ich lese, was mir gefällt – unabhängig vom Alter des Werkes bzw. für welches Lesealter es ursprünglich vorgesehen war. Es gibt für mich nur eine einzige Voraussetzung: Ich möchte mich unterhalten fühlen!

Und hier sind sie nun endlich, meine Lese-Highlights des Jahres 2024…


Lese-Highlights 2024 - Buchcover


  • Ende Februar wurde der 125. Geburtstag von Erich Kästner gefeiert. Und auch ich ließ es mir nicht nehmen, diesen großartigen Romancier – neben einer kleinen RETROSPEKTIVE – mit Rezensionen zu DAS MÄRCHEN VOM GLÜCK und DAS MÄRCHEN VON DER VERNUFT zu gratulieren. Beide Bücher wurden phantasievoll von Ulrike Möltgen illustriert.
  • Im März tat ich etwas, was längst überfällig war: Es war mir eine große Freude, Heinrich Spoerls „Loblied auf die Schule“ DIE FEUERZANGENBOWLE zu lesen.
  • Ebenfalls im März begeisterte mit Kathrin Aehnlich mit ihrem Roman DER KÖNIG VON LINDEWITZ. Immer wieder schafft sie es, den Menschen im Osten unsere Landes eine Stimme zu geben.
  • Im April hielt ich dann das wunderbare Lese- und Bilderbuch FESTE DER WELT mit den Texten von Joanna Kończak in den Händen, das von Ewa Poklewska-Koziełło ebenso wunderbar illustriert wurde.
  • Der Mai bescherte mir mit DER TWYFORD-CODE von Janice Hallett einen ganz ungewöhnlichen Roman, der komplett aus Transkriptionen von Audiodateien bestand. Spannend!
  • Absolut Entzückendes erwartete mich im August mit SO ZÄRTLICH WAR SULEYKEN von Siegfried Lenz. Dieses kleine ostpreußische Dorf im Masurenland mit seinen liebenswert-kauzigen Menschen war mir schnell ans Herz gewachsen.
  • Im September feierte auch ich den Weltkindertag: Grund genug mich mit MEIN GROSSER MÄRCHENSCHATZ. Das Original aus den 70ern der Brüder Grimm auf eine kleine Zeitreise in meine eigene Kindheit zu begeben.
  • Der September überraschte mich auch mit dem Erzählband MÖCHTE DIE WITWE ANGESPROCHEN WERDEN, PLATZIERT SIE AUF DEM GRAB DIE GIESSKANNE MIT DEM AUSGUSS NACH VORN von Saša Stanišić, das mich so sehr begeistern konnte.
  • Im Oktober wurde es schaurig-schön mit DAS PHANTOM DER OPER von Gaston Leroux in der überzeugenden Neu-Übersetzung Rainer Moritz.
  • Der Oktober blieb weiter spannend, da ich mit Sasha Filipenko und seinem Krimi  DER SCHATTEN EINER OFFENEN TÜR einen sehr interessanten Autor entdeckte.
  • Ende November geschah ein kleines Wunder, das mich selbst überraschte: Mit Agatha Christies HERCULE POIROTS WEIHNACHTEN von Isabelle Bottier (Text) und Callixte (Illustrationen) konnte mich endlich eine Graphic Novel überzeugen.
  • Im Dezember wurde es humorvoll-besinnlich mit den entzückenden Geschichten wie DER GESTOHLENE WEIHNACHTSBAUM von Hans Fallada, zu denen Ulrike Möltgen (wie schon bereits bei Erich Kästner) ihre zauberhaften Illustrationen beisteuerte.

…und das war er wieder, mein Lese-Rückblick auf das Jahr 2024, das wir in wenigen Tagen ad acta legen können. Da bleibt mir nur noch eins:

Ich wünsche Euch einen guten Rutsch ins Neue Jahr 2025!

Liebe Grüße
Andreas

[Rezension] Gaston Leroux – DAS PHANTOM DER OPER/ mit Illustrationen von Michèle Ganser

Lieben wir nicht alle Schauergeschichten: Dieses wohlige Gruseln während die Anspannung stetig steigt. Das Entgegenfiebern bis zum erlösenden Ende. Das Nachspüren der Atmosphäre, wenn uns hinterher unser Gang durch die dunkle und verdächtig stille Wohnung ins Schlafzimmer führt, und wir es uns kaum verkneifen können, einen prüfenden Blick in den Schrank und unter das Bett zu werfen…!

…dabei lässt sich DAS PHANTOM DER OPER gar nicht so leicht einer Kategorie zuordnen: Ist es nun tatsächlich eine Schauergeschichte oder vielmehr ein Kriminalroman oder doch eher ein Tatsachenbericht? Und das, wo wir Deutschen doch diese genetische Disposition haben und alles und jeden – schön geordnet – in eine Schublade stecken möchten.

Doch unabhängig vom Etikett, mit dem wir diesen Roman vielleicht nur allzu gerne schmücken würden, handelt es sich hier auch nach all den Jahren immer noch um eine spannende wie berührende Geschichte, die schon die Kreativität vieler Künstler*innen angeregt hat und nach wie vor die Leser*innen weltweit bestens unterhält.

Seit geraumer Zeit setzt ein dubioses Wesen die Direktion der Pariser Oper unter Druck und Künstler und Bühnenarbeiter in Angst und Schrecken. Er hat ganz klare Vorstellungen, wie „seine“ Oper zu führen sei, und nimmt Einfluss an der künstlerischen Arbeit des Hauses. Sollten seine Anweisungen nicht befolgt werden, geschieht Schreckliches. Zu aller Überraschung protegiert er die junge, unerfahrene Sängerin Christine Daaé, die sich dank seinem Unterricht auf der Bühne als brillante Sängerin profiliert. Doch auch Raoul, Vicomte de Chagny, ein Jugendfreund von Christine, ist von ihr entzückt. Doch die Liebe der beiden jungen Menschen bleibt dem Phantom nicht verborgen, und er setzt skrupellos alles daran, um Christine für ewig an sich zu binden…!

Abermals legt der Reclam-Verlag eine sehr hochwertige Neu-Auflage eines literarischen Klassikers vor: Da wurde auf viele Feinheiten geachtet, sei es bei der verwendeten Papierqualität, dem Druck und der Prägung bis zur sehr geschmackvollen Farbgebung in den Farben Schwarz, Weiß und Rot.

Leider haben mich ausgerechnet die Illustrationen von Michèle Ganser ein wenig enttäuscht, die als Randverzierungen in den laufenden Text eingefügt wurden. Dies wirkt beinah wie klassische Vignetten, doch anstatt Ranken gibt es Bilder von Requisiten und Dekorationsteilen zu bewundern. Diese sind durchaus sehr ansprechend und detailliert gestaltet und nehmen jeweils Bezug zur Handlung. Aber sie sind eher schmückendes Beiwerk und können für mich die ganzseitigen Illustrationen nicht ersetzen. Die einzige Illustration, die über zwei Seiten geht, ist eine Innenansicht des Zuschauersaals der Oper, die recht unspektakulär ausfällt. Unspektakulär deshalb, da eben jene Illustration bereits als Vorsatzblatt diente, bei dem nur ein paar Zuschauer*innen hinzugefügt wurden. Da konnte mich der Reclam-Verlag in der Vergangenheit mit seinen illustrierten Fassungen schon deutlich mehr überzeugt, wie z. Bsp. mit DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY von Oscar Wilde.

Doch der größte Pluspunkt und somit die absolute Kaufempfehlung ist für mich die neue Übersetzung von Rainer Moritz. Ich habe mir (mal wieder) die Mühe gemacht und einige Passagen parallel gelesen, um so die Unterschiede der neuen zur alten Übersetzung von Johannes Piron besser nachvollziehen zu können. Pirons Übersetzung stammte aus den 60er Jahren, weißt den sprachlichen Duktus jener Zeit auf und wirkt aus heutiger Sicht ein wenig schwülstig. Auch glaubte ich bei einigen Beschreibungen einen eher negativen Unterton im Vergleich zur aktuellen Übersetzung wahrzunehmen: Da wird aus „ein Hirngespinst der Dämchen vom Corps de ballet“ (alt) zu „die unscheinbare Erfindung erregter Gehirne unter Ballettmädchen“ (neu). Zudem klingen einige Formulierungen (von „Garderobenfrauen“ zu „Garderobieren“) deutlich eleganter in meinen Ohren. Gerade beim Vorlesen klang die alte Übersetzung oftmals holpriger und kam weniger geschmeidig über meine Lippen: „Ja, es hat leibhaftig existiert, wenn es auch wie ein echtes Phantom auftrat, das heißt als Schemen.“ (alt) im Vergleich zu „Ja, es hat leibhaftig existiert, obwohl es sich in allen den Anschein eines wahren Phantoms gab, also einer Schattengestalt.“ (neu)

Alles in allem scheint die Übersetzung von Rainer Moritz fließender, klarer, beinah nüchterner zu sein und kommt damit dem Stil des Originals recht nah. Gaston Leroux, der ja nicht nur als Schriftsteller tätig war sondern auch als Journalisten arbeitete, hatte diesen Roman als eine Art Tatsachenbericht verfasst, beinah so als würde er die bei Recherchen erhaltenen Informationen zusammenfassen. Dies kam der Erstveröffentlichung als Episoden-Roman in der Zeitung Le Gaulois sehr entgegen. Zumal nicht ganz nachvollziehbar war, was der Phantasie des Autors entsprungen ist, und was auf Tatsachen beruhte. Leroux war so pfiffig, dass er sich von realen Hintergründen inspirieren ließ und die entsprechenden Fakten geschickt in seine Geschichte einbaute.

Erstmals gibt es ein unbekanntes Kapitel zu entdecken, das von Leroux, nachdem die Geschichte erstmals in der Zeitung erschien, gestrichen wurde. Er empfand dieses Kapitel als nicht relevant genug für den Fortgang der Handlung. Tatsächlich ist es nun nicht so, dass mir als Leser ohne dieses Kapitel signifikante Sachverhalte fehlen würden. Trotzdem war es eine Freude, jenes Kapitel zu lesen, da der Autor sowohl Handlung wie Personen in seinem herrlich skurrilem Humor beschreibt und somit sehr zu meiner Erheiterung beitrug.

Abermals überzeugt der Reclam-Verlag mit der geschmackvollen Umsetzung einer beliebten Geschichte – nur als „illustrierte Fassung“ würde ich sie nun nicht unbedingt anpreisen.


erschienen bei Reclam / ISBN: 978-3150114926 / in der Übersetzung von Rainer Moritz
Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!

[Rezension] Rainer Moritz – DAS BUCH ZUM BUCH. Ein Blick hinter die Kulissen

Ein Blick hinter die Kulissen???

„Hui!“, dachte ich bei mir. „Wenn er da mal nicht zu viel verspricht?!“ Wer plaudert schon aus dem Nähkästchen, gibt pikante Interna preis und verärgert damit die Branche, die einen großgemacht und weiterhin nährt? Nein, das konnte ich mir bei Rainer Moritz nicht vorstellen. Dann doch eher, dass er mit seinem unvergleichlichen Humor auf so manche Kuriositäten blickt, mit kindlicher Freude so einige Absonderlichkeiten bloßlegt und ironisch-heiter sowohl Praktiken wie Taktiken der Branche hinterfragt.

»Es gibt keinen treueren Freund als ein Buch«, sagte schon Ernest Hemingway. Und wie bei unseren Freunden aus Fleisch und Blut wollen wir natürlich auch die aus Papier immer besser kennenlernen und wissen, welche verschlungenen Wege sie zurückgelegt haben, ehe sie bei uns landen. Was tun Agenturen? Welche Bücher helfen uns, guten Schlaf zu finden? Was macht das Fernsehen mit der Literatur? Warum ist es so schwer, über Sex zu schreiben? Welche Bücher schenken wir uns zu Weihnachten? Was steht im Duden? Sind Eselsohren abzulehnen? Was sind Nackenbeißer? Fragen über Fragen, die dieses Buch beantwortet, kurzweilig, abschweifend und informativ – und dank seiner alphabetischen Gliederung auch noch schnell. Es entführt die Leserinnen und Leser in fast alle Ecken und Winkel des Literaturbetriebs – und profitiert davon, dass der Autor die meisten davon gut kennt.

 (Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)

Von A wie Adventure Writing bis Z wie Zwiebelfisch: Einem Lexikon gleich reihen sich die Schlagworte wie Perlen einer Kette dem Alphabet entlang aneinander. 

Handlung, Charaktere, Spannungsbogen: Fehlanzeige! 
Motto, Widmung, Danksagung: Vergiss es! 
Hier gibt es nur: Fakten! Fakten! Fakten!

Diese werden allerdings so wunderbar leicht im Plauderton dargeboten, dass ich mich – mir nichts, dir nichts – durch dieses Lexikon fräste, so manches Mal herzhaft auflachte, doch auch voller Verwunderung mit den Augen blinzelte. Wie eingangs bereits erwähnt, hat auch die Buchbranche ihre eigenen „Special Effects“, wie sie in jeder Branche zu finden sind. Einige Angehörige besagter Branche nehmen diese extrem ernst und hüten sie wie einen heiligen Gral. Andere blicken eher entspannt auf sie, arrangieren sich oder tolerieren sie humorvoll. Rainer Moritz scheint definitiv zur letzteren Gattung zu gehören. Zum Glück für uns…!

Mit spitzbübischer Freude stichelt er mal hier, schalkhaft schwatzt er mal dort über Buchmessen, Duden und Eselsohren, über Fräuleinwunder, Gendern und Kultbücher, über Literaturkritik, Me-too-Bücher und (schreibende) Politiker, über Romananfänge, Schafkrimis und Verlagsvertreter und über dieses und über jenes und über noch vieles mehr. Dies macht er so charmant-humorvoll, da verzeihe ich ihm auch, dass er sich hin und wieder ein wenig verplaudert und Themen anspricht, die ich nicht primär der Literatur-Branche zuordnen würde.

Apropos Humor: Ja, mit dem Humor ist es ja so eine Sache. Nicht immer bzw. nicht von jeder/jedem wird er erkannt und als solcher wahrgenommen. Schon bei LESEPARADIESE. Eine Liebeserklärung an die Buchhandlung wurde ihm sein lakonischer Ton von einigen Rezensent*innen als Arroganz ausgelegt. Es wäre leider durchaus vorstellbaren, dass dies auch bei DAS BUCH ZUM BUCH der Fall sein könnte. Da tut mir weniger Herr Moritz leid (Der steckt es sicherlich mit Humor weg!), als vielmehr diese bemitleidenswerten Puristen, denen mit ihrem eingeschränkten Blickfeld so viel Schönes entgeht.

Doch muss auch eine grundsätzliche Frage gestellt werden dürfen: Brauche ich als literaturinteressierter Mensch diese vielen Informationen? Antwort: Nein, ich brauche sie nicht! Vielmehr fallen sie für mich unter die Rubrik „Wissen, das die Welt nicht braucht!“. Doch unterhaltsam war die Lektüre dieses Büchleins allemal. 🙃


erschienen bei OKTOPUS (bei Kampa) / ISBN: 978-3311300540

[Lesung] Rainer Moritz – ITALIEN / „die schatulle“ Osterholz-Scharmbeck

Lesung: 26. August 2024

Buchhandlung „die schatulle“ in Osterholz-Scharmbeck


„Komm ein bisschen mit nach Italien“ trällerte Caterina Valente – flankiert von Peter Alexander und Silvio Francesco als Background-Sänger – aus den Boxen.

Die Gartmann-Schwestern hatten sich vom Frankreich-Liebhaber Rainer Moritz einen Italien-Abend gewünscht – passend zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse, auf der Italien der Ehrengast sein wird. Na, und Herr Moritz wäre nicht der ausgewiesene Literaturkenner, wenn er dieser Bitte nicht eloquent nachkommen könnte – auch ohne Frankreich-Bezug.

Italien – nach den Schreckensjahren des 2. Weltkrieges das Sehnsuchtsland der Deutschen: Da wurde im vollgepackten VW-Käfer Nonstop über den Brenner gebrettert, nur um endlich das unbeschwerte Lebensgefühl unter südlicher Sonne erleben zu dürfen, das in der noch jungen Bundesrepublik so schmerzlich vermisst wurde. Zudem kamen aus diesem Sehnsuchtsland auch die ersten Gastarbeiter zu uns und etablierten sich – neben ihrer Kultur – vor allem kulinarisch. Plötzlich gab es auch hierzulande so exotische Speisen wie Pizza Margherita und Spaghetti Bolognese. Apropos Spaghetti: Herr Moritz durfte vor kurzem die Neu-Auflage des Dudens rezensieren (Ja, auch der Duden kommt an einer Rezension nicht vorbei!) und stellte mit Freuden fest, dass Spaghetti nun wieder mit „h“ geschrieben werden darf. Ich hätte gar nicht gewusst, dass sie überhaupt irgendwann einmal ohne „h“ geschrieben wurden.

Doch bevor uns Rainer Moritz seine illustre Auswahl an Literatur zum Thema „Italien“ kredenzte, erlaubte er sich einen Abstecher zu einem seiner eigenen Werke, und erfreute uns mit einer amüsanten Anekdote aus UNBEKANNTE SEITEN. Kuriose Literaturgeschichte(n), in der Hellmuth Karasek zu einer Lesung aufgrund kulinarischer Versuchungen verspätet erschien.


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Dann stieg er tief ins Thema ein und präsentierte mit LA STORIA von Elsa Morante eine Wiederentdeckung aus den 70er Jahren. In LA STORIA lernen wir die zurückhaltende Grundschullehrerin Ida kennen, die unter dem Regime von Mussolini verzweifelt versucht zu verheimlichen, dass sie Jüdin ist. Politisches und Privates wird dabei bewegend miteinander verknüpft.

Nicht weniger ans Herz legte uns Rainer Moritz eine weitere Wiederentdeckung – diesmal aus den 80ern: Obwohl Dolores Pratos UNTEN AUF DER PIAZZA IST NIEMAND mit ihrem umfangreichen Text, der erst nach ihrem Tod vollständig veröffentlicht wurde, keine Handlung im herkömmlichen Sinn bietet, fesselt der Roman in seiner Detailgenauigkeit.

Beinah wie aus einer Soap-Opera entsprungen, mutet die Handlung von SPATRIATI des Autors Mario Desiati an: Francesco und Claudia lernen sich auf dem Gymnasium kennen, werden über Irrungen und Wirrungen zu Stiefgeschwister und gehen viel später sogar so eine Art Beziehung ein, die aber stets von der Unterschiedlichkeit der Figuren geprägt ist. Laut Rainer Moritz ist dies ein wunderbarer Roman, der gelungen die Sehnsüchte junger Italiener widerspiegelt.

Deutlich leichtere Kost versprach uns Moritz mit dem kleinen aber feinen Band BLUTORANGEN. Eine Reise zu den Zitrusfrüchten Italiens von Peter Peter (Er heißt tatsächlich so!), in dem der Autor sich der Kulturgeschichte der Blutorangen und Zitronen widmet. Geschichten und Geschichtliches gepaart mit Kulinarischem versprechen einen sinnlichen Lese-Genuss.

Allzu oft sind die Kerle der schreibenden Zunft überproportional vertreten, mokierte Rainer Moritz völlig berechtigt und startete mit dem wunderbar gestalteten Erzählband CIAO ITALIA! Eine weibliche Reiseverführung, der von Constanze Neumann und Petra Müller herausgegeben wurde, zur erfolgreichen Gegenoffensive.

Zum Abschluss seiner Italien-Auswahl hatte Moritz mit CIAO AMORE CIAO. Mit 100 neuen und alten Songs durch Italien noch ein kleines Schmankerl in petto: Der Musikjournalist Eric Pfeil widmete sich zum zweiten Mal den Werken der italienischen Unterhaltungsmusik. Da lässt es sich Rainer Moritz natürlich nicht nehmen, sein Publikum nochmals akustisch zu beglücken, und so röhrte der Leadsänger der Band I Santo California mit erotisch-rauer Stimme sein „Tornerò“ aus den Lautsprechern.

Rainer Moritz überzeugte an diesem Abend abermals als versierter Literaturkenner, der sein Wissen im humorvollen Plauderton „unter das Volk“ streute und stets den Kontakt mit seinem Publikum suchte. Er geizte durchaus nicht mit Selbstironie und verteilte schelmische Seitenhiebe Richtung Literaturbetrieb. Doch dabei blieb stets seine große Liebe zur Literatur spürbar.

Und noch bevor die Gartmann-Schwestern nur ansatzweise auf die Idee kommen könnten, ihn zu bitten, sich im hauseigenen Gästebuch zu verewigen, griff er nochmals zu UNBEKANNTE SEITEN und offerierte uns die Geschichte vom Nobelpreisträger Imre Kertész, der diese schwere Aufgabe seinerzeit nicht nur originell-bravourös löste sondern dabei auch noch einen literarischen Klassiker kreierte.


Weitere Aktivitäten von und mit Rainer Moritz findet ihr auf der Homepage vom LITERATURHAUS HAMBURG. Auf meinem Blog gibt es zudem ein KURZ-PORTRÄT von ihm zu entdecken.

LESUNGEN: …immer eine Freude?!

„Und an manchen Abenden verwandelt sich dieser Ort, wo alles so zueinanderpasst, in Lesebühnen. Wenige Handgriffe genügen, um Tische zu verschieben, Stuhlreihen aufzubauen und aus einem Laden eine kleine Lesebühne zu machen. Dann treten Autorinnen und Autoren auf, lesen aus ihren Werken, nippen am obligatorischen Wasserglas und kommen mit den Gästen ins Gespräch. Keine Performance, kein Event, nein, die intime Erfahrung vorgetragener Texte und das Kennenlernen derjenigen, die sie geschrieben haben.“

(aus DAS BUCH ZUM BUCH von Rainer Moritz)

Gestern war es wieder soweit: Rainer Moritz war zum x-ten Mal zu Gast in der Buchhandlung meines Vertrauens (Die genaue Zahl seiner Besuche kann ich nicht benennen, aber es waren einige). Für mich als passionierter Vor-Leser kam es wieder einer „Fortbildung“ gleich…

Nicht jede*r gute Autor*in ist auch ein*e guter Vor-Leser*in: Diese Erfahrung musste ich leider bei so einigen Lesungen machen – somit verwundert es kaum, dass viele Hörbücher von Schauspieler*innen eingelesen werden. Im Umkehrschluss kann somit ein eher mittelmäßiger Roman von einem guten Vor-Lesenden auch durchaus aufgewertet werden.

Leider mussten wir auch Lesungen über uns ergehen lassen, wo gefühlt NICHTS stimmte. Ich kann mich noch allzu gut an eine Lesung erinnern, bei der ein extrem gelangweilter und unsympathisch wirkender Autor aus seinem neusten (Mach-)Werk las, dabei wenig Kontakt zu seinem Publikum suchte (anscheinend dies auch nicht wünschte) und in seiner arroganten Selbstüberschätzung demonstrierte, dass DIESE Lesung in DIESER Buchhandlung in DIESEM Kaff absolut unter seinem Niveau sei.

Dies sind die wenigen Momente bei denen ich mir bei einer Lesung eine Pause wünsche, um (wenigstens theoretisch) dezent verschwinden zu können. Natürlich sind wir höflich geblieben – schließlich saßen wir in UNSERER Buchhandlung, die sich in UNSEREM heimatlichen Kaff befand – und haben uns über die  Damen-Riege in der ersten Reihe gewundert, die schmachtend dem Autor an den Lippen hingen und jedes gesprochene Wort wie Ambrosia zu inhalieren schienen. Es scheint an dem Gerücht tatsächlich etwas dran zu sein, dass es beim weiblichen Geschlecht einen gewissen Typus gibt, der bei Männern auf A….l…er steht!

Spüre ich, dass ein*e Autor*in mit Herz bei der Sache ist, Spaß an der Lesung hat und zudem seinem Publikum zugewannt ist, dann schaue ich auch gerne über „Mängel“ im Vortrag hinweg und empfinde dies eher als liebenswerte Eigenart einer interessanten Persönlichkeit.

Wenn ein*e gute*r Autor*in aber auch gleichzeitig ein*e gute*r Vor-Leser*in ist, dann wird es himmlisch. Dann wird aus einer „Fortbildung“ das pure Vergnügen, und ich lausche völlig verzückt meinen VOR-Bildern der VOR-lesenden Zunft, wie z. Bsp. Karsten Dusse, Elke Heidenreich, Finn-Ole Heinrich, Melanie Raabe, Rafik Schami oder…

…Rainer Moritz, die mit einem sympathischen Auftreten, seiner erfrischenden, humorvollen Art und einer positiven Ausstrahlung uns wieder einen unterhaltsamen Abend schenkte – auch dank UNSERER Buchhandlung in UNSEREM Kaff.

Vielen, herzlichen Dank!

„Bücher kauft man am Scharmbecker Bach, nicht am Amazonas.“ – BUY LOCAL

[Rezension] Rainer Moritz – Fräulein Schneider und das Weihnachtsturnier

Fräulein Schneider von der Buchhaltung ist eine Erscheinung: Nicht von ungefähr nennen sie ihre Kolleg*innen hinter vorgehaltener Hand „Miss Marple“ aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit der großen britischen Mimin Margaret Rutherford. Doch in der gesamten Firma würde niemand es wagen, sie direkt so anzusprechen. Auch Konrads Papa benutzt diesen Spitznamen nur, wenn er zuhause die neusten Anekdoten von Fräulein Schneider berichtet, z. Bsp. dass sich hinter Ihrer reservierten und Ehrfurcht gebietenden Fassade ein leidenschaftlicher Fußball-Fan verbirgt. Doch nun ist Fräulein Schneider in Rente und würde sich doch sicher zu Weihnachten über eine kleine Aufmerksamkeit freuen. So denkt es sich Konrads Mama und schickt ihn an Heiligabend mit einem kleinen Präsent zu ihr hin. Konrad ist wenig begeistert. Doch dieser Besuch gestaltet sich als kleine Überraschung: Fräulein Schneider ist privat nämlich gar nicht so reserviert, wie Papa immer erzählt hat. Vielmehr fordert sie ihn im Tipp-Kick-Fußball heraus und entpuppt sich in den folgenden Wochen und Monaten als strenge Trainerin. Bald ist die Idee eines Weihnachtsturniers geboren, dessen Erlös wohltätigen Zwecken zugeführt werden soll. Und so entwickelt sich aus einer kleinen Idee langsam aber stetig ein überregionales Phänomen…!

Das er schreiben kann, das wusste ich: Hatte ich doch schon einige seiner Werke u.a. mit kuriosen Literaturgeschichten, seiner Liebeserklärung an die Buchhandlung oder auf den Spuren bekannter Dichter mit Freude gelesen. Doch einem seiner gänzlich fiktiven Werke hatte ich mich bisher noch nicht gewidmet. Umso gespannter war ich auf diese Erzählung…!

Nun stellt für mich die Kurzgeschichte eine Königsdisziplin innerhalb der schreibenden Zunft dar. All das, was auch auf 300, 500 oder 1000 Seiten passiert, muss auch in eine Kurzgeschichte passen: interessante Charaktere, logischer Handlungsaufbau, fesselnder Spannungsbogen, überraschender Twist, intelligente Dialoge, eine Prise Humor und natürlich ganz viel Gefühl. Besonders das Letztere darf bei einer Weihnachtsgeschichte nicht fehlen. Und so kann ich in diesem Fall Herrn Moritz nur attestieren, dass er mit Fräulein Schneider alles richtig gemacht hat.

Beim Aufbau geht er recht raffiniert vor, indem er das Geschehen aus dem Rückblick von Konrad erzählt, der als erwachsener Mann eine Traueranzeige von seiner Mutter geschickt bekommt, die eine Erinnerungsflut in ihm freisetzt. Dabei ist seine Geschichte wohltuend un-kitschig. Vielmehr erzählt er sie frisch, eher nüchtern, beinah beiläufig aus der Perspektive eines damals 12-jährigen Jungens, der sich seine ihm logisch erscheinenden Erklärungen im Rahmen seines Erfahrungsschatzes zurechtlegt.

Dabei stoßen hier mit Fräulein Schneider und Konrad zwei Protagonisten aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Beide schaffen scheinbar mühelos die hohe Kunst der gegenseitigen Akzeptanz. Als erfahrener Leser glaubte ich zu wissen, wie diese Figuren zu funktionieren haben. Rainer Moritz schlug mir dabei ein Schnippchen, indem er meine Erwartungen nicht erfüllte. Vielmehr sorgte er dafür, dass in der Geschichte ein leichter Ton von Heiterkeit mitschwingt, ich von ungeahnten Wendungen überrascht wurde, und so das Lesen für mich zu einem kurzweiligen Vergnügen wurde.

Ich bin mir sehr sicher, dass Fräulein Schneider und Konrad sich einen Platz innerhalb der Advents- und Weihnachts-Lektüre erobern werden. Diese beiden sympathischen Typen hätten es verdient…!

Lust auf weitere Meinungen? Dann empfehle ich Euch die Rezension meines Blogger-Kollegen HAUKE HARDER von „Leseschatz“ und den DOFI 206 von der Buchhandlung meines Vertrauens.


erschienen bei edition chrismon/ ISBN: 978-3960382553

[Rezension] Rainer Moritz – Unbekannte Seiten. Kuriose Literaturgeschichte(n)

Anekdoten, diese kleinen Geschichten und Geschichtchen, die oft witzig und kurios aus dem Leben einer Person berichten und diese so oftmals sehr treffend charakterisieren. In ihrer Reduzierung auf das Wesentliche steuert die Handlung zwangsläufig auf eine Pointe hin und sorgt so oftmals für Erheiterung beim Publikum. Aber um dies zu erreichen, muss die vortragende Person sie aber auch zu erzählen wissen, da eine mittelprächtige Anekdote durchaus durch die Kunst des Vortragenden aufgewertet werden kann. Bei der Weitergabe einer Anekdote wird hier ein wenig ausgeschmückt, dort ein wenig weggelassen, und schlussendlich ist sowohl die Urheberschaft als auch der Wahrheitsgehalt nicht mehr nachweisbar.

Rainer Moritz beherrscht einerseits die Kunst der geistreichen Plauderei aus dem Effeff, andererseits kennt er als Mann mit Hang zur Bibliophilie so manches pikantes Histörchen aus dem Literaturbetrieb. Und so greift er für diese Sammlung in den großen Topf der Anekdoten und kredenzt uns eine appetitliche Vielfalt an Geschichten quer durch die Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte. Und so erfahren wir…

Warum…
…Marcel Proust einen Kritiker zum Duell aufforderte, um seine Ehre zu retten?
…Hellmuth Karasek zu einer Lesung aufgrund kulinarischer Versuchungen verspätet erschien?
…Francoise Sagans Maserati für Aufruhr bei den Studentenrevolten sorgte?
…Oscar Wilde mit dem Muster der Tapete in seinem Pariser Hotel-Zimmer haderte?
…Friedrich Dürrenmatt sich am Brand eines Nobel-Hotels schuldig fühlte?
…Agatha Christie ihr eigenes Verschwinden inszenierte, um den untreuen Gatten zu strafen?
…Charles Dickens nach der Abreise von Hans Christian Andersen eine Bemerkung auf den Spiegel des Gästezimmers schrieb?
…Colettes niederschmetternde Kritik an George Simenons Prosa diesen auf den rechten literarischen Weg führte?

Diese und 30 weitere Kuriose Literatur-Geschichte(n) finden sich in diesem unterhaltsamen Büchlein: Einige waren mir durchaus schon bekannt. Doch die Meisten las ich zum ersten Mal, und sie amüsierten mich prächtig. Dies war natürlich auch dem ironischen aber nie verletzenden Ton von Rainer Moritz zu verdanken, der angenehm eloquent dieses Brevier aus Klatsch und Tratsch zusammenstellte, mit der ich meine Zeit äußerst kurzweilig verplemperten durfte.

Beim Lesen dieser amüsanten Berichte hatte ich oftmals das Gefühl, dass der/die Held*in die entsprechende Aufmerksamkeit selbst herausforderte, um so an der eigenen Historienbildung zu feilen. Denn: So viele Zufälle auf einem Haufen erscheinen beinah unvorstellbar. Doch: Wer bin ich, um darüber zu richten. Und schlussendlich: Wer weiß schon, was wirklich geschah? 😉


erschienen bei Oktopus (bei Kampa)/ ISBN: 978-3311300243

Ich danke dem Verlag herzlich für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar!